Improvisierte Sprengsätze gegen Hightech-Armeen

Die Hauptwaffe der Taliban in Afghanistan sind die billig und massenhaft herzustellenden IEDs, die die Koalitionstruppen zermürben

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Asymmetrische Kriege sind Kriege, in denen eine hochgerüstete und große Armee auf zahlenmäßig und waffentechnisch weitaus schwächere Gegner trifft, die eine direkte Konfrontation meiden und meist auf Guerilla-Strategien rekurrieren. Dabei ist wie in Afghanistan immer wieder erstaunlich, mit welch einfachen Mitteln die Goliaths von den neuen Davids zwar nicht direkt besiegt, aber doch nachhaltig zermürbt werden können. Was den einen die Drohnen sind, sind den anderen selbst gebastelte Sprengsätze.

IEDs können überall versteckt sein. Bild: DOD

In Afghanistan treten die Taliban oder andere Widerstandsgruppen nicht nur mit dem probaten und kaum verhinderbaren Mittel von Selbstmordanschlägen an, sondern die Hauptwaffe sind primitive, leicht zu bauende Sprengsätze, die so genannten Improvised Explosive Devices (IED). Beide "Techniken" wurden zunächst im Irak entwickelt und professionalisiert und dann mitsamt der medialen Strategie nach Afghanistan exportiert. So hat der Irak-Krieg gewissermaßen den Widerstand in Afghanistan gestärkt, während der Sturz der Taliban-Regierung zuvor zur Verbreitung des al-Qaida-Netzwerks geführt hat. IEDs wurden sowohl im Irak ab 2004 als auch in Afghanistan ab 2006 zur präferierten Methode, die bei den Koalitionstruppen die meisten Opfer forderten. Selbst als die Insiderangriffe in Afghanistan häufiger wurden, blieben die IEDs die mörderischste Hauptwaffe der Aufständischen.

Durch IEDs, die massenhaft, billig und überall erhältlichen Mitteln hergestellt werden können, wurden nicht nur die meisten Soldaten getötet oder verletzt, es wurden auch viele Milliarden investiert, um Fahrzeuge und Soldaten besser zu schützen. Das Pentagon richtete 2006 eine eigene Abteilung, die Joint IED Defeat Organization, ein, um die Erkennung und Abwehr zu verbessern. Das aber war bislang nicht von Erfolg gekrönt, die Abteilung sagt selbst, dass IEDs noch in Jahrzehnten die Waffe der Wahl für Aufständische sein werden. Das zeigt sich auch daran, dass weltweit die Anschläge mit IEDs zunehmen, nachdem die Täter deren Effizienz entdeckt haben. Selbst als durch Drohnen oder Roboter mehr der an den Straßen versteckten IEDs entdeckt werden konnten, half das nicht viel, da die Taliban einfach deutlich mehr produzierten.

Der Anteil der durch IEDs verwundeten oder getöteten US-Soldaten stieg von 56 Prozent in 2009 auf 63 Prozent in 2011. Allerdings war die Ursache auch die veränderte Strategie, die Soldaten aus den gepanzerten Fahrzeugen aussteigen zu lassen, um die Kontakte mit den Afghanen zu stärken. Dadurch wurden sie aber auch verwundbarer. IED-Explosionen stiegen von 9.300 2009 um 42 Prozent auf 16.000 im letzten Jahr. 2012 dürfte den Rekord erneut brechen, im Juni 2012 soll es so viele gegeben haben wie noch nie zuvor in einem Monat in Afghanistan. Und das, obgleich das Pentagon, wie Starts and Stripes schreibt, mehr als 65 Milliarden US-Dollar seit 2006 in die Bekämpfung der Straßenbomben investiert hat. Zwar ist die Zahl der IED-Anschläge gestiegen, aber mittels Schulungen, Roboter, verbesserten Detektoren, gepanzerten Fahrzeugen und Schutz beispielsweise für das Becken ist die Zahl der Verwundeten und Toten gesunken. Wurden 2010 noch 368 Isaf-Soldaten durch Sprengsätze getötet, so waren es 2012 bislang erst 124.

An der Herstellung der Bomben hat sich trotz des milliardenschweren Aufwands zu deren Bekämpfung wenig geändert. In der Regel werden für die Sprengsätze Dünger oder Kaliumchlorat verwendet, meist enthalten sie kaum oder wenig Metall und werden teils ferngezündet, wobei sich allerdings die Übertragung der Signale stören lässt, oft aber auch durch das darüberfahrende Fahrzeug oder durch einen Menschen ausgelöst. Peter Singer vom Brookings Institute sagt, man könne nicht auf Dauer Milliarden ausgeben, um eine Technik zu bekämpfen, die der anderen Seite nur ein Dutzend US-Dollar kostet.

Von Isaf-Soldaten gefundene Teile für einen improvisierten Sprengsatz. Bild: Isaf

Nach Al Sweetser scheinen die Taliban auf den Geschmack gekommen zu sein, zumal IEDs schlicht einfacher herzustellen und einzusetzen sind, als wenn Angriffe geführt werden oder Menschen für Selbstmordanschläge gewonnen werden müssen. Letzteres ist wohl die effektivste Waffe, vor allem dann, wenn ein Menschenleben nicht viel wert ist oder die religiöse Ideologie des Märtyrertums für Nachfolger sorgt. Allein in den letzten drei Monaten wurden fast 120 Tonnen Ammoniumnitratdünger in Afghanistan beschlagnahmt, 5 kg werden normalerweise für einen Sprengsatz verwendet. Und in dem strategischen Plan für 2016 der Joint IED Defeat Organization heißt es:

The future IED threat consists of an overlapping consortium of networks spanning the entire threat continuum — from criminal gangs to insurgencies to terrorists with global reach — for which the IED is the common weapon of choice.

Was ist die Folge? Mit der "archaischen" Technik der selbstgebauten Sprengsätze kann man mit geringen finanziellen Mitteln auch eine hochgerüstete Armee schweren Schaden zufügen, zumindest dann, wenn die Zahl der getöteten und verwundeten Soldaten oder der anderen Opfer eine Rolle spielt. Asymmetrisch sind die Ausgaben höchst ungleich verteilt, es gibt eine Kluft zwischen Arm und Reich, was die hochgerüsteten Staaten zu einer Strategie verleiten dürfte, möglichst keine Bodentruppen einzusetzen, sondern in asymmetrischen Kriegen verstärkt auf Boden- und Luftroboter zu setzen, ergänzt eventuell durch Spezialkommandos.

Allerdings wird der Gegner bald nicht nur mit Bomben oder Selbstmordanschlägen, sondern ebenfalls mit selbstgebauten oder billig zu kaufenden Robotern reagieren - auch im Land des intervenierenden Staates, was nur eine Frage der Zeit ist. Das Gleichgewicht des Schreckens hat sich bereits mit den asymmetrischen Kriegen und den technischen Möglichkeiten verändert, so dass Einzelne oder wenige Menschen mit Sprengstoff und automatischen Waffen relativ leicht große Verluste verursachen können. Man wird absehen müssen, ob die demokratischen oder autoritären Systeme mit stetig verbesserten Überwachungs- und Detektionstechniken auf Kosten der freien Gesellschaft die Bedrohung, die auch von völlig unpolitisch motivierten "Amokläufern" ausgehen kann, in den Griff bekommen - oder ob ein Zeitalter der Isolation eintritt, was allerdings wenig wahrscheinlich ist, weil kaum ein Land selbstgenügsam sein kann.