Mobiler Laptop statt fester Schreibtisch

Die Arbeit der Zukunft wird geprägt durch die zunehmende Verlagerung des Büros in die virtuelle Sphäre - Zukunft der Arbeit Teil 2

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Wenn sich die berufliche Tätigkeit hinein in die komitative Sphäre verlagert und Kommunikation und Kooperation vor allem mittels Laptop, Internet und Handy geschieht, verliert der physische Ort als Arbeitsort an Bedeutung oder erfährt seine Funktion gravierende Veränderungen. Wie heute schon sichtbar wird, ist die Arbeitswelt der Zukunft - jedenfalls für Büroarbeiter - von einer neuen Flexibilität hinsichtlich des Arbeitsortes geprägt. Der feste Schreibtisch in einem konventionellen Büro gehört der Vergangenheit an, ebenso wie die Präsenzpflicht im Unternehmen. Über Endgeräte mit der komitativen Sphäre verbunden, wird von verschiedenen Standorten aus gearbeitet, sei es in der Firma, dem Flughafen, dem Zuhause oder in der Bahn. Wo die komitative Sphäre den Globus bedeckt, kann jeder Standort auf diesem Globus zugleich ein Arbeitsplatz sein.

Wen wundert es, dass in Berlin, dem Standort der "digitalen Boheme" das Prinzip des "Coworking Space" zuerst seine Ausprägung erfahren hat. Zum Beispiel im Betahaus in Kreuzberg. Dort kann man für zwölf Euro pro Tag einen "Flexdesk" mieten, das Wochenticket gibt es für 49 Euro.

Das Beta-Haus ist im Grunde nichts anderes als eine Ansammlung von Schreibtischen mit Internetzugang, die man für eine bestimmte Zeit anmieten kann. Sozusagen die "stoffliche Verstetigung des Netzwerkgedankens, der die heutige Welt so grundlegend bestimmt", wie es Betahaus-Gründer Christoph Fahle ausdrückt. Zusammen mit anderen hat der ehemalige Student der Politologie 2009 das Betahaus aus der Taufe gehoben. Hier braucht es keine Mietverträge und man muss sich weder um das Toilettenpapier noch um die Heizung kümmern. An den rund 120 Schreibtischen arbeiten Freiberufler wie Architekten, Journalisten oder Grafiker, die vor allem ihre örtliche Ungebundenheit und Flexibilität eint. Und die hier - anders als im "Home Office" - eine kreative Atmosphäre und vielleicht sogar künftige Geschäftspartner vorfinden.

Das zentrale Moment dabei ist die Anbindung des Schreibtisches an das Internet. Das Betahaus ist so auch Ausdruck eines Lebensgefühls, aber auch die Widerspiegelung von flexiblen Strukturen der Arbeit, in denen sich Freiberufler bewegen. Derartige Coworking Spaces gibt es mittlerweile mehrere, etwa in Köln, dort wird in den Zeiträumen zusätzlich eine Kinderbetreuung für arbeitende Mütter und gar ein hauseigener Fitnessraum für das Schwitzen zwischendurch angeboten. In all diesen Modellen stehen die Flexibilität des Arbeitens und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Mittelpunkt.

Doch längst sind diese Kriterien nicht mehr nur Bestandteil und Ausdruck einer Struktur und Kultur von freiberuflichen Kreativen, sondern sie sind dabei, die Norm einer künftigen Arbeitswelt in allen Unternehmen zu werden.

Mobile Working

Der internationale Siemens-Konzern zum Beispiel unternimmt derzeit einen revolutionären Umbau der Arbeitsorganisation unter dem Stichwort Siemens Office - New way of working. Das Konzept steht für mehr als eine neue Arbeitskultur, es steht für einen "Paradigmenwechsel" hin zu einer Arbeitswelt der Zukunft, so Christoph Leitgeb, Asset Manager bei Siemens Real Estate, jener Abteilung, die den Umbau gemeinsam mit den Konzernbereichen Human Ressources und IT vorantreiben.

Wie die Arbeitswelt der Zukunft aussieht, lässt sich am Siemens-Standort München am Otto-Hahn-Ring besichtigen. Das Prinzip ist auch hier die Flexibilisierung der Arbeit, die sowohl auf das "Mobile Working " als auch auf die "Work Life Integration" abzielt. Konkret äußert sich dies architektonisch in der Umwandlung von traditionellen Büroräumen in offene Bürolandschaften. "Die Raumaufteilung entspricht den unterschiedlichen Tätigkeiten während eines Arbeitstages", erläutert Leitgeb. Sitzecken und die Kaffeebar stehen für die informelle Kommunikation zwischen den Mitarbeitern. Für kreative oder vertiefende Arbeiten gibt es "Think Tank-Räume", ausgestattet mit Flatscreen und Videokonferenzschaltung. Für vertrauliche Telefonate dienen spezielle schalldichte Telefonzellen, dem Zwecke der Lautstärkenreduzierung dienen spezielle Sessel, die mit einer Plexiglas-Muschel verkleidet sind.

