Kein Gang zum Sozialamt mehr für Rentner - kein Grund zum Jubeln

Die von Ursula von der Leyen angedachte Zuschussrente wird zur "Lebensleistungsrente" und soll den Rentnern ein Auskommen ermöglichen. Doch der Teufel liegt im Detail.

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Von der Zuschuss- zur Lebensleistungsrente

Das aktuelle politische Projekt der deutschen Arbeitsministerin, die Zuschussrente, hat zwar seine ersten Hürden genommen - doch der neue Name ist einerseits stark an die Parole "Leistung muss sich wieder lohnen" angelehnt, andererseits zeugt er auch von einem langen Ringen nicht nur um den Namen, sondern auch um das Konzept an sich.

Die Opposition wähnte es bereits vom Tisch nachdem die Ministerin bei der Kanzlerin auf Widerstand stieß. Dies war letztendlich das Resultat des riskanten Spiels, das Ursula von der Leyen spielte, um ihr Projekt noch durchzusetzen.

"Bis Ende Oktober erwarte ich Richtungsentscheidungen." richtete sie das Wort mehr oder minder direkt an die Kanzlerin, obgleich zu dem Zeitpunkt (an dem sie vollmundig verkündete, auch diesen Kampf durchzustehen) bereits klar war, dass ihr Projekt höchstens noch in stark modifizierter Form kommen würde.

Für Ursula von der Leyen war die Zuschussrente jedoch mehr als nur ein Projekt, es war für sie erneut eine Möglichkeit, sich als durchsetzungsfähige und kämpferische Natur zu profilieren, wie sie es schon bei anderen Projekten tat. Daher wird sie von vielen auch als starke Frau wahrgenommen, die sich gegen Widrigkeiten durchsetzt - was aber den Blick darauf verstellt, dass hinter diesem vermeintlichen Durchsetzungsvermögen nicht nur ein stures, sondern auch ein manipulatives Wesen steckt, das auch vor frisierten Zahlen oder offenen Täuschungen nicht zurückschreckt, wenn es darum geht, ein Projekt um jeden Preis zu verwirklichen.

Es ist insofern auch wenig verwunderlich, dass die Ministerin die Lebensleistungsrente nun in ihrem Sinne zu feiern wusste. „Die Sieger dieses Gipfels, das sind die Geringverdiener.“ verkündete sie nach dem Koalitionsgipfel - als klar war, dass die Lebensleistungsrente von der Koalition angenommen worden war. Doch wer die Details der Lebensleistungsrente betrachtet, der stellt fest, dass sie erstens dem Arbeitslosengeld II (ALG II) ähnelt, dass sie zweitens keineswegs für alle Geringverdiener eine Verbesserung bringen wird und dass sie drittens dazu gedacht ist, die Finanzindustrie indirekt zu subventionieren.

850 Euro für jeden? Mitnichten

Bei 850 Euro sollte die von Frau von der Leyen geplante Zuschussrente liegen. Doch diese Zahl findet sich im Koalitionsbeschluss nicht. Dort gibt es lediglich eine Formulierung, die aufzeigt, dass die Höhe der Lebensleistungsrente von Wohnort zu Wohnort variieren kann. Denn es ist nur festgeschrieben worden, dass für Menschen mit kleinem Rentenanspruch und langer Lebensleistung die „Grenze der Höherbewertung [...] knapp oberhalb der Grundsicherung“ liegen soll. Der Begriff Grundsicherung ist hier jedoch nicht näher definiert. Der Mindestbetrag, den ein Rentner selbst dann erhält, wenn er nie gearbeitet hat, ist ortsabhängig, da er sich auch an den Lebenshaltungskosten des jeweiligen Einzugsbereichs orientiert.

Wer sich ansieht, wie beispielsweise seitens der FDP der Koalitionsbeschluss interpretiert wird, der sieht, dass es noch eine andere Möglichkeit gibt: Mit "Grundsicherung" könnte auch der bundesweit durchschnittliche Grundsicherungsbetrag gemeint sein. Heinrich Kolb, der Rentenexperte der FDP, wird dahin gehend zitiert, dass man bei der FDP eben von diesem Wert ausgegangen sei, als die Grundsicherung ihren Weg in den Koalitionsbeschluss fand.

