Totale Luftsicherheitskontrolle

Total Airport Security. Bild: tass-project.eu

Die Europäische Union macht Flugsicherheit zur Priorität: Körperscanner, Videoüberwachung, Mikrofone und Sensoren zum Detektieren kleinster Teilchen in der Luft

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Auf ihrem gestrigen Treffen in Brüssel haben die Innenminister der Europäischen Union Schlussfolgerungen zum neuerlichen Ausbau der Flugsicherheit verabschiedet. Mit Passagierdatenregistern, biometrischen Kontrollgates, Körperscannern, Vorabregistrierungen und einem eigenen Netzwerk von Flughafenpolizeien hat die EU bereits eine Reihe entsprechender Maßnahmen eingefädelt. Körperscanner und 100 neue biometrische Kontrollgates sollen die EU-Vorgaben jetzt in Deutschland umsetzen.

Mit sechs Forschungsvorhaben will die Europäische Union Kontrollen an Flughäfen automatisieren. Als Flaggschiff gilt ein Projekt, das seit zwei Monaten am englischen Flughafen Heathrow entwickelt wird: Unter dem Namen "Total Airport Security" (TASS) forschen Firmen, Universitäten und Institute sowie mehrere Flughäfen an der totalen Erfassung von Informationen aus fest verbauter oder mobiler Überwachungstechnologie.

Neben Körperscannern, Videoüberwachung und Mikrofonen kommen auch Sensoren zum Detektieren kleinster Teilchen in der Luft zur Anwendung. Die unterschiedlichen Datenquellen werden dann in einer Schnittstelle "fusioniert". Dabei werden die Daten auch miteinander abgeglichen und auf Ähnlichkeiten untersucht. Dadurch soll sichergestellt werden, dass jede Irritation der "Sicherheitsumgebung" sofort einen Alarm auslöst. Gewonnene Erkenntnisse werden allen interessierten Sicherheitsbehörden überlassen.

Auch der "Cyberspace" wird durchsucht

Ausgeforscht wird damit der gesamte Flughafen sowie Personal, Reisende und Besucher, Fahrzeuge, Fracht, Gepäck und Flugzeuge. Terminal, Rollbahnen sowie Parkplätze werden als 3D-Visualisierung auf den Monitoren des Systems abgebildet. Sogar Erkenntnisse aus dem "Cyberspace" fließen ein.

Bei der Videoüberwachung aufgefallene Personen können automatisch von Kameras verfolgt werden. Wie dieses "Auto video tracking" funktioniert, hatte die Polizei in Dubai nach dem Mord an dem Hamas-Mitglied Mahmoud al Mabhouh Anfang 2010 illustriert. Die Polizei war dadurch in der Lage, den Weg verdächtiger israelischer Geheimdienstler vom Tatort in einem Hotel bis zur Tage zuvor erfolgten Ankunft am Flughafen zurückzuverfolgen (Dubai: Mit Siemens die Datenflut aus Überwachungskameras verwalten). Wie sich die Macher von TASS diese totale Kontrolle vorstellen, wird Interessierten in einem martialischen Werbevideo gezeigt.

TASS wird angeführt vom israelischen Softwareproduzenten VERINT, der auf automatisierte Überwachung für Polizei, Geheimdienste und Militär spezialisiert ist. Die Firma bezeichnet sich als führender Hersteller von "Actionable Intelligence". Gideon Hazzani, der als "Direktor für neue Geschäftstechnologien" vorgestellt wird, lobt u.a. das Wegrationalisieren von Arbeitskräften. Das dürfte die beteiligten "Endnutzer" von TASS freuen. Dazu gehört neben den Flughäfen Heathrow und Athen ein nicht näher bezeichneter Airport in Israel. Es handelt sich wohl den Flughafen Ben Gurion in Tel Aviv, der als einer der sicherheitstechnisch fortschrittlichsten gehört - allerdings auf Kosten von Privatheit und Datenschutz.

Das Projekt läuft bis 2014 und wird im gegenwärtigen 7. Rahmenprogramm der EU-Sicherheitsforschung gefördert. Von den Gesamtkosten über fast 15 Millionen Euro übernimmt die EU rund ein Drittel. Damit hat das Vorhaben ein ähnliches Volumen wie das umstrittene Projekt INDECT, in dem die EU das automatisierte Aufspüren von Bedrohungen beforscht (Nasenhaare in Großformat).

Während sich kein deutscher Teilnehmer in TASS findet, dominieren Rüstungs- und Softwarehersteller aus Großbritannien, Frankreich, Spanien und Italien. Auffällig ist die starke israelische Beteiligung, darunter neben VERINT die Beraterfirma Ernst & Young und der Drohnenhersteller Elbit. Israel und die USA sind die einzigen "Drittstaaten", die am Sicherheitsforschungsprogramm der EU-Mitgliedstaaten teilnehmen.

