Schikanieren von Flüchtlingen wird im Januar mit einer neuen Aufnahmerichtlinie fortgesetzt

Denen, die gar nichts haben, gehen Union und FDP gemeinsam an den Kragen. Die SPD macht dabei mit - zumindest in Brüssel

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Während in Berlin in der Vorweihnachtszeit gut verdienende Regierungspolitiker über die weitere Reduzierung der Zahlungen an Asylbewerber nachdenken, droht gleich nach Weihnachten neues Leid. Dieses Mal aus Brüssel. Dort wird den bisherigen Planungen zufolge an diesem Tag über eine neue EU-einheitliche "Aufnahmerichtlinie" abgestimmt.

Kampagne von Pro Asyl

Pro Asyl ruft zum Protest und findet dabei inhaltliche Unterstützung bei Grünen und Linken. Nach Ansicht der Grünen Europa-Abgeordneten Franziska Keller führt die als Beschlusstext bereits vorliegende Aufnahmerichtlinie "zu entscheidenden Verschlechterungen. Asylbewerberinnen und -bewerber können künftig nach EU-Recht aus allen möglichen Gründen inhaftiert werden. Auch die geschlossene Unterbringung in Gefängnissen ist erlaubt. Damit werden Menschen, die in Europa Schutz suchen, faktisch wie Straftäter behandelt."

Wer es also künftig schafft, den Häschern der Flüchtlingsbekämpfer von "Frontex" auszuweichen, dem droht zwar kein Sammellager in arabischer Wüste, dafür aber in jedem Land der EU. :

Auf eine solche Art gemeinsamer europäischer Standards können wir Grünen verzichten. Wir wollen ein starkes europäisches Asylsystem und kein Abschreckungssystem.

Franziska Keller

Die Linken im Europaparlament lehnen die Aufnahmerichtlinie ebenfalls ab. Gegenüber Telepolis wies die Linke Europaabgeordnete Cornelia Ernst darauf hin, dass mit dieser Neufassung ironischerweise ziemlich exakt das Gegenteil von dem erreicht wurde, was die Kommission ursprünglich (also 2008) erreichen wollte. Die damalige Evaluation der bestehenden Asylrichtlinien der Kommission sei zu dem Ergebnis gekommen, "dass die Richtlinien den Mitgliedsstaaten zu viel Spielraum bei der Umsetzung ließen und ergo das Ziel, Mindeststandards für die Aufnahme und Anerkennung von Asylsuchenden festzulegen, verfehlten. Zweitens wollte man die Inhaftierungsgründe einschränken."

Zu einem "europaweiten Programm zur massenhaften Inhaftierung von Flüchtlingen", wie Pro Asyl schreibt, sei die Richtlinie erst in den letzten Monaten geworden.

Cornelia Ernst sieht die Schuld für die Verschlimmbesserung nicht in erster Linie bei der EU-Kommission, sondern beim Ministerrat, also bei den europäischen Innenministern, "deren Hauptanliegen darin zu bestehen schien, den Mitgliedsstaaten so viel Spielraum wie irgend möglich zu erhalten. Sie haben sich leider in so zentralen Punkten wie der Frage der Inhaftierung durchsetzen können."

Flüchtlingskinder in Haft

Mit willkürlicher Haft werden auch Minderjährige bedroht. Dazu heißt in der Aufnahmerichtlinie: "Minderjährige dürfen nur im äußersten Fall in Gewahrsam genommen werden, wenn sich weniger einschneidende alternative Maßnahmen nachweislich nicht wirksam anwenden lassen. Der Gewahrsam wird für den kürzestmögluche Zeitraum angeordnet, und es werden alle Anstrengungen unternommen, um Minderjährige aus dem Gewahrsam zu entlassen und in für Minderjährige geeigneten Unterkünftten unterzubringen. Unbegleitete Minderjährige dürfen nur in besonderen Ausnahmefällen in Gewahrsam genommen werden..."

Wer weiß, wie langmütig deutsche Jugendgerichte gegenüber jungen Angeklagten sind und wie lange es dauert, bis selbst Mehrfachtäter zu einer ersten Haftstrafe verurteilt werden, liest den Text der "Aufnahmerichtlinie" voller Entsetzen.

Während sich Sozialpolitiker der SPD, wie Gabriele Hiller-Ohm, im Bundestag in einem Antrag für "Menschenwürdige Lebensbedingungen für Asylberwerberinnen und Asylbewerber" einsetzen und für die Flüchtlinge u.a. mehr Geld fordern, macht deren Europafraktion mit bei der weiteren Drangsalierung von Flüchtlingen in Europa.

Es ist schon spannend, zu welchem Spagat die SPD fähig ist. So beklagt sie im Bundestag die "aufenthaltsrechtliche Situation von AsylbewerberInnen, "da ihr räumlicher Aufenthalt bislang auf den Landkreis oder die Stadt beschränkt ist, dem bzw. der sie zugewiesen sind. In diesem Gebiet müssen sie nicht nur wohnen, sie dürfen es vielmehr ohne Genehmigung nicht verlassen (meist als Residenzpflicht bezeichnet). Dies führt für die Betroffenen zu einer starken Einschränkung der Bewegungsfreiheit und zu unerwünschter sozialer Isolation..."

