Wo stehen die Parteien in Sachen Bürgerbeteiligung?

Zum Telepolis-Gespräch Politik im Netz / Netzpolitik

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Seit gut 15 Jahren ist das Internet Alltagsbestandteil im Leben der Deutschen - aber erst in den letzten Jahren wurde es offen verhandelter Gegenstand der Politik. Teils wirken die Positionen und der Umgang der Parteien mit dem Netz aber diffus. Im zweiten Telepolis-Gespräch "Politik im Netz / Netzpolitik" am vergangenen Montag wurde Vertretern der sechs wichtigsten Parteien in Bayern deshalb ein Podium geboten, ihre Meinungen und Standpunkte zum (sowie ihren Umgang mit dem Netz) klarer zu machen.

Gleich zu Beginn bot sich auf dem Podium ein unerwartetes Bild: Entgegen dem, was man gemeinhin vom politischen Alltag gewohnt ist, entschieden sich die relativ jungen Vertreter der Parteien (sozusagen "selbstorganisatorisch") für eine recht undogmatische Sitzordnung jenseits zu erwartender Rechts-Links-Schemata oder parteipolitischer Bündnisse. Ein Eindruck, der sich auch bezüglich der politischen Inhalte im Lauf des Abends bestätigen sollte. So scheinen in der bundesdeutschen Politiklandschaft Positionen zu netzpolitischen Themen innerparteilich teils weiter voneinander entfernt zu sein als zwischen den einzelnen Podiumsteilnehmern. Dementsprechend zeigten diese auch deutlich weniger Berührungsängste, als ihre Parteigranden öffentlich pflegen.

Von links nach rechts: Dieter Janecek (Grüne), Jimmy Schulz (FDP), Michael Beer (CSU), Moderator Peter Mühlbauer, Christian Hanika (FW), Stefan Körner (Piraten), Doris Aschenbrenner (SPD)

Neue Beteiligungsinstrumente befürworten theoretisch alle der anwesenden Parteienvertreter. Allerdings mit unterschiedlichen Nuancen: In den bayerischen Piratenpartei setzt man auf die LiquidFeedback-Modifikation PirateFeedback. Der Piraten-Landesvorsitzende Stefan Körner gibt aber zu bedenken, dass elektronische Ergebnisse ohne weiteres gefälscht werden können, weshalb sie nur sehr bedingt aussagekräftig sind.

Die Liberalen nutzen das Tool New Democracy, mit dem bereits ein Teil des Landtagswahlprogramms zustande kam. Es wurde dem FDP-Bundestagsabgeordneten Jimmy Schulz zufolge für FDP-Mitglieder entwickelt, die zu wenig Zeit haben, um sich vor Ort an Sitzungen zu beteiligen. Ab dem nächsten Jahr soll das Tool auch auf Bundesebene eingesetzt werden. Nicht-FDP-Mitglieder können dort allerdings nur mitdiskutieren und nicht mit abstimmen.

Schulz verwies in diesem Zusammenhang auch auf das seiner Ansicht nach durchaus erfolgreiche Experiment der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft im Deutschen Bundestag, die via Adhocracy erstmals Bürgern die direkte Teilnahme an parlamentarischen Prozessen ermöglichte: Über 3.000 Teilnehmer konnten so öffentliche Streams verfolgen, Dokumente einsehen und mitdiskutieren.

Dieter Janecek, der bayerische Landesvorsitzende der Grünen, will ebenfalls Beteiligungsmöglichkeiten stärken. Er fragt sich allerdings, was man damit konkret erreichen kann und gibt zu bedenken, dass man prüfen müsse, was und wen man mit Beteiligung im Netz erreicht und ob es genügend Zeitressourcen gibt, um auch den Feedback-Prozess leisten zu können. Denn "nur Themen im Netz zur Diskussion zu stellen" ist seiner Ansicht nach zu wenig und zur Erzeugung von Bewegung ist seiner Erfahrung nach der direkte persönliche Kontakt immer noch unumgänglich. Die Vorstellung vom "Wunderland der Beteiligungsdemokratie", wo man "jeden Tag zusammensitzt und klickt, wer im Internet welchen Antrag eingebracht hat", hält er nicht für tragfähig.

Die kürzlich in seiner Partei durchgeführte Urwahl, zu der 60.000 Mitglieder aufgerufen waren, fand Janeceks Auskunft nach unter anderem deshalb klassisch via Brief und nicht online statt, um auch weniger netzaffine Menschen mitzunehmen. Auch ihre zehn Programmschwerpunkte auf Bundesebene wollen die Grünen zukünftig von den Mitgliedern bestimmen lassen. Für diese inhaltliche "Spur" werden 2013 mehrere Konferenzen mit Vordiskussionen stattfinden.

Für Doris Aschenbrenner, die netzpolitische Sprecherin der Bayern-SPD und Bezirksvorsitzende der Jusos Unterfranken, muss beim Thema Online-Beteiligung der Gerechtigkeitsaspekt berücksichtigt werden. Sie stellte die Frage nach dem Zugang zu Beteiligungsformen und einer möglichen "Digitalen Kluft", die quer durch die Gesellschaft geht. Hier sieht sie aus Sicht der Sozialdemokraten Diskussionsbedarf, inwieweit Netzbeteiligung auch Demokratie und Partizipation abbilden kann.

Aschenbrenner geht davon aus, dass es auch zum Wahlprogramm der SPD eine Online-Debatte geben wird. Allerdings tut sich die Bundes-SPD (nicht zuletzt bedingt durch ihre Mitgliedsstruktur) mit Online-Tools zur Beteiligung verhältnismäßig schwer und zieht sich auf rein grundsätzliche Positionen zurück - obwohl man in der Partei durchaus auf technische Erfahrungen im kommunalen Bereich zurückgreifen könnte, etwa in München, wo man Open-Source-Software einsetzt und Open-Government-Projekte plant.

Für die CSU beteiligte sich Michael Beer, der Leiter des Fachbereichs Netzpolitik im Landesvorstand der Jungen Union, an dem Gespräch. Seiner Auskunft nach versteht sich die CSU bereits jetzt als "basisdemokratisch", steht aber auch Veränderungen in Formen der direkten Beteiligung grundsätzlich nicht ablehnend gegenüber. Beer zufolge diskutiert man in seiner Partei aktuell ein Live-Streaming der Ausschusssitzungen des bayerischen Landtages (die "offline" von jedem Bürger besucht werden können) und elektronische Vereinfachungen im Petitionswesen. Mit gestreamten Stadt- und Gemeinderatssitzungen hat man bereits gute Erfahrungen gemacht.

Bei den Freien Wählern scheint Politik im Netz durch den Jugendverband zwar zu einem Thema geworden zu sein, aber dennoch blieb der Landesvorsitzende Christian Hanika am Montag dazu sehr im Allgemeinen. In der vor allem im ländlichen Raum mit seinen langen Arbeitswegen und vielen Wochenendpendlern groß gewordenen Partei sieht man E-Voting (offenbar auch wegen der damit verbundenen Zeitersparnis) aber weniger kritisch als bei den Piraten.