Weitere Merkwürdigkeit in der Wegsperr-Affäre

Als der leitende Arzt einer Nervenheilanstalt Gustl Mollath 2007 bescheinigte, "psychopathologisch unauffällig und geschäftsfähig" zu sein, forderte die Strafvollstreckungskammer Nürnberg ein Gegengutachten aus Berlin an

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Nachdem der Nürnberger Gustl Mollath wegen heute stark zweifelhafter Tätlichkeitsvorwürfe und angeblichen "Wahnvorstellungen" über Schwarzgeldgeschäfte bei der Hypo-Vereinsbank (die sich mittlerweile als Tatsachen herausstellten) von einem Richter in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen wurde, kam er 2007 in das psychiatrische Bezirksklinikum im niederbayerischen Mainkofen. Der dortige leitende Arzt, Dr. Hans Simmerl, untersuchte ihn drei Stunden lang intensiv und kam zu dem Ergebnis, dass der Zwangseingewiesene "psychopathologisch unauffällig und geschäftsfähig" war.

In dem Gutachten, das Simmerl damals anfertigte, schilderte er Mollath als "ruhigen, gefassten und überlegten Menschen". Außerdem hielt er fest, dass ihm der Festgehaltene in einer durchaus geordneten Art und Weise von Schwarzgeldgeschäften erzählte und er den Wahrheitsgehalt dieser Angaben nicht nachprüfen könne. Das für das Betreuungsverfahren zuständige Amtsgericht Straubing regte aufgrund dieses Gutachtens bei der Strafvollstreckungskammer die Freilassung Mollaths an. Verhindert wurde diese Freilassung von der Strafvollstreckungskammer Nürnberg, die einen Berliner Professor mit einem Gegengutachten beauftragte. Das allerdings soll aus der Ferne und ohne persönliche Inaugenscheinnahme zustande gekommen sein.

Bezirksklinikum Mainkofen. Foto: Kereul. Lizenz: CC BY-SA 3.0.

Bereits vor Bekanntwerden des Gutachtens aus Niederbayern kam der Jurist Oliver García zum Schluss, dass die Affäre Mollath gesetzgeberischen Handlungsbedarf hinsichtlich stärkerer Zwangseinweisungskontrollen und geringerer Revisionshürden offenlegt. Anlass dazu sieht er unter anderem in der Tatsache, dass ein Amtsrichter den Whistleblower am 22. April 2004 unter Verweis auf § 81 der Strafprozessordnung (StPO) "für bis zu sechs Wochen" in die Psychiatrie einweisen lassen konnte, "obwohl - oder gerade weil - Mollath eine Untersuchung verweigerte".

Für García war diese Einweisung (gemessen an der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts) nicht nur "unzulässig", sondern auch derart "rechtswidrig und verfassungswidrig", dass man anhand eines neueren BGH-Urteils vom 31. Mai 2012 (2 StR 610/11) "vorsichtig die Frage stellen" könne, "ob sich [der] Richter [...] wegen Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung strafbar gemacht hat". Und er fragt sich, ob nicht die Staatsanwaltschaft wegen solch eines Verdachts der Rechtsbeugung einschreiten und die Einweisung verhindern hätte müssen. Dass dies offensichtlich nicht geschah, ist für den Anwalt ein Zeichen dafür, dass "verfahrensrechtliche Absicherungen" fehlen und in den § 81 StPO aufgenommen werden sollten.

Ebenfalls Reformbedarf sieht er im Revisionsrecht, das die Rechtsprechung seiner Wahrnehmung nach durch "teilweise fast kafkaesk anmutende Begründungsanforderungen feinsinnigster Art" in der Praxis derart eingeschränkt hat, dass auch eine so "offensichtliche Verletzung der richterlichen Aufklärungspflicht" wie im Fall Mollath "nicht ohne weiteres" in der nächsten Instanz ausgebügelt werden kann. Der Gesetzgeber sollte seiner Ansicht nach hier schon alleine deshalb einschreiten, um einen möglichen Verstoß gegen Artikel 2 Protokoll Nummer 7 der Europäischen Menschenrechtskonvention zu beheben, die einen Anspruch auf eine zweite Instanz gewährt.

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