Van Rompuy will Eurobonds und Entmachtung der Parlamente

Marode Banken sollen sogar direkten Zugang auf Rettungsmilliarden aus dem ESM ohne Staatshaftung erhalten, bevor eine Bankenaufsicht steht

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Vor dem EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag hat EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy ein Strategiepapier vorgelegt, um zu einer "echten Wirtschafts- und Währungsunion" zu kommen, heißt es schon im Titel. Das Papier hat es in sich.

EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy. Bild: Rat der Europäischen Union

Marode Banken sollen schon im März direkten Zugang zum dauerhaften Rettungsschirm (ESM) erhalten, obwohl die gemeinsame europäische Bankenaufsicht erst am 1. Januar 2014 "voll funktionsfähig" sein soll. Damit soll erneut ein Gipfel-Beschluss ausgehebelt werden. Noch umstrittener dürften die geplante Entmachtung nationaler Parlamente, der gemeinsame Bankenabwicklungsfonds und die "Ausgabe gemeinsamer Schuldtitel" sein.

Das Direktoriumsmitglied der Europäischen Zentralbank (EZB), Jörg Asmussen, hatte es vergangene Woche vorweggenommen, dass die Bankenaufsicht in diesem Jahr nicht mehr umgesetzt werden könne, wie es auf dem EU-Gipfel im Juni beschlossen worden war. Beim Treffen der Euro-Gruppe und der EU-Finanzminister wurde in der vergangenen Woche ebenfalls in der zentralen Frage der Bankenunion keine Einigung erreicht. Die Finanzminister kommen deshalb vor dem Gipfel zu einer Sondersitzung zusammen, um erneut zu beraten.

Dass in diesem Jahr nichts mehr umgesetzt wird, hat Van Rompuy in seinem Strategiepapier bestätigt, das auf eine "echte Wirtschafts- und Währungsunion" abzielt.

Der EU-Ratspräsident versucht damit seinen konservativen Freunden in Ländern mit abstürzenden Banken - vor allem Spanien - eine Brücke zu bauen. Van Rompuy stellt in seinem Papier in Aussicht, dass sich Banken schon im März direkt über den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) finanzieren können.

An der Ausarbeitung des Papiers waren auch "in enger Kooperation" der EZB-Präsident Mario Draghi, der Präsident der EU-Kommission, José Manuel Barroso, sowie der (noch amtierende) Chef der Eurogruppe, Jean-Claude Juncker, beteiligt, für den händeringend ein Nachfolger gesucht wird. Finanzminister Wolfgang Schäuble würde das Amt gerne übernehmen, doch eine starke Abwehrfront versucht das zu verhindern.

Italien im Blick

Erst die Bankenunion, so wurde es noch vor einem halben Jahr beschlossen, sollte die Voraussetzung dafür sein, dass marode Banken direkt über den ESM finanziert werden können, womit die einst beschlossene Staatshaftung für die Milliarden ausgehebelt werden soll. Doch auch das wird nun offenbar ausgehebelt.

Denn anders ist es nicht zu interpretieren, wenn in dem Strategiepapier erklärt wird, dass die Banken schon ab März direkt Gelder aus dem Hilfsfonds erhalten sollen, doch die Bankenaufsicht erst mit einem Jahr Verspätung zum Jahresanfang 2014 steht.

Wieder einmal soll im Rahmen des ESM eine Bedingung, mit welcher der Hilfsfonds der Öffentlichkeit schmackhaft gemacht wurde, schnell Makulatur werden. Klar ist, dass man dabei auch das große Italien im Blick (Italien will Konjunktur mit Steuersenkungen ankurbeln) hat, wo sich die politische und die wirtschaftliche Lage zuspitzt, womit es auch für die Banken enger wird. Die Wirtschaftsleistung des Landes ist im dritten Quartal gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 2,4% geschrumpft.

Zudem hat nun der nicht gewählte Ministerpräsident Mario Monti angekündigt, nach Verabschiedung des Haushaltsgesetzes für 2013 abzutreten. Das hängt damit zusammen, dass Chaos-Berlusconi erneut zu den Wahlen im kommenden Jahr antreten will, den Monti ersetzt hatte (Regiert Goldman Sachs nun in Italien?).