Das Grundprinzip dieser Bürolandschaft lautet Mobilität und so gibt es hier für die Mitarbeiter keine angestammten und festen Schreibtischarbeitsplätze mehr. Jeder sucht sich zu Arbeitsbeginn einen freien Arbeitsplatz, dieser ist mit einem Bildschirm und Anschlussmöglichkeiten zum Internet ausgestattet - ein Betahaus auf Konzernebene. Allerdings ohne Kreuzberger Hinterhofcharme, bei Siemens dominieren helle Farben, Glaswände stehen für Transparenz, Pflanzen und Bambusstäbe fungieren zwischen den Schreibtischen als Raumteiler. Sogenannte Kernzonen garantieren allerdings, dass die Mitarbeiter nicht eines Tages völlig verstreut im Gebäude herumsitzen, sondern sich schon noch in Abteilungen zusammenfinden.

Die notwendige Grundausstattung der Mitarbeiter für diese flexiblen Strukturen besteht aus einem Laptop und einem Handy. Zentral dabei ist aber eine einzige Telefonnummer für den Mitarbeiter, unter der er automatisch - ob im Büro oder Zuhause - erreichbar ist. "Wir gehen damit weg von der Fülle der Kontaktmöglichkeiten und hin zu einen Einzelkontakt", so Manager Leitgeb. Kommuniziert wird per Headset über eine Software, die auf dem Laptop aufgespielt ist.

Die Loslösung des Arbeitsplatzes von einem Ort beziehungsweise festen Schreibtisch verlangt allerdings neue Verhaltensweisen der Mitarbeiter. So gilt eine strikte "Clean-Desktop-Policy": Am Ende eines Arbeitstages muss der Schreibtisch vollständig geräumt und ebenso leer wie zu Beginn hinterlassen werden. Für weiterhin notwendige Ordner, Papierunterlagen und technische Geräte steht ein abschließbarer Spind zur Verfügung, ebenso wie eine kleinere Aufbewahrungsbox für persönliche Gegenstände.

Den Auftrag für das neue Konzept des "Siemens Office" erteilte der Vorstand im Jahr 2008, als Vorbild galt die Firmenfiliale im belgischen Anderlecht. Bis zum Jahre 2017/18 soll die neue Arbeitskultur im Konzern umgesetzt sein. Von den weltweit 336.000 Siemens-Mitarbeitern wird es vor allem die 140.000 Büromitarbeiter betreffen, manche Aspekte des Konzepts könnten aber auch an den Produktionsstandorten angewandt werden. Die Flexibilisierung der Arbeitsplätze bedeutet für Siemens eine Platzersparnis von weltweit eine Million Quadratmetern an Bürofläche, was finanzielle Einsparungen in dreistelliger Millionenhöhe entspricht. So werden für 130 Mitarbeiter nur noch 100 Schreibtischarbeitsplätze vorgehalten.

Die Umstellung auf das neue Konzept geht in den verschiedenen Ländern unterschiedlich vor sich, sagt Real Estate-Manager Leitgeb. Die kulturellen Hürden gegenüber der Flexibilisierung sind in Skandinavien eher niedriger und in den USA eher höher. Nicht jedem fällt es leicht, sich von gewohnten Routinen und seinem persönlichen Arbeitsplatz zu trennen. Ein sogenanntes "Change-Management" soll dafür sorgen, dass die Mitarbeiter bei Einführung des Konzeptes am Standort mit einbezogen und Bedenken und Befürchtungen aufgegriffen werden. Einbezogen ist bei einem Weltkonzern wie Siemens auch der Gesamtbetriebsrat. Der thematisiert zum Beispiel auch Fragen des Versicherungsschutzes, wenn Mitarbeiter außerhalb des Firmengeländes arbeiten.

Was bei Siemens das neue "Office", ist bei IBM, dem Vorreiter in Sachen work mobility, der sogenannte "e-place". Auch hier geht es um die transparente Bürolandschaft mit technologisch optimal ausgestatteten Arbeitsplätzen, die flexibel genutzt werden können - mittlerweile arbeiten fast alle Mitarbeiter in Deutschland nach diesem Konzept.