Ab 2013: 100 biometriegestützte Kontrollgates an deutschen Flughäfen

Unter den teuersten von der EU geförderten Forschungsprojekten gehört "Accelerated Checkpoint Design, Integration, Test and Evaluation", das unter dem Kürzel XP-DITE firmiert. Das EU-Projekt untersucht unter anderem die Reaktion von Reisenden auf die digitalen Kontrollgates. XP-DITE beschäftigt sich aber auch mit den ethischen Folgen durch die Einführung automatisierter Verfahren. Laut der Universität Freiburg, die wie das Fraunhofer Ernst-Mach-Institut in dem EU-Projekt XP-DITE mitarbeitet, gehören dazu neben der Vereinfachung und Beschleunigung von Kontrollen auch der Personalabbau.

Zur Optimierung von Flughafen-Checkpoints kommen laut Bundesregierung Verfahren zur Erfassung von Iris, Retina oder der Gesichtsgeometrie, Finger- und Handabdruckscanner oder Stimmenerkennung infrage. Mit BioDEVII, "nationaler VIS-Pilot" und "EasyPASS" hat die Bundespolizei bereits mehrere derartige Verfahren getestet. Die automatisierte, biometriegestützte Grenzkontrolle mit "EasyPASS" soll jetzt neben Frankfurt auch in München, Düsseldorf, Hamburg und Berlin installiert werden. Dies teilte der Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich am Montag in Potsdam mit. Die Rede ist von 100 sogenannten "eGates", für die bald eine europaweite Ausschreibung erfolgen soll.

Unter dem Namen EasyPASS-RTP dient das Kontrollverfahren auch der technischen Umsetzung des EU-Systems "Registered Traveller Program" (RTP) (Milliarden zur "Abschreckung illegaler Einwanderer"). Sogenannte "registrierte Vielreisende" können sich dafür bald in konsularischen Vertretungen der EU-Mitgliedstaaten einer freiwilligen Überprüfung unterziehen. Sie müssen biometrische Daten abgeben und Fragen beantworten. Dazu gehört auch der Nachweis "ausreichender Existenzmittel". Die freizügige Überlassung persönlicher Daten wird dann mit einer schnelleren Kontrolle an automatisierten Kontrollgates belohnt.

Trotz offensichtlicher Bevorzugung begüterter Reisender streitet die Bundesregierung ab, dass dadurch das Diskriminierungsverbot verletzt wird. Das EasyPASS-RTP soll gegenüber dem EU-RTP ohne eine vorherige Überprüfung auskommen. Genutzt würden für die Identitätsfeststellung laut Bundespolizei die im Chip des Reisedokuments gespeicherten Daten.

Nacktscanner nun angezogen

Nicht nur in Deutschland stoßen Gesichts- oder Körperscanner auf berechtigte Bedenken der Passagiere. Um diese zu zerstreuen, schritt der frühere Innenminister Thomas de Maizière mutig durch die ersten beiden Körperscanner, die am Hamburger Flughafen aufgestellt wurden. Zur Anwendung kommt die sogenannte Millimeterwellentechnologie, die gegenüber Röntgenstrahlen nach bisherigem Stand der Wissenschaft keine gesundheitlichen Schäden hervorrufen kann.

Vielfach wurde kritisiert, dass auf den Bildschirmen Körperumrisse durchleuchteter Personen zu sehen sind. Die in Hamburg genutzten Geräte firmierten daher als "Nacktscanner". Der Feldversuch von September 2010 bis Juli 2011 führte überdies zu Fehlerquoten von über 50 Prozent. Letztes Jahr erklärte der Staatssekretär Ole Schröder auf eine Frage der SPD-Abgeordneten Ulrike Gottschalck, die Technologie der erprobten Körperscanner sei zwar "grundsätzlich für Luftsicherheitskontrollen geeignet". Sie müssten jedoch vom Hersteller weiterentwickelt werden.

Die Zeit scheint reif: Die Bundespolizei führte im November Körperscanner der "neuen Generation" am Frankfurter Flughafen ein. Statt Abbilder des abgetasteten Körpers wiederzugeben, werden nun nur noch Piktogramme gezeigt. Außerdem sei die Nutzung der digitalen Durchsuchung freiwillig. Die Betroffenen haben dabei allerdings die Wahl zwischen Pest und Cholera: Die Aufgabe der Privatheit für das automatisierte Verfahren oder aber langes Schlangestehen mit manuellen Kontrollen.

Flughafenpolizeibehörden aus 27 Mitgliedstaaten vernetzen sich

Die vermeintliche Freiwilligkeit ist auch eine Voraussetzung für die Vereinbarkeit mit entsprechenden EU-Regelungen. Mitgliedstaaten, die Körperscanner einsetzen wollen, müssen festgelegte Mindestbedingungen erfüllen. Entstandene Bilder dürfen nicht gespeichert, kopiert oder ausgedruckt werden. Im Bericht über die Anwendung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union wurden die Körperscanner deshalb 2011 als Vorbild für die Berücksichtigung der Grundrechte von Reisenden gelobt.

