Sadat-Mubarak-Mursi

Wie stark unterstützen die USA Mursi und die Muslimbrüder?

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Man kann sich schon etwas wundern, wie die US-Regierung auf die Ereignisse in Ägypten reagiert. Als seltsam zurückhaltend beschreibt David Ignatius die Kommentare aus Washington zu Mursis Machtkonzentration und zu den Demonstrationen, denen es um Werte geht, die Obama immer hochgehalten hat.

Offiziell hält man auf Distanz zwischen USA und den Muslimbrüdern. Anlässlich der Welle des Zorns vor US-Botschaften Anfang September erklärte US-Präsident Obama, dass amerikanisch-ägyptischen Beziehungen in "laufender Arbeit" seien: "Ich würde sie nicht als Allierte betrachten, aber auch nicht als Feind. Sie sind eine neue Regierung, die ihren Weg sucht." Mit "sie" waren augenscheinlich die Muslimbrüder gemeint.

Bei seinem US-Besuch wenige Zeit später retournierte Mohamed Mursi, der 1982 an einer US- Universtät promoviert hatte, die Obama-Bemerkung gegenüber einem amerikanischen Journalisten mit dem Zusatz: "We can be good friends."

Das ist Öffentlichkeitsarbeit vor den Scheinwerfern. Im Schatten der öffentlichen Aufmerksamkeit wurde die Beziehung dann weiterentwickelt. Interessant ist es schon, dass sich Mursi, unmittelbar bevor er im August sein erstes aufsehenerregendes Dekret verkündete und damit seinen Machtanspruch dokumentierte, mit dem US-Vizeaußenminister und Nahostfachmann William Joseph Burns getroffen hatte.

Und in der vergangenen Woche, als der nächste Überraschungscoup Mursis größere Wirkung zeigte und für die bis heute anhaltenden Tumulte und den massiven Widerstand in Ägypten herausforderte, weilte Mursis außenpolitischer Berater Essam El Haddad, führendes Mitglied der Muslimbrüderschaft, in Washington, um die "strategische Partnerschaft" auszubauen.

Gesprächsthemen zwischen El-Haddad und dem National Security Advisor Tom Donilon waren Gaza und der "demokratische Übergang" in Ägypten, notiert die Pressestelle des Weißen Hauses, die von einer bekräftigten strategischen Beziehung spricht.

Ein amerikanischer Mursi-Coup?

Der in den USA lebende, sehr kritische Beobachter der politischen Entwicklungen im Nahen Osten, Asad Abu Khalil, Betreiber des Blogs Angry Arab, sieht in diesen amerikanisch-ägyptischen Begegnungen, die in der allernächsten Nähe zu wichtigen Ereignissen stattfinden, kein zufälliges Timing, sondern Zeichen für eine weitaus engere Zusammenarbeit, als dies in der Berichterstattung zur Geltung kommt. Und Abu Khalil spitzt gerne zu. So stellt er die Spekulation auf, die USA würden maßgeblich hinter Mursis letztem Coup stecken: An American Coup in Egypt?.

Soweit würde der typische amerikanische Middle East-Experte wie etwa David Ignatius nie gehen. Zwar konstatiert auch Ignatius, dass Obama Mursis Haupt-Unterstützer - er gebraucht dazu das politische Modewort "enabler", Befähiger - gewesen ist und die Muslimbruderschaft in Washington unterstützt habe. Doch ist Ignatius der Auffassung, dass Mursi mit seiner Verfassungserklärung vom 22. November die Unterstützung überzogen habe. Dass er zu weit gegangen ist.

Der Angry Arab glaubt im Gegenteil, dass die USA auch diesen Schritt fördern. Beweise für seine These hat Abu Khalil nicht. Er hat Beobachtungen gesammelt. Wie die Besuche von "Emissären" der Muslimbrüder in Washington, wo sie sich mit prominenten Mitgliedern des politischen Establishment treffen würden, ganz wie dies auch Ignatius anspricht. Die Aktivität zeige Wirkung. Etwa wenn der Repulikaner John McCain über Fox die Auffassung von "moderaten Muslimbrüdern" streue. Und der IMF Gelder bewilligt.

Der ägyptische Geheimdienst als Erweiterung der CIA und Hauptdrahtzieher der Außenpolitik

Zum großen Bild gehöre der geschichtliche Kontext, so der Politikprofessor der California State University: Dass die USA und Ägypten seit Präsident Anwar as-Sadat eine sehr spezielle Beziehung pflegen, die das Land schließlich das Lager wechseln ließ, weg von engeren Beziehungen zur damaligen Sowjetunion, näher an die USA.

Diese Beziehungen wurden stark durch Geheimdienstarbeit unterstützt, im Fokus stand eine Ordnung im Nahen Osten nach den Interessen der USA und den Sicherheitsinteressen Israels. Die enge Zusammenarbeit wurde mit Präsident Mubarak fortgesetzt und soll nun auch mit den neuen Machthabern fortgesetzt werden. Die US-Regierung sei zur Auffassung gelangt, "dass sie zusammen mit Israel mit den Muslimbrüdern politisches Business machen kann, solange diese nicht die Außenpolitik, die sich unter Sadat und Mubarak entwickelt hat, anrühren" - Abu Khalil pointiert dies in seiner typischen Art:

Der ägyptische Geheimdienst wurde von den USA aufgebaut und operiert als eine Ausweitung der CIA-Niederlassung in Ägypten. Es ist wohl richtig zu sagen, dass die Muslimbrüder im Grunde dem Geheimdienst weiter erlauben, die Kontrolle über die Außenpolitik Ägyptens auszuüben.

Die führenden Posten im Außenministerium seien vom Mukhabarat besetzt und die Außenminister des neuen Ägypten allesamt Diplomanten der "Sadat Schule für Diplomatie". Für die amerikanische Regierung und den Kongress zähle vor allem, dass der Friedensvertrag mit Israel gehalten werde.

Die gemäßigten Brüder

Die Muslimbrüder beherzigen diese Vorgabe in auffälliger Weise, meint Abu Khalil. Die neue Regierung weise immer wieder darauf hin, dass man sich an internationale Verträge halte - und damit seien nicht Verträge mit afrikanischen oder asiatischen Staaten gemeint. Solche Äußerungen seien ein Code, den jeder versteht, ein Signal an die USA, dass man die Sadat-Mubarak-Außenpolitik weiterführe, um dafür als Gegenleistung Unterstützung zu bekommen.

Die Muslimbrüder brauchten Zeit, um ihre Loyalität und Unterwürfigkeit gegen über US-Sicherheits-und Ordnungsinteressen zu beweisen. Die USA beobachteten die Entwicklung sehr genau und es war für arabische Beobachter glasklar, dass die Brüderschaft einen sachten Imagewechsel vollzogen hat. Vorbei war es mit den Reden über den Dschihad mit ihrer grotesken anti-semitischen Rhetorik und den standardmäßigen Referenzen an die "Abkömmlinge von Affen" und neu war das Instistieren auf die Notwendigkeit für den Respekt "internationaler Verträge und Verpflichtungen".

Er habe keine Beweise dafür, dass die USA in Mursis jüngsten Coup involviert waren, aber es gebe klare Beweise dafür, dass die beiden Regierungen eng zusammengearbeitet hätten. So habe Mursi die amerikanische Regierung über seine anstehende Verfassungserklärung in Kenntnis gesetzt, bevor er sie der ägyptischen Öffentlichkeit mitteilte.

Asad Abu Khalil sieht die US-Regierung dabei, ihre Beziehungen zu den Bruderschafts-Regimen neu zu justieren, um sie in das "pro-amerikanische repressive regionale System einzubauen". Die Ägypter wüssten das schon lange. Was schon daran zu erkennen sei, dass die Demonstranten immer wieder versuchen würden, auf die US-Botschaft loszumarschieren.