"Hohe Risiken, extrem schwierig"

Die Bundesregierung will bei der UN-Vollversammlung nicht für einen neuen Status der Palästinenser stimmen

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Heute nachmittag mitteleuropäischer Zeit stimmt die UN-Vollversammlung darüber ab, ob Palästina einen Beobachterstatus als Nicht-Mitgliedstaat zuerkannt bekommt. Der Antrag auf Vollmitgliedschaft wurde im vergangenen Jahr im UN-Sicherheitsrat abgelehnt. Ein Trostpreis also?

Da eine einfache Mehrheit genügt, geht man davon aus, dass Palästina, über dessen Staatsgebiet große Unklarheit herrscht, den aufgewerteten Status bekommt. Zwar bemühten sich die USA intensiv darum, den Präsidenten der palästinensischen Autonomiebehörde und andere Führungsmitglieder davon zu überzeugen, von dem Antrag abzusehen, aber derzeit sieht es nicht danach aus, als ob die Bemühungen mit Erfolg gekrönt sind. Das Hauptaugenmerk dürfte nun auf der Formulierung des Antrags liegen. Die Website der UN-Vollversammlung verzeichnet zur Stunde fünf Resultionsentwürfe.

Israel: "Beinahe vollkommen alleine"

Auffallend sind die großen Unterschiede in der Bewertung des Vorgangs. So wird der Öffentlichkeit zum einen vermittelt, dass die Statusänderung realiter so gut wie nichts verändert. Es wird keine palästinensische Flagge vor dem UN-Hauptgebäude wehen, ist das Bild dazu. Die Formulierung, um die Harmlsogkeit zu unterstreichen, heißt gewöhnlich, dass Palästina denselben Status wie der Vatikan erhält. Diplomatisch ist die Sache dagegen "ganz schwierig" oder "extrem schwierig", wie dies gestern bei der Regierungspressekonferenz verlautete.

In Israel wird die Abstimmung sehr ernst genommen; in der Regierung befürchtet man, dass Israel durch die Abstimmung auf isoliertem Posten steht, "almost completely alone," wie ein ranghoher Vertreter des Außenministeriums zitiert wird. Netanjahu und Lieberman könnten nur mehr Schadensbegrenzung leisten. Es ist Wahlkampf in Israel und mit dem UN-Status würde das Scheitern der beiden beim palästinensischen Thema offenbar, so Haaretz.

Im vergangenen Jahr reagierte die Regierung Netanjahu erzürnt über die Aufnahme Palästinas in die Unesco. Berichtet wurde von einem Zahlungsstopp, dem Bau neuer Wohnungen in Ost-Jerusalem, eine Reaktion, die "Die Welt" als Strafmaßnahmen bezeichnete. Auch Kanada und die USA reagierten mit der Drohung, dass Zahlungen an die Unesco gestoppt würden.

Diplomatische Bedenken

Deutschland wird heute seine Stimme in der UN nicht für den Beobachter-Status Palästinas abgeben. Die Haltung der Regierung orientiert sich dem Sprecher des Außenamtes, Peschke, zufolge daran, dass die Regierung der Ansicht ist, die palästinensische Initiative schade der "Zwei-Staaten-Lösung". Man wolle verhindern, dass "der enorm komplexe Prozess in irgendeiner Weise durch eine solche Abstimmung negativ beeinflusst wird", so der Bundespressesprecher Seibert. Peschke präzisierte im Weiteren, "dass die Risiken, die mit diesem Vorgehen verbunden sind, durchaus sehr hoch sind" und kam auch auf Geld zu sprechen:

Sie haben im Vorfeld ja von beteiligten Parteien gehört, dass bestimmte Zahlungen für die Palästinensische Autonomiebehörde nicht mehr möglich sein könnten. Das ist für uns natürlich ein ganz wesentliches Kriterium. Für uns ist die Lebensfähigkeit der Autonomiebehörde, die Arbeitsfähigkeit der Autonomiebehörde als unserem wesentlichen Ansprechpartner auf der palästinensischen Seite ein ganz wesentliches Kriterium. Wenn die wegbrechen sollte, mit wem sollen wir denn dann reden, wer soll denn dann über den Frieden im Nahen Osten verhandeln? Das sind alles Dinge, hinter die zurzeit ein großes Fragezeichen gemacht werden muss.

