Griechenland: Hilfe, die Hilfen!

Auf der Suche nach Einnahmen. Bild: W. Aswestopoulos

Der Dauerzustand der Rettung und die ernüchternde Ergebnisse einer Umfrage

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Der Bundestag beschloss gestern, die "Griechenlandhilfen" weiter fort zu setzten. Damit bestätigte das Parlament eine in der Nacht zum Dienstag von der Eurogruppe mit Griechenland abgeschlossene Vereinbarung zur erneuten Rettung. Im Prinzip ging es nur darum, das umzusetzen, war seit dem von der EU begrüßten Wahlsieg Antonis Samaras im Juni 2012 erwartet worden war. Wie ein erneuter Wahlkampf wirkte denn auch des Premiers Jubelvideo, bei dem die Kommentarfunktion wohlweislich abgeschaltet worden war.

Gab es eine Rettung?

Der "Erfolg" der Eurogruppe bringt die griechische Realwirtschaft keinen Schritt weiter. Denn die Tranchen, die nun, beginnend am 13. Dezember, in drei Raten bis zum Frühjahr 2013 gezahlt werden sollen, waren eigentlich allesamt für 2012 vorgesehen. Von den knapp 10 Milliarden, die vom Staat an Privatunternehmen geschuldet werden, gehen maximal drei Milliarden der ersten Tranche hauptsächlich an internationale Pharmafirmen. Mit 24 Milliarden Euro geht der Löwenanteil der ersten Rate, der Mammuttranche von 31,2 Milliarden Euro, an Banken. Knapp fünf Milliarden sind nötig, damit die aufgrund der steten Verzögerung der Kreditauszahlung für Zwischenfinanzierung notwendigen Kurzanleihen gedeckt werden können. Im Land selbst kommt somit erneut kaum etwas von den Rettungsgeldern an.

Busunternehmen wie das von Thessaloniki, das wegen mangelnder Liquidität keinen Sprit hat und daher in der laufenden Woche seinen Betrieb einstellen musste, könnten erst im März auf eine Erlösung hoffen. Die KTEL-Busse des privaten Unternehmens decken im öffentlichen Auftrag auch den Personennahverkehr ab. Dabei wurden vor der erneuten drastischen Erhöhung der Mineralölsteuern Garantiepreise für Schulbusse ausgehandelt. Dummerweise aber zahlt der Staat seine Rechnungen an Privatunternehmen nicht mehr. Die vom Staat emsig gestützten Banken sehen in den offenen Rechnungen des Staats keine Garantie und verweigern daher die Bereitstellung von Liquidität. Erst das Einlenken der Mineralölfirmen konnte am Donnerstag eine Wiederaufnahme des seit dem vergangenen Wochenende eingestellten Busverkehrs ermöglichen.

Trübe Bankaussichten

Seit den frühen Morgenstunden des vergangenen Dienstags versuchen zahlreiche Analytiker, die erneute Rettungsvereinbarung der Eurozone zu entschlüsseln. Denn im Detail steckt der Schlüssel für den erneut sicher erscheinenden Misserfolg.

Für die Propheten der Citigroup ist der Fall bereits jetzt klar. Sie erwarten statt eines Wachstums 2014 eine weiter ansteigende Rezession. Die Zahlen sind erschreckend. Für 2012 beläuft das Wirtschaftswachstum auf -7,2 Prozent, so die Citigroup, für 2013 sollen es -7.4 Prozent sein, -11.8 erwarten die Banker für 2014 und erst 2015 soll das letzte Rezessionsjahr immerhin noch einmal -3.7 Prozent liefern.

Die Finanzfachleute vermuten, dass das Land durch die Art und Weise der vorgeblichen Rettung mit mehr oder weniger sanfter Gewalt aus der Eurozone gedrängt werden soll. Mit dem dadurch notwendigen Währungswechsel und der folgenden Inflation wird ein Anstieg des Schuldenquotienten auf mehr als 400 Prozent vorhergesagt.

Dass auch der OEC Griechenland 2014 eine weitere Rezession von mindestens 1,3 Prozent, statt des bis zum gestrigen Eurogruppenentscheid Minimalwachstum verkündet hat, zeigt, dass das jetztige Programm in der vorliegenden Form ohnehin nicht stehen kann. Denn jede Abweichung von dem aktuellen Rettungsprogramm zu Grunde liegenden Eckdaten hat, gemäß dem nun vereinbartem Automatismus, neue Steuererhöhungen, Renten- und Lohnkürzungen für die Griechen zur Folge. Das betonte Eurogruppenchef Jean Claude Juncker bereits am frühen Dienstagmorgen in der Pressekonferenz zum Konsens der Retter.

Bundeskanzlerin Merkel bei ihrem Athen-Besuch im Oktober. Bild: W. Aswestopoulos

Wer zahlt?

