Hintergrundmusik in Arztpraxen ist nicht vergütungspflichtig …

… auch wenn die GEMA das Gegenteil behauptet!

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"Damit Ihnen rund um die aktuellen Entwicklungen in der Rechtsprechung nichts entgeht, sammeln wir hier fortlaufend die aktuellen Urteile der Gerichtshöfe für Sie." schreibt die GEMA wörtlich auf ihrer Webseite in der Rubrik "10 Fragen - 10 Antworten". Eine Suche auf der GEMA-Webseite zum Urteil des Europäischen Gerichtshof (EuGH) über die nicht bestehende Vergütungspflicht für Hintergrundmusik in Arztpraxen verläuft jedoch ergebnislos. Honi soit qui mal y pense?!

Offensichtlich wagt die GEMA nicht auf ihrer Webseite zu behaupten, das unter dem Titel Volle Dröhnung vergütungspflichtig, nicht aber Hintergrundmusik! besprochene Del-Corso-Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 15. März 2012 sei unbeachtlich für Vergütungsforderungen der GEMA für Hintergrundmusik in Arztpraxen. Dies tut die GEMA jedoch, wenn Ärzte unter Berufung auf das Urteil ihren Vertrag mit der GEMA kündigen.

Nun ist der EuGH nicht irgend ein Gericht, sondern allein für die Auslegung des EU-Rechts zuständig, um zu gewährleisten, dass das EU-Recht in allen EU-Mitgliedstaaten auf die gleiche Weise angewendet wird. Um eine tatsächliche und einheitliche Anwendung des Unionsrechts sicherzustellen und divergierende Auslegungen zu verhindern, können und müssen mitunter nationale Gerichte sich an den Gerichtshof wenden und ihn um eine Auslegung des Unionsrechts bitten, um etwa die Vereinbarkeit ihrer nationalen Rechtsvorschriften mit dem Unionsrecht prüfen zu können. Der Gerichtshof antwortet nicht durch ein bloßes Gutachten, sondern durch Urteil. Das nationale Gericht, an das das Urteil gerichtet ist, ist bei der Entscheidung über den bei ihm anhängigen Rechtsstreit an die Auslegung des Gerichtshofs gebunden. In gleicher Weise bindet das Urteil des Gerichtshofs aber auch andere nationale Gerichte, die mit dem gleichen Problem befasst werden.

Also: Das EuGH-Urteil entfaltet rechtliche Wirkung in Deutschland!

Das Urteil soll nach der Ansicht der GEMA nur "die individuelle Auslegung des Begriffs der öffentlichen Wiedergabe im Sinne des Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 92/100" für Tonträgerhersteller und ausübende Künstler beinhalten und "auf das Wiedergaberecht des Urhebers nicht übertragbar" sein, obwohl der EuGH den Begriff einheitlich für das Unionsrecht auslegt und in dem Urteil ausdrücklich auch eine weitere EU-Richtlinie erwähnt und zwar die "Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft". In Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie heißt es: "Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass den Urhebern das ausschließliche Recht zusteht, die drahtgebundene oder drahtlose öffentliche Wiedergabe ihrer Werke einschließlich der öffentlichen Zugänglichmachung der Werke in der Weise, dass sie Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich sind, zu erlauben oder zu verbieten."

Also: Die GEMA behauptet also wider besseren Wissens, "der Öffentlichkeitsbegriff für Urheberrechte wird in der (...) Entscheidung nicht behandelt"!

Die GEMA ist der Ansicht, mit Ablauf eines Vertrages sei der Arzt bei weiterhin stattfindenden Musikwiedergaben in der Praxis schadenersatzpflichtig. Das ist falsch, da der EuGH unmissverständlich feststellt, dass es für eine Bejahung der "Öffentlichkeit" nicht genügt, wenn sich nur einige Patienten in der Praxis befinden. Von einer Öffentlichkeit ist nur dann auszugehen, wenn diese "aus recht vielen Personen" besteht, während der Kreis der gleichzeitig in einer Zahnarztpraxis anwesenden Personen begrenzt ist. Auch sind neben der reinen Zahl der anwesenden Personen zusätzliche Kriterien zu beachten, so etwa die Rolle des Arztes. Aufgabe eines Arztes ist es, die Behandlung seiner Patienten zu gewährleisten und diese nicht mit Musik zu unterhalten.

Foto: US Navy

Es besteht auch kein Unterschied zwischen italienischen und deutschen Arztpraxen, es sei denn, die GEMA hat die "Praxisgebühr" bewusst missverstanden und nimmt an, hierbei handele es sich um einen "Eintritt", also um eine Vergütung, um eine (Musik)Veranstaltung besuchen zu dürfen. Auch wenn eine ärztliche Visitation manchmal kürzer ausfällt als der Aufenthalt im beschallten Wartezimmer, zahlt der Patient die Praxisgebühr nicht für den Musikgenuss im Wartezimmer, sondern für den "Auftritt" des jeweiligen Arztes.

Also: Keine GEMA-Gebühren in der Arztpraxis!

Die GEMA nimmt nicht eigene Rechte wahr, sondern treuhänderisch Rechte ihrer Mitglieder. Um tätig werden zu dürfen, bedarf die GEMA deshalb einer Erlaubnis (§ 1 Abs. 1 des Urheberrechtswahrnehmungsgesetzes - WahrnG). Die Erlaubnis wird vom Deutschen Patent- und Markenamt erteilt, das auch die Aufsicht über die der GEMA nach dem WahrnG "obliegenden Verpflichtungen" hat. Diese Aufsicht erstreckt sich auch auf die Überwachung der Einhaltung von Entscheidungen der Gerichte, also auch des Europäischen Gerichtshofes. Das Amt wird aber nicht tätig, obwohl Ärzte das Amt bereits aufgefordert haben, aufsichtsrechtliche Massnahmen gegenüber der GEMA zu ergreifen. Honi soit qui mal y pense?!

Prof. Dr. Lambert Grosskopf LL.M.Eur. ist Fachanwalt für Informationstechnologierecht (IT-Recht) und für Urheber- und Medienrecht.