Zeitverschwendungstraditionen in der Politik

Ein Gastbeitrag des Vorsitzenden der Piratenfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus

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In der Politik wird gerne und viel Zeit verschwendet, was zum einen damit zu tun hat, dass Mensch als Politiker verlernt, sich kurz zu fassen - und zum anderen daran, dass es Veranstaltungsformate gibt, die nicht mehr zeitgemäß sind.

Zum Beispiel die Podiumsdiskussion. Allenfalls zu zweit, mit einer gut vorbereiteten Moderatorin, ist es möglich, sich innerhalb von vielleicht einer Stunde dem Kern eines Themas zu nähern.

In der Regel sehen Podien allerdings so aus, dass Mensch möglichst viele Personen einlädt - also so mindestens fünf - und die alle aneinander vorbeibrabbeln lässt. Bonus ist, wenn die Moderation immer dann ins Wort fällt, wenn grade etwas Interessantes erklärt wird oder Mensch der Sache näher kommt.

Oft verkommen Podien zu einem Ort, an dem Worthülsen im Minutentakt abgesondert werden, ohne dass sich irgendjemand nur ansatzweise dem Thema nähert.

Christopher Lauer. Foto: Lisavan. Lizenz: CC BY-SA 2.0.

Twitter versprach eine Zeit lang Interaktivität und das Aufbrechen verkrusteter Strukturen. Allerdings wird es als unhöflich empfunden, wenn während einer Podiumsdiskussion in das mobile Endgerät geguckt wird - und somit verstarb diese Möglichkeit, bevor sie überhaupt jemals lebte.

Twitterwalls werden vor allem dazu benutzt, Dinge zu verlautbaren, die nichts mit der Diskussion zu tun haben, oder um Teilnehmer des Podiums anzugehen.

Fragerunden sind auch ein beliebtes Mittel, um Podiumsdiskussionen aufzulockern. Irgendwann also ist das Publikum an der Reihe und darf auch mal versuchen, was der Moderation zwei Stunden lang nicht gelungen ist. Doch kann vor dem Stellen der Frage noch so oft darauf hingewiesen werden: Es werden nie Fragen gestellt.

Der Fragenteil einer jeder Podiumsdiskussion ist stattdessen der Zeitpunkt der Koreferate: der Platz, an dem die zu Wort kommen, die durch ihre Wortbeiträge zeigen wollen, dass auch sie auf dem Podium hätten sitzen können, es jedoch nicht taten, weil sie niemand einlud. Das ist noch nicht mal ein deutsches Phänomen, es scheint überall so zu sein.

Jetzt ist die Frage: Ist das Podium noch zu retten?

Meine Antwort: Nein.

Klar könnte man sich überlegen, mit welchem technischen Schnickschnack eine solche Diskussion dynamischer, lebhafter und interessanter werden könnte. Aber eigentlich läuft alles auf diese Rechnung hinaus: Wie lange dauert die Diskussion, wie viele Teilnehmer habe ich, wie lange werden sie sprechen können, wenn die Gesprächszeit gereicht verteilt wird? Oft sind das zehn oder weniger Minuten bei den gängigen Formaten.

Wir würden niemanden zu einer Veranstaltung einladen, die "Sie dürfen auch mal zehn Minuten reden" heißt. Bei Podien scheint das akzeptiert zu sein. Daher würde ein klares Bekenntnis wider die Podiumsdiskussion reichen, ein Moratorium würde sogar helfen.

Aber, damit es jetzt hier auch etwas konstruktiv wird: Es gibt natürlich Formate, die richtig gut funktionieren. Pecha Kucha zum Beispiel. 20 Powerpoint-Folien, die in jeweils 20 Sekunden abgehandelt werden müssen, führen zu einem 6 Minuten 40 Vortrag, von dem das Meiste hängen bleibt, weil es eben auf den Punkt gebracht werden musste. Die Zeit, die für das Erstellen aufgewendet werden muss, spart man sich dann also beim Vortrag, der dafür kurz und prägnant ist.

Christopher Lauer ist Vorsitzender der Piratenfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus und hat sich auf Twitter nach einer von Groucho Marx gespielten Figur aus Frank Tashlins Film Will Success Spoil Rock Hunter? benannt. Er mag den Humor in der Cartoonserie Family Guy.