Mitfinanziert, geprägt, geschützt und gestärkt

Rolf Gössner über mögliche Verstrickungen der Geheimdienste mit dem "Zwickauer Trio". Teil 2

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Von prominenten Journalisten wird die These von einem Zusammenwirken von Geheimdiensten und der "Zwickauer Zelle" (die sich selbst ja gerade nicht als Zelle, sondern als Netzwerk von Kameraden mit dem Grundsatz Taten statt Worte bezeichnete) in das Reich der Verschwörungstheorien verwiesen. Der Kriminalbiologe Mark Benecke äußerte in einem anderen Zusammenhanghingegen:

„Man weiß so wenig. Nur eins: Geheimdiensten ist absolut alles zuzutrauen. Es ist ihr Job, zu lügen, zu täuschen und zu tarnen. Manchmal auch zu morden – wer das bestreitet, lebt im Glücksbärchenland.“

Zweiter Teil des Gesprächs mit Rolf Gössner, dem Autor von Geheime Informanten - V-Leute des Verfassungsschutzes: Neonazis im Dienst des Staates

Herr Gössner, halten Sie es für möglich, dass der Verfassungsschutz nach der Wende in Ostdeutschland gezielt Neo-Nazi-Einheiten aufgebaut hat, um unter Ausländern Angst und Schrecken zu verbreiten?

Rolf Gössner: Auf diese eher spekulative Frage kann ich nur sagen: Grundsätzlich ist im Zusammenhang mit Geheimdiensten nur wenig auszuschließen, aber hier fehlen uns bislang harte Fakten, Indizien und Nachweise für eine solche Annahme. Allerdings mussten wir feststellen, dass der Verfassungsschutz Neonazi-Szenen über sein Netz von V-Leuten – ob gewollt oder nicht – unterstützt – und damit gerade eben auch deren gewaltbereite Kräfte, die gerade unter Migrantinnen und Migranten Angst und Schrecken verbreiten.

"Der Verfassungsschutz deckt seine kriminellen V-Leute anstatt sie unverzüglich abzuschalten"

Wie hoch ist allgemein die Vernetzung der Neo-Nazi-Szene mit den unterschiedlichen Behörden?

Rolf Gössner: Wie wir spätestens seit dem Verbotsdesaster um die NPD wissen, sind die rechten Szenen durchsetzt mit V-Leuten. Ich habe die infiltrierenden Aktivitäten des Verfassungsschutzes in meinem Buch „Geheime Informanten“ detailliert und anhand von Fallstudien aufgedeckt - nicht nur in der NPD, sondern in den gesamten Neonazi-Szenen und deren Organisationen.

Der Verfassungsschutz unterhält dort ein weitverzweigtes Netz mit V-Leuten – ein System, das sich als unkontrollierbar und erhebliches Gefahrenpotential herausgestellt hat, weil es sich bei V-Leuten in Neonaziszenen, wie gesagt, nicht um "Agenten" des demokratischen Rechtsstaates handelt, sondern um staatlich alimentierte Nazi-Aktivisten und Straftäter, über die sich der Verfassungsschutz in kriminelle Machenschaften verstrickt. Brandstiftung, Körperverletzung, Totschlag, Mordaufrufe, Waffenhandel, Gründung terroristischer Vereinigungen – das sind nur einige der Straftaten, die V-Leute im und auch zum Schutz ihrer Tarnung begehen.

Das Erschreckendste, was ich bei eigenen Recherchen zu meinem Buch erfahren musste, ist, dass der Verfassungsschutz seine kriminellen V-Leute oft genug deckt und systematisch gegen polizeiliche Ermittlungen abschirmt, um sie weiter abschöpfen zu können – anstatt sie unverzüglich abzuschalten.

So soll auch der Thüringer V-Mann Tino Brandt dem NSU-Trio in dessen Mordphase nicht nur tatkräftig geholfen haben, weiterhin im Untergrund zu leben und sich dem Zugriff der Polizei erfolgreich zu entziehen – der Thüringer Verfassungsschutz hat im Zusammenhang mit der Fahndung nach dem Nazi-Trio offenbar auch polizeiliche Fahndungsmaßnahmen torpediert und seinen braunen V-Leuten polizeiliche Observationen und geplante Durchsuchungsaktionen verraten oder Kontaktpersonen vor polizeilichen Abhörmaßnahmen gewarnt, so etwa die Eltern eines der (mutmaßlichen) Täter.

Beweismittelunterdrückung, Verrat von polizeilichen Observationen, von Hausdurchsuchungen und Abhöraktionen gehören zum Repertoire des Verfassungsschutzes, um seine Quellen langfristig in den auszuforschenden Szenen zu halten. Das ist zwar strafbare Strafvereitelung im Amt oder psychische Unterstützung und Beihilfe zu Straftaten - doch die Verfassungsschutz-Verantwortlichen sind dafür nie zur Rechenschaft gezogen worden, selbst wenn Unbeteiligte schwer geschädigt wurden.

Ich denke, man muss es so deutlich aussprechen: Die Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern haben die gewaltbereiten Neonazi-Szenen und -Parteien über ihre bezahlten Spitzel letztlich mitfinanziert, rassistisch geprägt, gegen polizeiliche Ermittlungen geschützt und gestärkt, anstatt sie zu schwächen. Damit sind sie über ihr kriminelles V-Leute-System selbst Teil des Neonazi-Problems geworden, jedenfalls konnten sie kaum etwas zu dessen Lösung oder Bekämpfung beitragen.

"Im Kampf gegen Rechts hat der Verfassungsschutz als ‚Frühwarnsystem’ versagt"

Hat dieser Aufwand denn wenigstens wichtige Erkenntnisse gebracht?

Rolf Gössner: Keineswegs. Trotz der hohen Zahl an V-Leuten im Nazi-Spektrum seit Beginn der 1990er Jahre haben sich die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes kaum gesteigert: Was dieser mit Millionenaufwand bisweilen zutage förderte, war für Kenner und Kennerinnen der braunen Szene nicht gerade erhellend. Im Kampf gegen Rechts hat der Verfassungsschutz als "Frühwarnsystem", das er eigentlich sein soll und sein will, insgesamt grandios versagt: Weder konnte er die Vermehrung rechter Organisationen rechtzeitig vorhersagen noch die Zunahme rassistischer Gewalttaten erklären. Und lange Zeit bagatellisierte er die organisatorischen Qualitäten rechter Gruppierungen – obwohl es längst starke Ansätze zu Organisierung und Vernetzung und zu wachsender Gewaltbereitschaft mit rechtsterroristischen Tendenzen gab.

"Spannungseffekte und Ängste sind durchaus eingetreten"

Ist für Sie bei den NSU-Morden eine "Strategie der Spannung" erkennbar, wie sie von dem Historiker Daniele Ganser sogenannten "Stay-Behind"-Organisationen im Kalten Krieg zugeschrieben wird?

Rolf Gössner: Selbstverständlich ist im Zusammenhang mit den der NSU angelasteten Morden und Sprengstoff-Attentaten eine Strategie der mutmaßlichen Täter erkennbar, die auf Spannung setzte und Angst erzeugen sollte, um "Fremde" und "Ausländer" unter existenziellen Druck zu setzen und zu vertreiben - bei neun der Mordopfer handelte es sich bekanntlich um ("integrierte") Migranten. Eine bewusst inszenierte Spannungsstrategie im Sinne der "Stay-Behind"-Organisationen im Kalten Krieg, auf die Ihre Frage abhebt, würde aber über das Konstrukt "NSU" weit hinausweisen – doch eine solche übergeordnete Strategie lässt sich meines Erachtens nicht feststellen, jedenfalls mit Fakten beziehungsweise Dokumenten nicht belegen.

Eine durch die Nicht-Ermittlungen beziehungsweise Fehl-Ermittlungen - insbesondere gegen die Mordopfer und ihre Familien - entstandene Spannung in der Bevölkerung und besonders in Migrantenkreisen lässt sich jedoch nicht leugnen. Das bedeutet: Spannungseffekte und Ängste sind also auch wegen der Aktivitäten und Inaktivitäten der Sicherheitsbehörden über lange Jahre durchaus aufgebaut worden - während sich auf der anderen Seite die gewaltbereiten bis terroristischen Neonazi-Szenen und -Akteure, in deren Umfeld eben auch V-Leute wirkten, in gewisser Weise in Sicherheit wiegen konnten und die staatlichen Sicherheitsorgane offenbar nur wenig zu fürchten brauchten.