Zur Koordination der mehrstufigen Maßnahmen zur Luftsicherheitskontrolle hat der Rat der Europäischen Union vor zwei Jahren die Kooperation nationaler Flughafenpolizeibehörden beschlossen. Unter dem holprigen Namen "Europäisches Netz der Strafverfolgungsdienste an Flughäfen" (AIRPOL) steht das Netzwerk unter Aufsicht der Ratsarbeitsgruppe "Strafverfolgung". Damit will die EU an die Einrichtung ähnlicher Netze von Eisenbahnpolizeidiensten (RAILPOL), Polizeibehörden der Binnenwasserstraßen (AQUAPOL) und der Verkehrspolizeidienste (TISPOL) anknüpfen (Ende der Freizügigkeit im Schengen-Raum). Für Deutschland ist die Bundespolizei Teil dieser EU-weiten Zusammenarbeit.

Das AIRPOL-Netzwerk befasst sich mit allen Bereichen der "öffentlichen Ordnung", darunter Zugangs- und Sicherheitskontrollen, Schutz privilegierter Personen, Kriminalität oder unerwünschte Migration. Zum Zuständigkeitsbereich gehören auch Maßnahmen bei "ungebührlichem Verhalten" von Fluggästen. Zur operativen Zusammenarbeit nehmen die Polizisten auch Dienste der EU-Grenzschutzagentur FRONTEX oder der Polizeiagentur EUROPOL in Anspruch. Hierzu gehören unter anderem Sportveranstaltungen, Gipfeltreffen oder andere polizeiliche Großereignisse.

Bald EU-weiter Tausch von Passagierdaten

Die beschriebenen Überwachungsplattformen und Kontrollanwendungen greifen bereits tief in die Privatsphäre der Flugreisenden ein. Die Datensammelwut der Polizei beschränkt sich aber längst nicht auf die Anwesenheit am Flughafen. Von Interesse sind insbesondere der Verlauf von Reisen, genutzte Verkehrsmittel, gebuchte Hotels oder Mitreisende. Die Daten werden von den Fluglinien in sogenannten "Passagierdatenregistern" gespeichert und vor jedem Flug an Behörden im Zielland übermittelt (Passagierdaten-Krimi).

Die Europäische Union hat dazu ein umstrittenes Abkommen mit den USA geschlossen. Die dort für die Einreise zuständigen Behörden gleichen die erlangten Informationen dann mit polizeilichen Datenbeständen ab. Wenn sich auffällige Treffer ergeben, kann die Einreise verweigert werden. Zur Vereinfachung der Überprüfungen haben US-Behörden Mitarbeiter am Frankfurter Flughafen stationiert. Die von ihnen ausgesprochenen Reiseverbote werden als "Empfehlungen" verbrämt. Die Fluglinie muss die Beförderung der Betroffenen dann in jedem Fall versagen, ansonsten wird keine Landeerlaubnis an US-Flughäfen erteilt (US-Reiseverbote Made in Germany).

Jetzt will auch die EU ein Passagierdatenregister einrichten. Dort gespeicherte Daten werden bis zu fünf Jahren auf Vorrat gespeichert und dann unter den EU-Mitgliedstaaten getauscht. Es handelt sich um bis zu 60 Einzelinformationen, darunter auch Essenswünsche, Kreditkarteninformationen, Reiseveranstalter oder das genutzte Reisebüro. Ein diesbezüglicher Vorschlag wurde schon vor fast zwei Jahren veröffentlicht. Anfangs war nur die Rede von Flügen von oder nach Staaten außerhalb der Europäischen Union. Doch längst sollen auch innereuropäische Flüge erfasst werden. Jetzt wird das EU-Passagierdatenregister vom EU-Parlament erörtert. Am 17. Dezember wird der Entwurf zunächst im Innenausschuss abgestimmt.

Welch zweifelhaftes Verständnis von Datenschutz der totalen Überwachung zugrunde liegt, illustriert ein Statement von Gilles de Kerckhove, dem sogenannten EU-Koordinator für die Terrorismusbekämpfung. Kerckhove ist angestellt, um halbjährlich sogenannte "Diskussionspapiere" zu schreiben, in denen er über die Zukunft der Überwachung schwadronieren darf. Das geht unter anderem so:

Wenn wir den EU-Bürgern mehr persönliche Daten abverlangen müssen, wie z.B. Fluggastdaten oder Banküberweisungsdaten, dann sind wir es ihnen schuldig, dass diese Daten auch tatsächlich verwendet werden können.

Der "EU-Koordinator für die Terrorismusbekämpfung" im Mai 2012