Schöffin darf Hidschab tragen

Das Kammergericht Berlin wies eine Revision wegen nicht ordnungsgemäßer Besetzung eines Amtsgerichts ab

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In einem nun bekannt gewordenen Beschluss vom 9. Oktober mit dem Aktenzeichen (3) 121 Ss 166/12 (120/12) hat das Kammergericht Berlin entschieden, dass ein Amtsgericht auch dann ordnungsgemäß besetzt ist, wenn eine Schöffin ein Hidschab-Kopftuch trägt, das nur das Gesicht frei lässt, aber Ohren und Hals vollständig verdeckt.

Schöffen werden in Deutschland manchmal als eine Art Ministranten angesehen - als Ritualbeisitzer ohne Einfluss. Zu Unrecht: Nach § 30 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) entscheiden sie (anders als die Mitglieder einer amerikanischen Jury) in einer Hauptverhandlung nicht nur darüber, wer schuldig und wer nicht schuldig ist, sondern auch über die Beweiswürdigung, das Vorliegen von Tateinheit oder Tatmehrheit und über das Strafmaß.

Am Amtsgericht und an der Kleinen Strafkammer des Landgerichts urteilt ein Berufsrichter bei Strafprozessen regelmäßig zusammen mit zwei Schöffen, die den Richter überstimmen können - was durchaus vorkommt. Allerdings werden allzu ungewöhnliche Entscheidungen von Schöffen in den Berufungsinstanzen mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit wieder aufgehoben: Und die Oberlandesgerichte kennen ein Schöffenamt ebenso wenig wie der BGH.

In einer Verhandlung wegen fahrlässiger Tötung und anderer Delikte am Berliner Amtsgericht Tiergarten trug eine Schöffin aus religiösen Gründen ein islamisches Hidschab-Kopftuch. Die Staatsanwaltschaft sah darin eine nicht ordnungsgemäße Besetzung des Gerichts nach § 338 Nummer 1 der Strafprozessordnung (StPO) und legte deshalb Revision ein. Bei der Beurteilung dieses Revisionsansinnens las der 3. Strafsenat des Kammergerichts Berlin im § 32 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) nach und stellte fest, dass lediglich verurteilte oder verdächtige Straftäter "unfähig [sind], das Schöffenamt zu bekleiden".

Nur wenn sie auf der Richterbank sitzen, ist ein Gericht tatsächlich vorschriftswidrig besetzt. "Religionsdiener und Mitglieder solcher religiösen Vereinigungen, die satzungsgemäß zum gemeinsamen Leben verpflichtet sind" sollen dagegen nach § 34 Nummer 6 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) lediglich nicht zu Schöffen berufen werden. Geschieht dies doch, dann taugt solch ein Fall nach Kommentarmeinung im Regelfall nicht zur Begründung einer Revision.

Darüber hinaus konnten die Richter im Gerichtsverfassungsgesetz aber ohnehin kein grundsätzliches Verbot religiös aufgeladener Kleidungsstücke für Schöffen erkennen. Würde man bestehende Vorschriften so auslegen, dann verstieße das dem Oberlandesgericht-Äquivalent zufolge im Zusammenhang mit dem Bestimmtheitsgebot gegen den Artikel 4 des Grundgesetzes, der erlaube, "dass der Einzelne sein gesamtes Verhalten an den für ihn verbindlichen Glaubenslehren ausrichten kann", wozu "auch die religiös motivierte Gestaltung des äußeren Erscheinungsbildes durch Kleidung gehört".

Eine Auslegung, die Schöffen ganz allgemein das Tragen religiöser Kleidungsstücke verbieten würde, könnte hinaus auch in Konflikt mit dem § 36 Absatz 2 Satz 1 des GVG stehen. Der schreibt vor, dass die Schöffen-Vorschlagslisten "alle Gruppen der Bevölkerung […] angemessen berücksichtigen" sollen, was sich nach Ansicht der Richter auch auf unterschiedliche Religion bezieht, selbst wenn diese in der Vorschrift nicht explizit genannt werden.

Iranisches Mädchen im Hidschab. Foto: Elph. Lizenz: Public Domain.

Gegen die staatliche Neutralitätspflicht verstößt der Schleier dem Beschluss zufolge deshalb nicht, weil dieser beamtenrechtliche Grundsatz nur für Berufsrichter gilt, während Schöffen "trotz der Amtsausübung Privatpersonen bleiben".

Eine Entscheidung des Landgerichts Dortmund, das eine andere Kopftuchträgerin als Schöffin ausgeschlossen hatte, hält man in Berlin deshalb für nicht einschlägig, weil es dort nicht nur um das Kleidungsstück, sondern vor allem um die Geisteshaltung ging: Die Frau aus dem Ruhrgebiet hatte nämlich "im Rahmen einer Anhörung angegeben […], dass Männer und Frauen grundsätzlich anders seien und Frauen grundsätzlich weniger glaubwürdig seien als Männer".

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