Die Regierung ist also gegen den palästinensischen Antrag, weil man das Beste für die Palästinenser will? Dies mit der Aussicht, dass Abbas in den Verhandlungen mit Israel mehr erreichen würde, wenn er von solchen Staats-Ambitionen Abstand nimmt? Bislang hat Abbas in den Verhandlungen mit der Regierung Netanjahu wenig bekommen.

Palästina so klein wie möglich halten

Seit 2000 hat sich die Zahl der jüdischen Bevölkerung in der Westbank verdoppelt. Netanjahu unterstützt Siedlungsprojekte. Der Ausbau der Siedlungen ging unter seiner Regierung weiter, obwohl die Palästinenser unter Abbas einen Siedlungsstopp verhandeln wollten.

Die Entwicklung auf dem Territorium seit 1947 (siehe Abbildung) ist auch ein de facto Hindernis zur Zwei-Staaten-Lösung. Und es sah in den letzten Jahren ganz danach aus, als ob Netanjahu hier ein Faktum nach dem anderen schaffen wollte, dass den Staat Palästina so klein wie möglich hält und ebenso die Aussichten darauf, dass es ihn je geben wird.

In der palästinensischen Öffentlichkeit konnte Abbas mit keinem Zugeständnis, das die Regierung gemacht hat, punkten. Netanjahu und Lieberman ließen ihn schwach dastehen. Es hatte nicht den Anschein, dass man diesem Gesprächspartner große Wertschätzung beimaß. Dass Abbas nun erneut den Weg zu UN sucht, um Palästinas Status und damit auch seinen politischen Status aufzuwerten, ist nachvollziehbar.

Und dass dieser Weg nicht unbedingt eine "Zwei-Staaten-Lösung", an deren Konkretisierung Netanjahu und Liebermann in den letzten Jahren nicht gerade mit großem Engagement gearbeitet haben, verhindern muss, ist keine Auffassung, die man unbedingt haben muss, wenn man sich auf der Seite Israels positioniert. So erklärte etwa der frühere israelische Ministerpräsident Olmert, man müsse die moderaten Kräfte unter den Palästinensern ermutigen:

Der palästinensische Antrag bei der UN steht in Übereinstimmung mit der Zwei-Staaten-Lösung. Ich sehe keinen Grund, mich ihm entgegenzustellen.

Klagen vor den Internationalen Strafgerichtshof?

Die wichtige Veränderung, auf die im Zusammenhang mit dem aufgewerteten UN-Status Palästinas häufig verwiesen wird, ist, dass die PA damit auch den Internationalen Strafgerichtshofes einschalten könnte und israelische Politiker und Militärs verklagen. Wie ein Experte für internationales Strafrecht ausführt, wäre dieser Schritt und Konsequenzen daraus jedoch nicht so leicht, wie dies manchmal dargestellt wird. Die Bedrohung, die israelische Politiker zu befürchten hätten, wäre diplomatischer Arts, so Noam Wiener.

The mere launch of an investigation against Israeli leaders could turn them into diplomatic pariahs.

Der ICC wäre nur für Fälle zuständig, die nach der Zuerkennung des neuen Status angezeigt werden, also nicht im Nachhinein. Und nur für Vergehen, die auf palästinensischem Boden begangen wurden, wobei eben umstritten ist, welche Grenzen dieses Territorium hat - eine Frage, die wahrscheinlich im Falle eines Falles ebenfalls erst gerichtlich geklärt werden müsste. Und drittens würde der Strafgerichtshof nur in Fällen ermitteln, zu denen keine ausreichenden israelischen Untersuchungen vorliegen. Schließlich würde man bei den eingeschränkten Kapazitäten des ICC nur bei den schwerwiegendsten Verletzungen internationalen Rechts einschreiten.

Die Wahrscheinlichkeit, dass der ICC israelische Politiker oder militärische Befehlshaber anklagen wird, nimmt sich nach dieser Einschätzung als nicht so hoch aus, wie das manchmal spekuliert wird. Zudem haben dies die Politiker und Militärs selbst in der Hand.