"Wir sind eine echte Oppositionspartei und keine Regierungspartei auf der Wartebank"

Die Linkspartei-Vorsitzende Katja Kipping über Umfragewerte, Urheberrecht und linke Kultur im 21. Jahrhundert

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Frau Kipping, seit Bernd Riexinger und Sie die Linkspartei führen, sind die Nachrichten über die lange währenden Flügelkämpfe in der Partei zurückgegangen. Ist das schon ein Erfolg für Sie?

Katja Kipping: Das freut uns natürlich. Aber das ist nicht alleine unser Werk. Daran haben der gesamte Parteivorstand und auch der Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn mitgewirkt. Und diese Entwicklung ist natürlich auch eine Voraussetzung dafür, dass wir wieder stärker mit unseren inhaltlichen Positionen in die Offensive kommen.

Katja Kipping. Bild: K.K.

Dennoch verharrt die Linke in den Umfragen bei sieben bis acht Prozent. Ein Aufbruch sähe doch anders aus!

Katja Kipping: Ich finde die Tendenz der Umfragen ziemlich gut. Im Juni lagen wir noch zwischen vier und sechs Prozent und seither haben wir uns kontinuierlich nach oben entwickelt. Wenn man den Durchschnitt aller Umfragen bildet, das haben wir gemacht, dann sind wir wirklich stetig in den Werten gestiegen. Ich finde diese Entwicklung auch ehrlicher als einen Höhenrausch, den man bis zu den Wahlen nicht halten kann.

Bei den Grünen und der Piratenpartei gab es in der Tat starke Schwankungen. Gehen Sie davon aus, dass ihre Partei politisch stabiler ist?

Katja Kipping: Ja, wir sind stabil im Bundestag. Bei uns ist zudem klar, dass wir eine echte Oppositionspartei sind und keine Regierungspartei auf der Wartebank. Was ich sowohl bei den Grünen als auch bei der SPD erstaunlich finde, ist, dass sie die aktuelle Regierung rhetorisch zwar immer scharf attackieren, aber wenn es zu Abstimmungen kommt – etwa bei den Auflagen zu den diversen sogenannten Rettungspaketen oder beim Patriot-Einsatz an der Türkisch-syrischen Grenze –, dann doch wieder zustimmen.

Der Piratenpartei ist es hingegen gelungen, in kürzester Zeit neue Wählerschichten anzusprechen. Was haben die "Piraten", das der Linkspartei fehlt?

Katja Kipping: Sie haben halt authentisch das Thema Netzpolitik verkörpert. Das war ihr alleiniges Thema und entsprach auch dem Lebensgefühl vieler Aktivisten. Jetzt wird aber nach und nach deutlich, dass die Forderung von Transparenz alleine nicht trägt, sondern dass natürlich auch die Frage gestellt werden muss, was man im Internet eigentlich will. Ich hatte darüber auch mit Ansgar Oberholz vom Café St. Oberholz gesprochen und er hat das sehr schön auf den Punkt gebracht, als er schilderte, wie sich viele politische Konflikte im Netz widerspiegeln. Wenn es etwa um die Frage der Netzneutralität geht, also darum, ob große Konzerne weiter einen Vorteil bei der Verbreitung ihrer Informationen gegenüber Usern haben, die Information selbstständig produzieren. Insofern, finde ich, reicht es nicht alleine, das Netz als Ausdruck eines Lebensgefühls zu betrachten. Am Ende muss man in diesen Konflikten eben auch Position beziehen.

Das trifft natürlich auch auf Ihre Partei zu. Eines der Konfliktthemen im Netz ist die Frage des Urheberrechtes. Wer hat denn da in der Linkspartei das Sagen? Die Abgeordnete Luc Jochimsen, die es verschärfen will, oder Ilja Braun und die "Digitale Linke", die sich dagegen aussprechen?

Katja Kipping: Uns geht es nicht um eine Verschärfung, sondern uns ist wichtig, dass es eine soziale Absicherung für Produzentinnen und Produzenten von Wissen gibt. Problematisch wäre aus unserer Sicht ein Urheberrecht, das am Ende nicht die Verfasser stärkt, sondern nur die großen Konzerne oder die aufs Abmahnen spezialisierten Rechtsanwälte.