Das hieße sogar, dass manch Rentner unter dem Grundsicherungsniveau seiner Gegend bleiben würde, da der durchschnittliche Wert gerade einmal bei 688 Euro liegt. Vereinfacht gesagt: Ob und wie viel der Rentner nun erhält, wenn er lediglich Geringverdiener war, ist von vielen Faktoren abhängig - unter anderem von seinem Wohnort und den dort herrschenden Lebenshaltungskosten. Wer in einer Gegend mit hohen Lebenshaltungskosten wohnt, der wird letztendlich - folgt man der Ansicht Herrn Kolbs - von der Lebensleistungsrente nicht profitieren, sondern weiterhin zum Sozialamt gehen müssen, um ein Auskommen zu haben.

40 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt

Die nächste Hürde für den "Vom Gang zum Sozialamt befreiten Rentner" ist die Anforderung, mindestens 40 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt haben zu müssen. Dies mag bei manchem Rentner derzeit noch leicht zu bewerkstelligen sein. Angesichts der Änderung typischer Erwerbsbiografien seit den 1970er Jahren, Niedriglöhnen und der Ausbreitung von 400-Euro-Jobs wird es aber in der Zukunft immer schwieriger, Zuschüsse selbst zu zahlen, um auf die erforderlichen 40 Jahre zu kommen.

Die Lebensleistungsrente soll diejenigen unterstützen, die Geringverdiener waren. Aber sie lässt offen, wie Zuschussbeiträge von diesen Geringverdienern aufgebracht werden sollen. Ähnlich gestaltet sich die Überlegung hinsichtlich der privaten Vorsorge: Denn nur wer nebenher auch bereits privat vorgesorgt hat (wobei hier lediglich die sozusagen anerkannten Vorsorgemöglichkeiten wie die Riester-Rente gelten, nicht jedoch z. B. Vorsorge durch Eigentumserwerb oder ähnliches), soll von der Lebensleistungsrente profitieren können, was eine Vielzahl der Rentner bereits ausschließen dürfte.

Mein Mann erhält zu viel Rente

Doch auch dann, wenn 40 Jahre lang in die Rentenkasse eingezahlt, privat vorgesorgt und die Problematik der Grundsicherung geklärt ist, besteht noch kein Grund für denjenigen, der nur eine sehr niedrige Rente erhält, zu jubeln. Denn bei der Lebensleistungsrente haben sich die Verantwortlichen an ALG II orientiert, was bedeutet, dass nicht nur das eigene Einkommen, sondern auch das des Ehepartners oder des Partners in eheähnlicher Gemeinschaft mit angerechnet wird.

Die Deutsche Rentenversicherung distanziert sich zwar deutlich von Ideen wie dem "Zählen der Zahnbürsten im Haus" - doch klar ist, dass (ähnlich wie bei ALG II) die privaten Verhältnisse des Rentners eine Rolle spielen und ggf. auch überprüft werden müssen.

"Eine befriedigende verwaltungstechnische Umsetzung der Regelung zur Anrechnung des Einkommens von Personen, die in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftlicher Gemeinschaft mit dem Berechtigten leben, ist nicht möglich." schreibt die Rentenversicherung in einer internen Stellungnahme an das Arbeitsministerium und macht deutlich, dass solche Überprüfungen, wenn notwendig, seitens der Kommunen stattfinden müssten.

Damit wird dann die Aufgabe der Überprüfung zwischen den Kommunen und den Rentenversicherern hin- und hergeschoben und ein bürokratisches Monster entsteht, das gleich zwei Stellen auf einmal damit beschäftig, die Lebensverhältnisse der Rentner zu durchleuchten und (wie bei ALG II) zu entscheiden, ob ein Mitbewohner nun ein Mitbewohner oder ein Partner in einer eheähnlichen Gemeinschaft ist.

Sollten die Kommunen diese Aufgabe allein übernehmen, so würde dem Rentner der Gang zum Sozialamt eben nicht erspart bleiben – nur müsste er mehr als bisher über sein Privatleben offenlegen. Die Lebensleistungsrente erweist sich insofern, noch bevor sie in Gesetzesform gegossen wurde, als bürokratisches Monstrum, das die Situation nur für eher wenige Menschen verbessern wird.