Vor allem beim Thema der Rentenkürzungen gibt es jedoch ein technisches Problem. Weitere Kürzungen sind kaum mehr möglich. Vor der Auszahlung des IWF-Anteils der zum 13. Dezember avisierten Gelder hat der IWF eine weitere Bedingung gestellt. Die griechische Regierung soll bis dahin belegen, wie sie den verbilligten Rückkauf von Staatspapieren bewerkstelligen möchte. Mit dem Rückkauftrick soll der erneute Schuldenschnitt als freiwillige Aktion kaschiert werden. Denn die Aktion sieht wie ein Schuldenschnitt aus und wirkt auch so, nur in der deutschen Öffentlichkeit traut man sich bisher kaum, den am Montag vereinbarten Schritt auch beim Namen zu nennen. Ein Schelm, wem dabei Orwellsche Euphemismen einfallen.

Für ungefähr 35 Eurocent pro Euro, dem am 25.11.2012 gehandelten Kurs für griechische Staatsschuldscheine, soll Finanzminister Yannis Stournaras schlicht die eigenen Schulden verbilligt zurückkaufen. Einen Extrakredit für die Finanzierung dieser Aktion gibt es natürlich nicht. Stattdessen kursieren in Athen Gerüchte, dass zahlreiche Finanzinvestoren bereits vorher von dieser Regelung Wind bekamen und sich für Preise ab 20 Eurocent mit entsprechenden Pfandbriefen eindeckten.

Schon jetzt haben sich die Banken dieser Regelung verweigert. Finanzminister Stournaras appellierte deshalb an den Patriotismus der Griechen. Die Kleinanleger und die Sozialversicherer sollen bluten. Vielen nun als Kleinanleger bezeichneten Griechen wurden die jetzt toxischen Staatsanleihen einst als Bezahlung für offen stehende Rechnungen aufgezwungen. Sie mussten bereits beim Schuldenschnitt vom Juni 2011 und vom März 2012 bluten. Nun sollen sie erneut zur Kasse gebeten werden.

Klar, dass dies für mittelständische Unternehmer das endgültige Aus bedeutet. Ebenso verständlich erscheint, dass die Sozialversicherer nach einem erneuten Schuldenschnitt nahezu vollkommen zahlungsunfähig werden. Bereits jetzt schulden sie den Apotheken und Krankenhäusern Milliardenbeträge, da der Wertverlust der zwangsweise erworbenen Staatsanleihen bei den rücklagenfinanzierten Anstalten nicht mehr kompensiert werden kann. Privatbanken erhalten dagegen nun die milliardenschweren Liquiditätshilfen, welche den Verlust des Schuldenschnitts ausgleichen sollten.

Sozialversicherer sind ebenso wie Universitäten und andere öffentliche Unternehmen verpflichtet, ihre Gelder bei der Griechischen Notenbank zu deponieren. Deren Chef entscheidet dann auf Befehl der jeweiligen Finanzminister, was mit dem Kapital zu geschehen hat. In der Regel geschieht dies mit dem Kauf von Staatsanleihen. Jedoch wurden zu Zeiten der Börsenkrise Anfang des Jahrtausends Versicherungsgelder auch zur Steuerung von Aktienkursen eingesetzt. Diese Vorgänge sind juristisch und politisch immer noch nicht vollständig aufgearbeitet. Für die politisch verantwortlichen Entscheidungsträger endet die Haftungsperiode nach zwei, auf die fraglichen Vorgänge folgenden Sitzungsperioden des Parlaments. So steht es in der Anfang des Jahrtausends beschlossenen Revision der griechischen Verfassung.

Kommentator Giorgos Delastik rechnet deshalb vor, dass den griechischen Renten- und Krankenversicherungskassen von 100 im Februar 2012 als Guthaben existierenden Euros nach dem erneuten Schnitt nur 26 Euro bleiben würden. Das wiederum bedeutet auch ohne Verfehlungen bei den Reformmaßnahmen eine drastische Einschränkung bei den Renten. Denn die Auszahlung der Ruhegelder ist per Gesetz an die Kapitaldeckung der staatlichen Versicherer gebunden. Ohne Renten und ohne Begleichung der Pharmarechnungen kann die ohnehin gebeutelte Realwirtschaft jedoch kaum existieren, geschweige denn die gestiegenen Steuerbelastungen tragen. Ergo werden durch den Automatismus als weitere Maßnahmen neue Steuern erhoben und weitere Gehaltskürzungen angeordnet werden.

Die öffentliche Meinung

Eine am Dienstag veröffentlichte Umfrage des Instituts Marc für den Sender Alpha TV zeigte, wie die Griechen bis zum Abend vor dem erneuten Rettungskompromiss dachten:

  • 59,5% haben kein Geld, um die Steuern zu zahlen.
  • 46,3% der Haushalte können laufende Rechnungen nicht rechtzeitig zahlen
  • 92,6% haben die Ausgaben für Kleidung und Schuhe gestrichen
  • 91,7% haben den Restaurantbesuch eingeschränkt.
  • 17,5% haben wortwörtlich das tägliche Brot eingeschränkt oder kaufen gar keins mehr.
  • 16,2% haben Gleiches mit der Milch gemacht.
  • 15,9% erwarten ein Ende der Krise für 2020, 24,8% sehen es später als 2020 und 9,3% glauben an eine Krise ohne Ende.
  • 35,4% haben im Privatsektor noch ausstehende Lohnforderungen
  • 27,1% fürchten sich, ihren Job mit Sicherheit und kurzfristig zu verlieren, 33,1% rechnen mittelfristig damit.