SPD dafür dagegen

All dies kritisieren Menschenrechtsorganisationen wie Pro Asyl in Deutschland seit Jahren. Stellt sich die Frage, wieso Abgeordnete der gleichen Partei im Europaparlament dann sogar Haft für Kinder verlangen, deren einziges "Verbrechen" die Flucht aus ihrer Heimat ist.

Die SPD-Europaabgeordnete Birgit Sippel teilte Telepolis mit, "dass die sozialdemokratische Fraktion im Parlament für den im Trilog gefundenen Kompromiss zur Aufnahmerichtlinie stimmen wird." Er führe "zu deutlichen Verbesserungen für Asylbewerber."

So verschafft ihnen die veränderte Richtlinie einen schnelleren Zugang zum Arbeitsmarkt, indem Mitgliedstaaten Asylbewerbern nun spätestens nach neun Monaten eine Arbeitserlaubnis erteilen müssen. Zudem nimmt sie besondere Rücksicht auf die Bedürfnisse schutzbedürftiger Personen. Das gilt besonders für minderjährige Asylbewerber, denen nun unter anderem die Möglichkeit einer Familienzusammenführung und das Recht auf Bildungsangebote zugesichert wird...

Allerdings droht ihnen auch Knast, auch wenn sie nicht straffällig geworden sind. Das ist der SPD auch aufgefallen. Dazu erklärt Frau Sippel:

Dennoch entspricht die geänderte Richtlinie nicht in allen Punkten den Forderungen unserer Fraktion - insbesondere was einige der Gewahrsamsbestimmungen wie beispielsweise die Ingewahrsamnahme Minderjähriger betrifft. Wir Sozialdemokraten hätten uns gewünscht, dass mindestens für diese Gruppe eine Ingewahrsamnahme ausgeschlossen ist. Der gefundene Kompromiss stellt zumindest sicher, dass diese Maßnahme nur im äußersten Notfall ergriffen wird, da das Kindeswohl der erste Maßstab für eine Einzelfallprüfung sein muss....

In einer Presseerklärung hatte Birgit Sippel zuvor erklärt:

Nur durch Einhaltung strenger Verfahrensgarantien können wir sicherstellen, dass niemand allein deshalb in Gewahrsam genommen werden kann, weil er um internationalen Schutz nachsucht.

UNO kritisiert Flüchtlingslager in Griechenland

Doch wer soll die Flüchtlingslager kontrollieren? Wer kontrolliert das für Flüchtlinge oft tödliche Treiben der Frontex, etwa im Mittelmeer (Libyen wird polizeilicher Vorposten der EU)?

Die EU-Flüchtlingspolitik ist auf Abwehr von Flüchtlingen gepolt, nicht auf Humanität. All dies geschieht auch in unserem Namen. Wenn dann jemand die Flüchtlingslager an den EU-Außengrenzen kontrolliert, kommt er zu solchen Ergebnissen wie jüngst François Crépeau, der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für die Menschenrechte von Migranten. Er hat griechische Flüchtlings-Haftlager besichtigt und zeigte sich schockiert von den dort herrschenden Zuständen. "Es sind Orte, an denen ich nicht einmal mehr als eine Stunde verbringen möchte", wird François Crépeau nach einem Besuch in elf griechischen Haftzentren von der Nachrichtenagentur Reuters zitiert.

In den Haftlagern werden Flüchtlinge wochen- und nicht selten monatelang festgehalten. Griechenland hatte erst im Oktober 2012 die mögliche Inhaftierungsdauer für Asylantragsteller auf zwölf Monate erhöht.

Auf Druck von Deutschland und weiterer EU-Staaten hatte Griechenland erst im August 2012 die Grenzsicherung drastisch verschärft, u.a. durch einen Grenzzaun. Das zeigt die deutlich kleinere Zahl der in Griechenland neu registrierten Flüchtlinge. Wurden im Juli noch 6.000 Menschen in der Evros-Region aufgegriffen, waren es im August und September nur noch 1.800. Die Zurückweisungen an der griechischen Grenze sind eine Folge des Drucks, den Deutschland und andere EU-Staaten auf Griechenland ausüben, damit es seine Grenzen schließt.

Die Türkei hat in enger Kooperation mit der EU ihrerseits die Grenzsicherung verstärkt. Auf der türkischen Seite der Grenze wurden zwischen Januar und Juli 14.559 Menschen in teils mit EU-Mitteln finanzierten Haftlagern inhaftiert.

Pro Asyl, eine der Organisationen, die auch in Deutschland genau hinsehen, wenn es um die Behandlung von Flüchtlingen geht, ruft zum Protest gegen die neue "Aufnahmerichtlinie", über die das Europaparlament am 14. Januar 2013 abstimmen will. Pro Asyl hat dafür einen Brief in englischer Sprache entworfen, der sich an die einzelnen Europaabgeordneten richtet. In einem ausführlichen Dossier zählt Pro Asyl die Gründe auf, die zur Inhaftierung von Flüchtlingen jeden Alters führen können.