Goodbye Grover?

Bei den Republikanern bröckelt nach der Wahlniederlage und vor der "fiskalen Klippe" die Hardliner-Front in der Steuerpolitik

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Sein Anti-Steuer-Schwur gibt der republikanischen Partei seit über zwei Jahrzehnten ihr politisches Hardliner-Profil in Steuerfragen. Doch mit Obamas Wiederwahl wird die Luft eng für Grover Norquist. Der "mächtigste Mann Washingtons" könnte auf dem republikanischen Altar der parteipolitischen Erneuerung geopfert werden.

Grover Norquist, Gründer und Präsident von Americans for Tax Reform, für manche der "mächtigste Mann Washingtons". Bild: Gage Skidmore/CC-BY-3.0

Es sind noch knapp sechs Wochen bis zum Abgrund und die Frage ist nach wie vor: Schaffen die USA rechtzeitig die Kurve oder fällt das Land von der "fiskalen Klippe" in eine zweite Rezession? Vieles hängt davon ab, ob sich die Republikaner intern endlich auf einen Kompromiss bezüglich der Erhöhung von Steuern einigen können.

Bisher waren die Linien im Streit um die Haushaltkonsolidierung klar gezogen. Die Demokraten boten einen Deal an, der zähneknirschend Kürzungen im Sozialbereich vorsah, aber dafür auch Einnahmen durch Steuererhöhungen für all jene, die über 250.000 Dollar verdienen. Die Republikaner dagegen wollten die ganze Torte: Kürzungen ja, Steuererhöhungen nein. Auch das Auslaufen der Bush-Steuererleichterungen für Millionäre lehnten sie ab. Denn das käme praktisch einer Erhöhung der Steuern gleich. So engstirnig diese Logik scheint, sie hat sich nicht irgendein Hinterbänkler ausgedacht sondern Grover Norquist.

Als Präsident der Organisation "Americans for Tax Reform" (ATR) ist der 56-Jährige für das berüchtigte "keine neuen Steuern"-Gelöbnis verantwortlich (Das Glaubensbekenntnis). Im auslaufenden 112. Kongress haben sich 236 der 242 republikanischen Mitglieder des Abgeordnetenhauses zu Norquists Gralschwur bekannt, unter keinen Umständen die Steuern zu Erhöhung. Im Senat sind es 40 der 47 Republikaner. Abweichlern drohte Norquist gerne damit, einen von der ATR finanzierten Gegenkandidaten bei der nächsten Wahl aufzustellen und so muckte bislang kaum jemand auf. Doch mit dem 6. November scheint sich der Wind gedreht zu haben.

Tabubruch nach Wahlniederlage

Die GOP sucht nach zwei hintereinander verlorenen Wahlen und deutlichen Verlusten innerhalb der demographischen Gruppen, die die Zukunft des Landes bestimmen werden, nach Wegen, den Sturz in die machtpolitische Bedeutungslosigkeit abzuwenden. Und schon scheint das Unmögliche möglich zu werden. Im Dunstkreis der Partei haben sich Stimmen zu Wort gemeldet, die zumindest Steuererhöhungen für Reiche nicht mehr für Blasphemie halten. Eine der prominentesten ist der Chefredakteur des neokonservativen Magazins Weekly Standard, William Kristol.

"It won't kill the country if we raise taxes a little bit on millionaires (...) I don't really understand why Republicans don't take Obama's offer," sagte er vergangene Woche während der Sendung "Fox News Sunday."

Soll die Republikanische Partei ernsthaft Selbstmord begehen, fragte Kristol weiter, um einen Haufen Millionäre zu verteidigen, von denen die eine Hälfte demokratisch gewählt hätte und die andere in Hollywood lebe? Der Vergeltungsschlag radikalkonservativen Medien ließ zwar nicht lange auf sich warten: "Bill Kristol knickt bei höheren Steuern ein", kommentierte Breitbart.com noch am selben Tag. Bei Obamas "tax hikes" klein beigeben würde kaum Wählerstimmen gewinnen. Viel schlimmer: es würde die Rolle der GOP als "brauchbare Opposition" beenden, so das Resümee der Internetseite.

Erste Abweichler

Doch bei einem jährlichen Haushaltsdefizit von über einer Billion Dollar hat sich bei einigen Republikanern die Auffassung gegenüber Norquists starrem Gelöbnis verändert. Er brauche Handlungsspielraum bei der Entscheidung darüber, was das Beste sei für die Leute in seinem Wahlbezirk, erklärt ein neu gewählter republikanischer Kongressabgeordneter aus Florida der Kongresszeitung The Hill. Deshalb habe er Norquists-Anti-Tax Pledge nicht unterschrieben. Und einige, die vor Jahren ihren Namen unter das Blatt Papier gesetzt haben, denken mittlerweile offen über Verrat nach. "Ich glaube nicht, dass man eine Regel haben kann, dass man niemals die Steuern erhöht oder senkt. Ich will nichts ausschließen", sagte der Republikaner Peter T. King, dessen Name noch auf Norquists Liste steht, der New York Times. Eine Zusage funktioniere demnach für einen bestimmten Zeitraum. 1941 hätte er auch dafür gestimmt, Japan den Krieg zu erklären, aber jeder Kongress sei eben ein neuer Kongress, so King.

Es ist eine Trendwende, die zählbar ist. Im kommenden US-Kongress, der ab 3. Januar 2013 seine Arbeit aufnimmt, wird die Zahl der "Pledge"- Unterstützer deutlich geschrumpft sein. Laut The Hill wird das Abgeordnetenhaus dann nur noch 217 Anti-Steuer-Jünger aufweisen, ein Minus von knapp 20 Stimmen. Der Pro-Norquist-Block verliert damit seine Mehrheit in der 435-Sitze Kammer und ebenso die Möglichkeit des Filibusters im Senat, denn dort ist die Tax-Pledge-Mannschaft unter die dafür nötigte Grenze von 40 Stimmen auf 39 gefallen. Im Sommer hatte der republikanische Senator Tom Coburn bereits gewarnt, Norquist würde sich durch die sture Durchsetzung seiner Ideologie politisch isolieren. Um die fiskale Krise zu lösen, so Coburn, müsse man einfach etwas aufgeschlossener sein.

Sollten Steuererhöhungen für Millionäre und sogar für Reiche, die über 250.000 US-Dollar im Jahr verdienen, tatsächlich ein Teil des Deals zwischen den beiden Parteien werden, würde in der Bewältigung der Haushaltskrise freilich noch lange kein weißer Rauch aufsteigen - dafür ist das Defizit von 15 Billionen Dollar einfach zu groß. Für die GOP aber könnte sich die Chance auftun, die inzestuöse Entwicklung ihrer Partei, die zuletzt immer extremere Wertebilder für wütende Weiße erschuf, zu durchbrechen. Sie könnten zeigen, dass sie sich nicht nur den oberen Zehntausend verpflichtet fühlen, sondern auch der Mittelschicht.

Anti-Steuer-Agent auf Lebenszeit

Allerdings machte Norquist kürzlich klar, dass man ihn nicht vorschnell abschreiben sollte. Es wäre 22 Jahre her, dass ein Republikaner in D.C. für eine Steuererhöhung gestimmt hätte, sagte Norquist kampfbewusst. "Das ist nicht mein erstes Rodeo."

Was er damit wohl sagen wollte war: Mein unglaublicher Einfluss auf das Gesetzgebungsverfahren innerhalb der USA könnte temporär vielleicht etwas sinken, aber wer nie in ein öffentliches Amt gewählt wurde, der kann auch nie abgewählt werden.