"Wir sind die einzigen, die immer Nein zu Krieg sagen"

Viele dieser Positionen werden gerade im Fall Ihrer Partei medial kaum abgebildet. Inwieweit trägt das zum Entwicklungsstau bei?

Katja Kipping: Unabhängige Medieninstitute, aber auch wir selber, analysieren regelmäßig, welche Partei wie oft in den Fernsehnachrichten zitiert wird. Fakt ist, dass die Linke selbst mit sehr prononcierten Positionen weniger vorkommt als die Piraten. Das mag das Ergebnis einer gewissen Mediendoktrin sein, die noch immer auf Stigmatisierung und Ausgrenzung der Linkspartei setzt. Das finde ich zwar unfair, auf der anderen Seite ist es uns dennoch gelungen, seit dem Göttinger Parteitag auch wieder viele Vorschläge einzubringen und Debatten auszulösen.

Zum Beispiel?

Katja Kipping: Zum Beispiel meine – zugegeben provokante – These, über einen Höchstlohn nachzudenken. Oder mein Vorschlag auf ein Recht auf Sabbaticals – also zeitlich begrenzte Auszeiten. Oder die Forderung nach einem Konjunkturprogramm, das ein kostenfreies warmes Mittagessen für alle Kinder enthält. Das sind Themen, die in den Medien durchaus aufgegriffen wurden.

Und das ist Ihre Medienstrategie bis zur Bundestagswahl?

Katja Kipping: Unsere Medienstrategie speist sich aus unserer Wahlstrategie. Die Linkspartei steht für Umverteilung von oben nach unten. Wir stehen für eine neue soziale Idee und den Schutz vor dem Abbau sozialer Rechte und für den konsequenten sozialökologischen Umbau. Wir sind die einzigen, die immer Nein zu Krieg sagen. Dazu werden wir unsere guten Ideen offensiv publik machen.

Kommen wir zur Parteipolitik. Die SPD weigert sich ja auf Bundesebene beharrlich, mit Ihnen zu koalieren, auch wenn das auf Länderebene im Osten teilweise anders aussieht. Wie sehr schadet Ihnen diese Politik der Isolation?

Katja Kipping: Ich glaube, sie schadet perspektivisch eher der SPD, weil sie die Glaubwürdigkeit ihrer These untergräbt, für einen wirklichen politischen Wechsel einzutreten. Denn für Rot-Grün reicht es nicht. Und wenn sie ihre jetzigen Versprechen umsetzen möchte, dann stellt ich schon die Frage, ob und wie die SPD das mit der FDP oder der CDU realisieren will. Eine Bürgerversicherung wird die SPD mit der CDU nicht vereinbaren können. Einen Mindestlohn bei dem gegenwärtigen Diskussionsstand mit der CDU auch nicht.

Wir haben da klare Punkte für einen Politikwechsel genannt. Etwa Mindestlohn, sanktionsfreie Mindestsicherung und Mindestrente. Kurz: Keiner soll unter 1.000 Euro fallen sowie einen Stopp von Rüstungsexporten und generell eine friedliche Außenpolitik. Wenn die SPD dabei aus Prinzip immer Nein sagt, dann lehnt sie eben auch die inhaltlichen Positionen ab.

Peer Steinbrück fährt auch als Kanzlerkandidat der SPD katastrophale Umfragewerte ein und zieht damit derzeit auch die SPD in den Keller. Weshalb können Sie davon nicht profitieren?

Katja Kipping: Ein bisschen profitieren wir ja, wie man an den Umfrageergebnissen sieht. Aber es gibt eben auch eine starke Wählerwanderung zwischen CDU und SPD.

Oder liegt es womöglich daran, dass sich die Linkspartei selbst nicht im Klaren darüber ist, ob sie eine parlamentarische Koalitionskraft oder eine Bündnispartnerin für soziale Bewegungen sein will?

Katja Kipping: Das bin ich im Sommer auch immer wieder gefragt worden, als ich im Land unterwegs war. Aber es wäre falsch, diese Frage ausschließlich in die eine oder andere Richtung zu beantworten. Denn wir entscheiden nicht alleine, welche Rolle wir nach den Wahlen einnehmen werden, das kommt auf die Wählerinnen und Wähler sowie potentielle Partner an. Entscheidend ist, was die eigenständigen Funktionen der Linken sind und über die müssen wir uns klar verständigen.