In der Bevölkerung schaut es wirklich nicht gut aus. Dabei ist ein Großteil des jüngst beschlossenen neuen Sparpakets noch nicht in Kraft. Erst ab 1.1.2013 tritt die volle Härte ein.

Arbeit? Aber wo und wie?

Zu diesen wirklich nicht guten Aussichten hinzu kommt die Vorhersage der Entwicklung der Arbeitslosenquote für 2013. Hier erwarten die Banker der Citibank 29.7 Prozent, der Peak soll 2015 und 2016 mit jeweils 40.3 Prozent erreicht sein. Das wäre ein neuer Rekord für das Land, das mit 57 Prozent Jugendarbeitslosigkeit bereits jetzt den bisherigen europäischen Spitzenreiter Spanien abgelöst hat. Pessimistischer als die Banken sind Gewerkschaftler. Griechenlands Angestelltengewerkschaft erwartet bereits für 2013 eine Arbeitslosenquote von über 35 Prozent.

Es ist somit nicht ohne weiteres möglich, die Schulden des Staats und der Privathaushalte schlicht durch Mehrarbeit zu kompensieren. Denn dazu müssten erst einmal die Rahmenbedingungen für Arbeit geschaffen werden. Auch dort, wo die Menschen noch Arbeit haben, besteht das Problem der Zahlung.

Viele Arbeitgeber brechen das ohnehin bereits aufgeweichte Arbeitsrecht, da sie im zerfallenden Staatssystem kaum Strafen fürchten müssen. Schwarze Listen über schlechte Arbeitgeber, mit denen Arbeitnehmergruppen reagieren können hier kaum etwas ausrichten.

Wo sparen die Griechen, wo verschwenden sie weiter?

Außer den vom Staat verweigerten Begleichungen offener Rechnungen gibt es auch weitere Einschnitte bei den Ausgaben. Während das erste Sparpaket wirtschaftlich ein Eigentor darstellt, sollte das zweite den vorher überhitzten und verschwenderischen griechischen Markt gesunden. Die Eurogruppe bescheinigte den Griechen in diesem Zusammenhang Fortschritte. Aber auch hier liegt der Teufel im Detail.

Tatsächlich wird nahezu alles Überflüssige oder Verzichtbare, wie zum Beispiel die Teilnahme am Eurovisionswettbewerb, gestrichen. Nicht eingeschränkt werden jedoch Dinge, die den Herrschern selbst Freude bereiten. So ließ es sich Tourismusministerin Olga Kefallogianni nicht nehmen, ein Werbevideo für ihr Land zu drehen, um Touristen ins Land zu locken. Als Location wählte sie London. Dort tanzte sie als Animierdame für einen Flashmob, trat gleichzeitig als mit Mobiltelefon filmende Teilnehmerin auf und zeigte den Londonern sichtlich ihre Lebensfreude.

Eine Extragage bekam die Ministerin nicht. Jedoch belaufen sich die reinen Produktionskosten des Machwerks auf knapp 80.000 Euro. Ob jemand mit einem Bild der Londoner Skyline und einer inmitten zahlreicher Engländer tanzenden Ministerin Urlauber nach Hellas locken kann oder eher an die Themse schickt und ob die Gelder sinnvoll angelegt wurden, wollten viele Wähler bezweifeln. Sie können es nicht. Denn auch bei diesem Video wurde die Kommentarfunktion abgeschaltet.

Trivia zum Schluss

Am 27.11.2011 verkündete Giorgos Andreas Papandreou in seiner Funktion als frisch abgesetzter Premier und damaliger Parteichef der PASOK spät in der Nacht stolz: "Morgen bricht ein neuer Tag für Griechenland an." Seinerzeit hatte die Eurogruppe gerade einen Schuldenschnitt vereinbart.

Am 27.11.2012 trat spätnachts Antonis Samaras vor die Kameras. "Morgen bricht ein neuer Tag für die Griechen an", war auch sein knappes Statement. Vielleicht sollte man den 27.11. als "Gedenktag für die jährliche Bewältigung der griechischen Eurokrise" manifestieren. Alternativ könnte auch erneut über das erneut von Papandreou vorgeschlagene Referendum zu Europa diskutiert werden. Denn auch dieser Vorschlag wurde 2012 von Papandreou nahezu auf den Tag genau wiederholt.

Bei Papandreous Video sind Kommentare möglich. Das Interesse am Kommentieren ist jedoch ebenso wie der Zuschauerzuspruch gering. Griechenlands Krise wird, das ist sicher, noch zahlreiche "Rettungskompromisse" liefern und offensichtlich noch eine Reihe von griechischen Regierungen und Politstars verschleißen.