Dieser ganze Ermittlungsskandal ist für viele Beobachter eigentlich nur erklärlich, wenn man eine organisierte Abschirmung und Begünstigung der Täter auch aus den Reihen der Sicherheitsbehörden heraus unterstellt. Tatsächlich fragen sich viele, darunter selbst die Frankfurter Allgemeine Zeitung::http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/geheimdienste-hauptsache-es-macht-peng-11534221.html warum das NSU-Trio sich trotz intensiver Überwachung seines Umfelds und trotz Nachforschungen so erfolgreich allen Zugriffsmaßnahmen - so sie überhaupt stattfanden - entziehen konnte – ob es da nicht Helfer oder Tippgeber gab, "eventuell sogar aus dem Umfeld der Sicherheitsbehörden".

"Wenn sich jemand über viele Jahre einer intensiven Fahndung entziehen kann, dann genießt er staatlichen Schutz", so lautet ein Erfahrungssatz eines CIA-Agenten. Oder: "Verfolgt man die Spur des Terrors nur lange genug, endet man vor einem geheimen Dienstgebäude", so der Historiker Minkmar in der FAZ. Die verschwörerisch anmutende Frage nach staatlicher Begünstigung (oder gar Lenkung) muss immer wieder gestellt werden, auch wenn es bislang hierfür (noch) keine handfesten Beweise gibt; insoweit müssen wir erst die weiteren Ermittlungen und Untersuchungen abwarten, die bekanntlich von Seiten der involvierten Sicherheitsbehörden stark torpediert werden.

"Solange anhand der Faktenlage nicht bewiesen ist, wie es wirklich war, gibt es im Zweifel eben mehrere plausible Erklärungsansätze"

Beispiel "Süddeutsche Zeitung": Hans Leyendecker verweist den Gedanken einer Kollaboration des Verfassungsschutzes mit dem NSU in das Fach "Verschwörungstheorie" und Tanjev Schultz kommentierte jüngst angesichts der Tatsache, dass ein Neo-Nazi, der dem NSU Sprengstoff geliefert hat, ein V-Mann des LKA Berlin war, dessen Aussagen zum Trio nicht weiter an den ermittelnden Bundestagsausschuss weitergeleitet wurden: "Die V-Mann-Affäre der Berliner Polizei wird immer peinlicher." - Kann man sich des Gedankens noch erwehren, dass Teile der Öffentlichkeit nach dem Motto "Es kann nicht sein, was nicht sein darf" gar nicht so dolle an einer Aufklärung der Verbrechen und ihrer Drahtzieher interessiert seien?

Rolf Gössner: Diese Frage ist relativ schnell beantwortet, wenn auch nur unbefriedigend: Tatsächlich kann man sich des von Ihnen gesponnenen Gedankens gelegentlich nicht erwehren. Ob die Texte, die Sie hier zitieren, dafür allerdings ein Beleg sind, ist zweifelhaft. Denn der "Gedanke einer Kollaboration des Verfassungsschutzes mit dem NSU" wird so lange in das Fach "Verschwörungstheorie" verwiesen, solange wir keine wirklichen Belege für eine willentliche, zweckgerichtete Kollaboration haben.

Auf der anderen Seite ist es angesichts der Vertuschungen durch die Sicherheitsorgane und angesichts der selektiven, auch widersprüchlichen Ermittlungsergebnisse äußerst schwierig, sich ein einigermaßen plausibles, tragfähiges Bild von den Vorgängen und Abläufen zu machen. Legt man nun alle mittlerweile vorliegenden Fakten und Spuren zusammen, kann man sie durchaus unterschiedlichen Erklärungsversuchen oder Erklärungsmustern zuordnen – unter dem Vorbehalt, dass möglicherweise später weitere - widersprechende, bestätigende oder modifizierende - Fakten und Spuren auftauchen.