Risiken weiter zu Ungunsten der europäischen Steuerzahler und zu Gunsten privater Gläubiger verschoben

Dass ständig grundlegende Bedingungen des ESM ausgehebelt werden, ist man längst gewohnt. So war einst auch nicht geplant, dass sich Banken beim Hilfsfonds bedienen dürfen. Denn damit kann das betroffene Land Auflagen, Kontrolle und Haftung umgehen, wie es zum Beispiel für Irland nicht möglich war. War einst auch vorgesehen, dass die ESM-Hilfsgelder vorrangig bedient werden müssen und private Gläubiger an einer Staatspleite beteiligt werden, ist auch all das längst gefallen.

Einen Vorrang vor privaten Gläubigern hat nur noch der Internationale Währungsfonds (IWF). Die Risiken wurden also immer weiter zu Ungunsten der europäischen Steuerzahler und zu Gunsten privater Gläubiger verschoben. Argumentiert wird, die würden davon abgeschreckt, wenn auch der ESM vorrangig bedient würde.

Führt man nun, wie es die Van Rompuy, Draghi, Barroso und Junckers wollen, den direkten Zugriff der Banken auf den ESM ein, ohne auch nur eine effiziente Bankenaufsicht zu haben, ist aus bisherigen Erfahrungen mehr als fraglich, ob die jemals umgesetzt wird.

Der Zugriff der Banken ohne Bankenaufsicht

Stimmt Deutschland diesem Vorgang nun zu, würde sich das Urteil bestätigen, wonach Bundeskanzlerin Angela Merkel im Juni beim EU-Gipfel komplett umgefallen ist. Derzeit ist zu der Aufsicht sogar weder klar, ob alle Banken darunter gestellt werden, noch wer sie leistet. Genannt wird zwar gerne die EZB, doch einst wurde nur beschlossen, dass die EZB an der Aufsicht beteiligt sein soll. Wird der direkte Zugriff maroder spanischer, zypriotischer, slowenischer oder italienischer Banken auf die Steuermilliarden ohne Staatshaftung und Aufsicht gewährt, ist er kaum noch rückgängig zu machen.

Spanien schielte stets darauf. Die konservative Regierung hat nie einen Hehl aus ihrer Forderung gemacht, dass seine Banken direkt aus dem ESM finanziert werden sollen, damit das Geld nicht über den Staat fließt, dessen Verschuldung damit steigt, da er letztlich für das Geld haften muss. Das war eigentlich nach geltenden Verträgen zum temporären Rettungsfonds (EFSF) und zum ESM ausgeschlossen. Ministerpräsident Mariano Rajoy hatte aber in seiner der Heimat stets so getan, als handele es sich bei den gewährten Rettungsmilliarden zur Bankenrettung nur um einen Bankenkredit, mit dem keine Auflagen verbunden seien.

Wenn nun sogar Geld an spanische Banken fließt, ohne dass auch nur eine Bankenaufsicht steht, wäre das eine neue Extrawurst, die für die spanischen Konservativen gebraten wird. Denn obwohl das Land die Bedingungen für eine begrenzte Bankenrettung nicht erfüllte, wurde sie genehmigt. Basis dafür war ebenfalls, wie sollte es anders sein, eine Sonderregelung, die erst 2011 mit Blick auf Spanien geschaffen worden war. Doch eigentlich hätte das Land dafür eine solide Finanzpolitik nachweisen müssen.

Extrawürste

Dass davon nicht die Rede sein kann, zeigte sich daran, dass das Land seine Defizitziele nicht erfüllt, obwohl auch hier die nächsten Extrawürste gebraten wurden. Statt das Haushaltsdefizit 2012 auf 4,4% zu senken, wurde es in zwei Schritten auf 6,3% angehoben (Spanien erhält erneut mehr Zeit für Defizitabbau). Längst musste Spanien aber eingestehen, dass es sogar 7% werden. Obwohl das Land auch ein Jahr länger Zeit erhalten hat, die Stabilitätsmarke von 3% wieder einzuhalten, glaubt daran niemand. Der IWF rechnet damit, dass Spanien frühestens 2017 das Stabilitätsziel erreichen kann.

