Gesundgevögelt

Susanne Wendel über die schönste Hauptsache der Welt

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Sex ist der körperlichen und seelischen Verfassung des Menschen in einem Maße zuträglich, dass es geradezu erstaunt, mit wie wenig Sex sich die meisten Leute zufrieden geben. Bei der medizinisch empfohlenen Erweiterung des Betätigungsfeldes ist es durchaus von Nutzen, sich auf Swingerclubs, S/M- und Fetischparties und Tantraseminaren umzusehen, um überhaupt einmal in den Blick zu bekommen, was einem neben dem üblichen Treiben noch so Spaß machen könnte. Das meint die Gesundheitsexpertin Susanne Wendel, die das Buch Gesundgevögelt geschrieben hat.

Frau Wendel, Sie zitieren in Ihrem Buch den Sexualsoziologen Werner Habermehl: "60 Prozent der Menschen hatten noch nie ein besonders eindrucksvolles sexuelles Erlebnis. Für sie ist Sex so spannend wie duschen." Was ist denn mit den Menschen los?

Susanne Wendel: Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass man beim Sex nicht automatisch das absolute Wow!-Erlebnis hat, und auch aus Gesprächen kenne ich, dass die Leute zwar ganz zufrieden mit ihrem Sexualleben sind, aber auch selten Sex hatten, wo sie nicht wussten, was unten und oben ist.

"Man kann Sex auch als eine Entdeckungsreise begreifen"

Wirklich? Die Leute schreien doch dabei, das tun doch die Leute unter der Dusche nur dann, wenn der Boiler überhitzt ist...

Susanne Wendel: Ich denke, man muss das Zitat nicht allzu wörtlich nehmen. Es geht mehr darum, dass der Sex eher als Routine gesehen wird: Es macht Spaß, es ist auch angenehm, aber besonders aufregend geht es dabei nicht zu. Das ist, denke ich, der Normalzustand. Der Gedanke, dass man mit Sex auch als eine Entdeckungsreise begreifen kann, bei der es auch ganz anders geht, ist vielen Leuten erst einmal nicht bekannt und wird vielleicht auch nur per Zufall offenbar.

Viele Menschen wissen nicht wirklich, was ihnen das ersehnte Highlight im Sex bescheren würde. Ich kenne zum Beispiel Leute, die erst einmal in einer heterosexuellen Beziehung waren und dann festgestellt haben, dass Sex mit dem eigenen Geschlecht sehr viel besser ist. Das wissen sie aber nicht, weil sie es noch nicht ausprobiert haben. Das gleiche gilt für spezielle sexuelle Praktiken.

Susanne Wendel

Die Leute haben sich also sexuell gewissermaßen festlegen lassen, ziehen ihr Normalo-Hetero-Programm durch und wissen gar nicht, dass es in den dunklen Ecken viel mehr Lustiges zu entdecken gibt ...

Susanne Wendel: Ja. Ich habe das in meinem Buch etwas provokant so formuliert: "Wer seine dunklen Seiten nicht kennt, hat langweiligen Sex." Dieser Wow-Effekt offenbart aber eventuell auch eine Seite von sich, die man gar nicht so sehr mag, weil man sich dafür schämt und zögert, seine Phantasien offen auszuleben.

Sie vertreten die These, dass genussvoller Sex enorm wichtig für unsere seelische und physische Gesundheit ist. Wann gibt es Sex auf Krankenschein?

Susanne Wendel: Die Frage habe ich mir auch schon mal gestellt. Davon sind wir leider noch sehr weit entfernt, weil die medizinische Ausrichtung unseres Gesundheitssystems darauf abzielt, etwas zu heilen, anstatt präventiv zu verhindern, dass überhaupt ein Schaden an den Menschen entsteht. Die Krankenkassen bezahlen keine Vorbeugung, sondern nur die Reparatur, Sex würde eher unter den Bereich der Vorbeugung fallen. Wobei ich aber behaupte, dass Leute mit Burn-Out, wenn sie wieder mehr Sex hätten, ihre Probleme besser in den Griff bekommen würden.

Warum ist Sex überhaupt so gesund?

Susanne Wendel: Es gibt viele Untersuchungen, die zum Beispiel belegen, dass Sex die Abwehrkräfte stärkt, indem dabei eine Menge Hormone ausgeschüttet werden, die sich auf den Körper eindeutig positiv auswirken. Das ist die eine Ebene, aber da die Leute nicht nur aus ihrem Körper bestehen, ist Sex auch für die Seele gut: Zum Beispiel die spürbare Verbundenheit mit einem anderen Menschen. Dass man dabei zeitweilig seine Kontrolle verliert, ist außerdem für Leute psychologisch sehr angenehm, die ansonsten alles im Griff haben wollen.

Sie schreiben: "Sex ist eines der besten Anti-Aging-Mittel und hat keine Nebenwirkungen. Augenringe, Speckrollen und Falten kann man einfach 'wegbumsen', und das mit großem Spaß. Sex macht glücklich und gesund - und manchmal auch blöd." Warum denn blöd?

Susanne Wendel: Das liegt an einem Hormon namens Oxytocin: Dieses Bindungs-Hormon wird beim Sex ausgeschüttet und bewirkt bei Männern beispielsweise, dass ihr Gedächtnis beeinträchtigt wird oder dass sie kurzfristig nicht mehr klar denken können. Ganz allgemein gesprochen: Die Hormone knipsen einem ein bisschen das Hirn aus und das muss ja bisweilen nichts Negatives bedeuten.

Viele Menschen leben ihre sexuellen Phantasien im Geheimen aus, Sie haben die Ihren in einem Buch öffentlich gemacht. Wie hat sich Ihr Leben verändert, nachdem Sie sich als Club-Swingerin und Fetisch-, beziehungsweise S/M- und Tantra-Fan geoutet haben?

Susanne Wendel: Das hat mein Leben nicht wirklich geändert. Was man Leben vielmehr geändert hat, ist der Umstand, dass ich schwanger bin und demnächst ein Kind erwarte. Letztendlich interessiert auch die Menschen nicht, ob man in Swinger-Clubs geht oder nicht.

Ihre Nachbarn interessiert das nicht?

Susanne Wendel: Ich denke nein. Letztendlich geht es in meinem Buch auch darum, dass die Leute für sich mal etwas ausprobieren sollen: Mein Leben hat sich geändert, weil ich etwas ausprobiert habe, was vorher nur in meinem Kopf war. Was sich geändert hat, nachdem ich darüber geschrieben habe, ist, dass ich andere Gespräche mit Menschen führe. Viele gratulieren mir zu meinem Mut und trauen sich dann auf einmal auch, erzählen mir sehr offen über ihre eigenen sexuellen Erlebnisse, suchen den Austausch. Das finde ich echt klasse.

Und ihre Identität hat sich durch dieses Ausprobieren gefestigt?

Susanne Wendel: Ich bin jetzt einfach glücklicher. Früher habe ich immer eine gewisse Sehnsucht verspürt, etwas ausprobieren zu wollen, was ich dann aus verschiedenen Gründen nicht gemacht habe. Wenn man diese Sachen tatsächlich einmal erlebt, fällt einfach viel Druck von einem ab. Jetzt weiß ich, dass es das, was ich will, auch tatsächlich gibt und dass ich es auch jederzeit haben kann. Das heißt nicht, dass ich jetzt unentwegt in Clubs renne. Im Gegenteil. Ich mache das ab und zu und zwar deswegen, weil es mir Spaß macht.

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