Dabei stellt sich auch die prinzipielle Frage, ob die bisherige offizielle Version – etwa der "Selbstmord" der beiden mutmaßlichen NSU-Mörder oder das Konstrukt des "NSU" – ausreichend plausibel erscheinen oder ob die vorhandenen Fakten nicht eher eine andere Erklärung oder Genese zumindest nahe legen oder gar stützen. Das heißt: Solange anhand der lückenhaften und widersprüchlichen Fakten- und Spurenlage nicht bewiesen ist, wie es wirklich war, gibt es im Zweifel eben mehrere plausible Erklärungsansätze, zumindest genauso wahrscheinliche Versionen oder möglicherweise wahrscheinlichere als das offizielle (Re-)Konstrukt.

Solche alternativen Versionen zu entwickeln ist selbstverständlich legitim und gelegentlich auch durchaus erhellend, auch wenn sich die Urheber immer wieder reflexartig dem Vorwurf der "Verschwörungstheorie" ausgesetzt sehen. Als jemand, der überwiegend staatliche Sicherheitsorgane und ihr Wirken kritisch unter die Lupe nimmt und sich dabei auf nachweisbare Fakten, Strukturen, Hintergründe und Zusammenhänge beruft, gehört es andererseits nicht vorrangig zu meiner Aufklärungsarbeit und Arbeitsweise, mit mehr oder weniger logischen Schlussfolgerungen, Erklärungsmustern und mehr oder weniger stringenten Denkkonstruktionen alle Möglichkeiten auszuloten, wie es auch (anders) gewesen sein könnte. Das ist mir doch zu wenig griffig und zu spekulativ. Zweifel an der offiziellen Version sind dennoch stets angebracht und kritische Phantasie entwickeln gehört dazu.

" Es gibt Journalisten, die sind als Informelle Mitarbeiter Geheimdiensten verpflichtet"

Ist es denkbar, dass Verfassungsschutzbehörden oder andere Geheimdienste nicht nur Neo-Nazis, sondern auch Mitgliedern der Journalistenzunft durch monetäre und informelle Zuwendung ein erkleckliches Auskommen bescheren?

Rolf Gössner: Da haben wir wieder eine Frage, die zu allerhand Spekulationen einladen könnte. "Denkbar" ist in diesen Zusammenhängen, wie gesagt, fast alles. Man sollte gerade in Bezug auf Geheimdienste Denktabus meiden – aber sich andererseits von einer nachweisbaren Faktenlage nicht allzu weit entfernen, insbesondere wenn es um Beschuldigungen geht. Denn ob, wie in der Frage intendiert, Journalistinnen und Journalisten insoweit käuflich sind, bedürfte mal wieder konkreter Nachweise mit "Namen und Adressen", die wir meines Wissens nach jedoch in keinem einzigen Fall des hier behandelten Zusammenhangs haben.

Allgemein kann man durchaus sagen: Selbstverständlich gibt es Zeitungsherausgeber, Intendanten, Chefredakteure, Korrespondenten und Journalisten, die den Diensten bei Gelegenheit, in einer Art Geschäft auf Gegenseitigkeit (Informationen gegen Informationen) oder für Geld zu Diensten waren oder sind. Es gibt Journalisten, die waren oder sind als Informanten von Geheimdiensten oder als Informelle Mitarbeiter verpflichtet.

Die Tätigkeiten von Geheimdienstlern und (investigativen) Journalisten ähneln sich ja auch in gewisser Weise – es geht darum, Nachrichten und Informationen zu beschaffen, auf welchen Wegen auch immer. Und es gab und gibt auch Journalisten, die sich – teils gutgläubig - in Desinformationskampagnen oder gar Operationen von Geheimdiensten einbinden oder sich entsprechend instrumentalisieren lassen.

In den Büchern Undercover. Der BND und die deutschen Journalisten von Erich Schmidt-Eenboom oder "Unheimlich zu Diensten - Medienmissbrauch durch Geheimdienste", herausgegeben unter anderen von Eckart Spoo, gibt es – zumindest aus früheren Zeiten - Beispielsfälle solch dubioser und anrüchiger Kooperation.1

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