Spanien setzt weiter darauf, dass seine Banken bald direkt an ESM-Gelder ohne Staatshaftung kommen. Denn obwohl bis zu 100 Milliarden Euro für die Bankenrettung genehmigt waren, wurden vergangene Woche nur 39,5 Milliarden beantragt. Die konservative Regierung weiß aber, dass es dabei nicht bleiben wird. Wirtschaftsminister Luis de Guindos gab längst bekannt, dass schon jetzt weitere 1,5 Milliarden Euro benötigt werden und dabei wird es nicht bleiben.

Erwartet wird, dass es sogar bei den 100 Milliarden Euro nicht bleiben dürfte. Die Kriterien zur Berechnung des Kapitalbedarfs waren viel zu weich und mit den Zahlen wurde getrickst und gemogelt (Getrickst, gemogelt und hingebogen). Gerechnet wurde zum Beispiel mit einer Arbeitslosigkeit von 25%. Dabei lag die Quote schon im Oktober deutlich über 26% und ist auch im November weiter gestiegen.

"Ausgabe gemeinsamer Schuldtitel"

Doch die Bankenunion ist ohnehin nur einer der Streitpunkte im Strategiepapier, die in Deutschland auf großen Unmut stoßen. Da ist zum Beispiel auch von einem einheitlichen Bankenabwicklungsfonds die Rede. Der zentrale Mechanismus zur Bankenabwicklung soll in der zweiten Phase ebenfalls schon ab 2013 aufgebaut werden, bevor die Aufsicht stehen soll.

Angeblich sollen die Steuerzahler vor den Folgekosten kollabierender Geldhäuser bewahrt werden. Doch woher das Geld dafür sonst kommen soll, ist unklar. In Spanien werden für die Bad Bank nun die Rettungsmilliarden eingesetzt, also Steuergelder.

In der dritten Phase soll es dann nach Ansicht des Strategiepapiers ab 2014 sogar schon soweit sein, dass im Rahmen der einer vagen "fiskalischen Kapazität" auch Voraussetzungen für die "Ausgabe gemeinsamer Schuldtitel" geschaffen sein sollen. Angeblich soll es sich dabei aber nicht um die Euro-Bonds handeln, die in Berlin stets auf Ablehnung stoßen. Dass eine Vergemeinschaftung der Schulden geplant ist, wird zwar benannt, die soll aber nicht systematisch sein.

Formale Selbstentmachtung

Wurden im Rahmen der Nothilfemaßnahmen ohnehin die nationalen Parlamente schon weitgehend dazu degradiert, vorgegebene Entscheidungen abzunicken, sollen sie noch stärker entmachtet werden. In dem Papier wird gefordert, dass die wichtigen Budgetentscheidungen nicht mehr in den einzelnen Ländern fallen sollen. Entscheidungen sollen dort demokratisch legitimiert werden, wo sie tatsächlich getroffen werden, schreibt Van Rompuy.

Wo das sein soll, ist unklar, nur vage deutet er das Europaparlament an. Praktisch soll nach seinen Vorstellungen den Ländern die Souveränität über ihre Haushalte genommen werden. Die Staaten sollen einen Vertrag mit der EU unterschreiben, in dem sie sich auf bestimmte Vorgaben verpflichten. Das kommt einer formalen Selbstentmachtung gleich, womit in Deutschland fraglich ist, ob das mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

Diese Vorstellungen dürften vor den Wahlen im kommenden Jahr in Deutschland kaum durchsetzbar sein. Eine Ausnahme könnte der direkte Zugriff von Banken auf die ESM-Milliarden auch ohne effektive Bankenaufsicht sein, die Merkel in der nächsten Krisensituation als "alternativlos" darstellen könnte. Denn auch aus dem konservativen Lager hagelt es Widerspruch.

"Die Welt" spricht zum Beispiel von einem "Frontalangriff auf die deutsche Position" und einem weiteren Schritt in die "Haftungsunion". CSU-Chef Horst Seehofer spricht von einer "Umgestaltung der Wirtschafts- und Währungsunion in eine Transferunion". Die sei mit der CSU nicht zu machen, sagte er und bekräftigte: "Da bin ich mir mit Kanzlerin Merkel einig."