Welche Funktionen wären das?

Katja Kipping: Dass wir die politische Sozialversicherung und ein Garant für eine friedliche Außenpolitik sind, weil wir bislang immer Nein zu Kriegseinsätzen gesagt haben.

"Eine linke Partei ist heute immer auch eine linkspluralistische Partei"

Gibt es darüber Einigkeit in einer Partei, in der die Kluft nach wie vor zwischen Ostlinken und Westlinken mit einer nach wie vor unterschiedlichen Sozialisierung verläuft?

Katja Kipping: Wenn wir uns den aktuellen Parteivorstand anschauen, sehen wir dort viele junge Leute. Bernd Riexinger und ich, wir haben ja wirklich sehr unterschiedliche Biografien, aber wir verstehen uns super, und wir verstehen unsere Unterschiede nicht als Belastung, sondern als eine Bereicherung. Das sagen wir auch deutlich, das praktizieren wir. Ich glaube, das färbt inzwischen auch auf die Kultur innerhalb der Partei ab.

Persönlich erlebe ich es als ein Fortschritt, dass die Zeit der Einheitspartei im linken Spektrum vorbei ist, sondern dass eine linke Partei heute immer auch eine linkspluralistische Partei ist.

Und darin erschöpft sich linke Politik?

Katja Kipping: Nein, Linkssein bedeutet, das erwähnte ich schon, sich für eine Umverteilung von oben nach unten stark zu machen. Linkssein bedeutet aber auch, sich dafür einzusetzen, dass nicht die Konzerne alleine alles bestimmen. Zum Beispiel setzen wir bei der anstehenden Energiewende eher auf die Re-Kommunalisierung und dezentrale Stromerzeugung anstatt auf die großen Stromkonzerne. Drittens bedeutet Linkssein, sich gegen militärische Außenpolitik einzusetzen. Viertens bedeutet Linkssein ein Engagement für den sozial-ökologischen Umbau. Denn wenn man Fragen des Klimaschutzes nicht ernst nimmt, kann man nicht links sein. Und der letzte Punkt: Linkssein ist für mich ganz eng verbunden mit dem Kampf für Geschlechtergerechtigkeit.

"Wikipedia statt Google"

Es heißt ja mitunter, wir leben in postideologischen Zeiten. Werden die Menschen durch eine Rhetorik von "Arbeiterklasse" und "Klassenkampf" denn noch erreicht?

Katja Kipping: Je länger ich Politik mache, desto überzeugter bin ich davon, dass es sinnvoll ist, bei Karl Marx nachzulesen. Das ist, glaube ich, weniger eine Frage der Rhetorik. Man kann viele Themen konkret diskutieren und gemäß der Lebenserfahrung der Menschen veranschaulichen.

Die Frage nach der angestrebten Form von Produktion betrifft ja auch das Internet. Auf der einen Seite steht Google als ein Konzern mit der Hoheit, der darüber bestimmt, welche Information Vorrang hat. Und dann gibt es Ansätze wie bei Wikipedia, wo es eine Art kollektiver Form der Wissensproduktion gibt, die auch allen frei zur Verfügung steht. Deswegen lautet mein Plädoyer: Wikipedia statt Google.

Frau Kipping, welche politischen Vorbilder haben Sie?

Katja Kipping: Vorbilder, das gehört für mich zum Vokabular des 20. Jahrhunderts. Es gibt bestimmte Fähigkeiten von Menschen, die ich bewundere. So zum Beispiel die intellektuellen Fähigkeiten der Philosophin Frigga Haug, die es geschafft hat, Ideen von Marxismus und Feminismus zusammenzubringen.

Wo sehen Sie Ihre Partei in fünf Jahren?

Katja Kipping: Ich habe vor kurzem bei der Zeitschrift "Elf Freunde" für Fußball getippt und am Ende ging alles ganz anders aus. Insofern gebe ich lieber keine Tipps zu Wahlergebnissen ab. Aber ich würde sagen, in fünf Jahren ist die Linke noch stärker eine Ideenschmiede für den sozialen Fortschritt geworden, unabhängig davon, ob sie in der Opposition oder in einer Koalition ist.

Katja Kipping ist Bundesvorsitzende der Linkspartei, Mitglied des Bundestags und Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales.