Todesrisiko für Nachrichtensprecher

Radikale Gruppen im Nordkaukasus schüren Angst. Der Nachrichtensprecher eines staatlichen russischen Fernsehkanals wurde von Unbekannten erschossen

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Die Mordserie gegen hohe Beamte, islamische Geistliche und Journalisten im Nordkaukasus reißt nicht ab. Am Mittwochabend wurde in Naltschik, der Hauptstadt der russischen Teilrepublik Kabardino-Balkarien der 28jährige Nachrichtensprecher des staatlichen, russischen Fernsehkanals WGTRK, Kasbek Gekkijew, von Unbekannten mit drei Schüssen in den Kopf getötet. Zeugin des Mordes wurde eine Bekannte des Journalisten, die sich unmittelbar vor dem Mord mit Gekkijew unterhalten hatte. Nach Aussage der Frau, hatten die Täter den Journalisten gefragt, ob er Gekkijew, der Nachrichtensprecher sei. Als der Journalist die Frage bejahte, wurde er mit drei Schüssen in den Kopf getötet. Die Täter verschwanden spurlos.

Wer schlecht über die Untergrundkämpfer spricht, wird bestraft

Der Sprecher des russischen Ermittlungskomitees, Wladimir Markin, erklärte, der Mord an Kasbek Gekkijew stehe höchstwahrscheinlich in Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit des Getöteten.

Der Kaukasus-Experte Alexei Malashenko vom Moskauer Carnegie-Zentrum erklärte gegenüber der Moscow Times, der Anschlag auf Gekkijew habe symbolische Bedeutung. Mit dem Anschlag auf eine Person des öffentlichen Lebens wolle der islamistische Untergrund deutlich machen, dass man bestraft wird, "wenn man über uns spricht".

Genauer gesagt: Wer sich irgendwie abfällig über den islamistischen Untergrund äußert, muss mit Strafe rechnen. Dies erlebten bereits Asnor Attajew und Arina Schiljasowa, zwei Arbeitskollegen von Gekkijew, die im vergangenen Winter bei der Verlesung einer Nachricht über die Tötung von Separatisten gelächelt hatten. Daraufhin veröffentlichte eine Untergrundgruppe ein Droh-Video, in dem maskierte Männer ankündigten, sie würden den Nachrichtensprechern ein "ewiges" Lächeln ins Gesicht schneiden. Auf Anraten der russischer Sicherheitsstrukturen verließen die beiden Journalisten daraufhin die Region.

"Lebensfroher Bursche", kein Enthüllungsjournalist

Deutschsprachige Medien berichteten, Gekijew sei als "kritischer Journalist bekannt gewesen. Die Kollegen des Getöteten erklären jedoch einhellig, Gekkijew sei ein einfacher Nachrichtensprecher gewesen, der nur von Anderen vorbereitete Texte verlesen habe. Gekkijew hatte sich weder auf Politik oder Kriminalität spezialisiert, noch habe er Drohungen erhalten. "Er war ein lächelnder, lebensfroher Bursche, der in seinem Leben Niemandem etwas zu Leide getan hat", sagte die Leiterin des staatlichen Fernsehkanals WGTRK in Naltschik, Ljudmilla Kasantschewa, gegenüber der Internetzeitung Gaseta.ru.

Der Fundamentalismus wird stärker

Doch um im Kaukasus umgebracht zu werden, muss man nicht unbedingt ein scharfer Kritiker des islamischen Fundamentalismus sein, der hier nicht nur in Form von bewaffneten Untergrundgruppen, sondern zunehmend auch in Form einer gewaltlosen salafitischen Glaubensrichtung an Einfluss gewinnt. Hauptgrund für den Zulauf ist nach Meinung von Experten vor allem die hohe Arbeitslosigkeit und die Korruption.

Die Menschenrechtler von der Organisation "Mütter Dagestans" erklären, eine Mitschuld für die angespannte Situation im Nordkaukasus trügen auch die russischen Sicherheitskräfte, deren Mitarbeiter offenbar immer wieder mit Masken getarnt, verdächtige junge Männer entführen und angeblich sogar foltern.

Russische Nationalisten fordern Abtrennung des Nordkaukasus

Der Nordkaukasus, wo seit dem Ende des Tschetschenienkrieges 2003 ein permanenter Bürgerkrieg mit Selbstmordanschlägen und gezielten Morden und Entführungen köchelt, bleibt trotz hoher finanzieller Zuwendungen aus Moskau das größte Sorgenkind der russischen Regierung. Zudem nimmt die Entfremdung zwischen der vorwiegend islamischen Bevölkerung des Nordkaukasus und der vorwiegend christlich-orthodoxen Bevölkerung Zentralrusslands zu.

Weil viel Geld aus Moskau in den Taschen örtlichen Beamten versickert und aus dem Kaukasus angeblich nur Terroristen kommen, fordern russische Nationalisten bereits, den Nordkaukasus von Russland abzutrennen ("Russischer Marsch" droht mit arabischen Verhältnissen). Ob es dem Kreml gelingt, den Kaukasus mit dem geplanten Bau moderner, neuer Ski-Gebiete und ausländischen Investitionen zu befrieden, ist bisher unsicher.

Aus Separatisten wurden geschätzte Statthalter

In der Wahl von Statthaltern ist der Kreml nicht wählerisch, Hauptsache Separatismus und Terrorismus werden gestoppt. In Tschetschenien wurde mit Ramsan Kadyrow ein ehemaliger militanter Separatist Präsident. Moskau gewährt dem ehemaligen Bojewik (Kämpfer) enorme Handlungsfreiheit. So schreitet das föderale Zentrum nicht ein, wenn Kadyrow sich öffentlich für die Vielweiberei ausspricht und die Tschetscheninnen aufruft, sich streng zu kleiden.

Auch in Dagestan bekommen die Salafisten, welche einen fundamentalistischen, "reinen" Islam predigen, immer stärkeren Zulauf. Die offiziellen Geistlichen werden immer wieder auch Opfer von Anschlägen. So wurde Ende August dieses Jahres das Oberhaupt des traditionellen Islam in Dagestan, Scheich Said Afandi, in seinem Haus von einer Selbstmordattentäterin mit einer Bombe in die Luft gesprengt.

Nach Meinung russischer Experten werden die fundamentalistischen Untergrundgruppen an Russlands Südgrenze von Stiftungen aus arabischen Staaten gesponsert, um die am Kaspischen Meer gelegene ölreiche Region zu destabilisieren. Beweise für diese Behauptung gibt es jedoch nicht, zumindest wurden sie der Öffentlichkeit nicht bekannt gemacht.