"Wie kommen Sie darauf, dass es nicht nach Recht und Ordnung zugeht?"

Die bayerische Justizministerin Beate Merk äußert sich im Telepolis-Interview zum Fall Mollath

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Nach Meinung der bayerischen Justizministerin Beate Merk berichten Teile der Medien zu einseitig im Fall des in einer forensischen Psychiatrie untergebrachten Gustl Mollath. Im Interview erklärt die Ministerin, dass sie bisher nie die Unterbringung von Mollath verteidigt, sondern schlicht "die Entscheidungen der Gerichte erklärt habe". Ausdrücklich lobt Merk die Berichterstattung von Spiegel Online und der Zeit, die den Fall "besonnen" und "objektiv" behandeln würden (eine kritischere Bewertung der Artikel von Spiegel Online und Zeit findet sich hier).

Merk machte außerdem darauf aufmerksam, dass die Staatsanwaltschaft an einem Wiederaufnaheandtrag arbeite, aber es derzeit noch unklar sei, wann sie den Antrag stellen werde. Das Interview ist in schriftlicher Form erfolgt, da Merk sich auch nach mehrmaligem Nachfragen gegenüber Telepolis nur schriftlich äußern wollte. Eine Frage, die die öffentliche Kritik an der Ministerin thematisierte, wurde wegen angeblicher "Unsachlichkeit" nicht beantwortet.

Beate Merk, Juli 2012. Bild: Ralf Roletschek/CC-BY-SA-3.0

Frau Merk, Sie haben im Fall Mollath um eine Prüfung zur Wiederaufnahme des Verfahrens gebeten. Warum haben Sie das getan?

Beate Merk: Ein Ansatzpunkt für ein Wiederaufnahmeverfahren habe ich am 30. November einem Zeitungsbericht entnehmen können. Daraufhin habe ich die Staatsanwaltschaft darum gebeten, einen Wiederaufnahmeantrag zu stellen.

In Interviews haben Sie immer wieder die Unabhängigkeit der Justiz betont. Dennoch haben Sie nun interveniert. Die Meldung, wonach der im Mollath-Prozess Vorsitzende Richter angeblich bei einem Nürnberger Finanzamt angerufen und noch bevor ein psychologisches Gutachten vorlag, Mollath dort bereits für verrückt erklärt haben soll, mag ein Grund für eine Prüfung zur Wiederaufnahme sein. Aber nochmal: Warum muss in Bayern überhaupt die Justizministerin eine Prüfung zur Wiederaufnahme eines Verfahrens anstoßen?

Beate Merk: Selbstverständlich prüft die zuständige Staatsanwaltschaft von Amts wegen, ob neue Erkenntnisse vorliegen, die zu einer Wiederaufnahme des Verfahrens führen können. Das Gesetz stellt aber - bundesweit und keineswegs nur in Bayern - für die Wiederaufnahme hohe Hürden auf. Nach den Zweifeln, die bei vielen Menschen aufgrund der Berichterstattung einiger Medien an den Voraussetzungen der Unterbringung entstanden waren, war es meine Aufgabe als verantwortliche Ministerin, einen Wiederaufnahmeantrag auf den Weg zu bringen. Die Unabhängigkeit der Justiz wird dadurch nicht berührt. Ob das Verfahren wirklich wiederaufgenommen wird oder nicht, entscheidet ein Gericht in richterlicher Unabhängigkeit.

Noch bis vor kurzem haben Sie strikt die Linie vertreten, dass Mollath aufgrund der Gerichtsentscheidungen und der Gutachten zu Recht weggesperrt ist. In der Münchner Runde im Bayerischen Fernsehen haben Sie erwähnt, dass Sie, sozusagen "hinter den Kulissen", durchaus schon länger nach einer Möglichkeit Ausschau gehalten haben, um eine Prüfung zur Wiederaufnahme des Verfahrens anzustoßen. In Ihrem Auftritt bei Report Mainz jedoch, aber auch im ZDF-Morgenmagazin genauso wie im Bayerischen Landtag, haben Sie unmissverständlich dargelegt, dass für Sie im Fall Mollath alles rechtens sei und es keiner Einmischung vonseiten der Politik bedürfe. Und das, obwohl Sie eigentlich "im Geheimen" bereits geprüft haben wollen, ob sich eine Prüfung zur Wiederaufnahme anstoßen lässt. Erwarten Sie wirklich, dass Ihnen die Bürger das glauben?

Beate Merk: Sie gehen von falschen Voraussetzungen aus. Ich habe nicht "strikt vertreten", dass Herr M. "zurecht weggesperrt ist", sondern ich habe erklärt, warum die Gerichte, gestützt auf fachärztliche Gutachter, zu der Überzeugung gelangt sind, dass die Voraussetzungen für eine Unterbringung Herrn Mollaths vorliegen. Man kann nicht einfach ein Verfahren wiederaufnehmen, bloß weil man es will. Die Voraussetzungen sind hoch. Es wäre nicht redlich, einen Wiederaufnahmeantrag in Aussicht zu stellen, obwohl es an den dafür erforderlichen Umständen fehlt. Nach diesen habe ich nicht - so wie Sie sagen - im Geheimen, sondern ernsthaft und intensiv geforscht..

"Eine Justizministerin darf richterliche Entscheidungen nicht nicht bewerten, nachprüfen oder kommentieren"

Sprechen wir über Ihre Einschätzung bezüglich Herrn Mollath. Sie haben in mehreren Interviews und öffentlichen Stellungsnahmen gesagt, dass Herr Mollath gefährlich sei. Gegenüber Report Mainz sagten Sie, um nur ein Zitat anzuführen: "Herr Mollath ist gefährlich. Man hat das unter anderem dadurch festgestellt, dass er schwere Körperverletzungen an seiner Ehefrau begangen hat, das Gericht hat das festgestellt aufgrund von Gutachten." Als Justizministerin haben Sie sich hörbar die Meinung der Behörden zu eigen gemacht und das, obwohl es zumindest Hinweise gibt, die einen die Urteilsfindung und die Gutachten hinterfragen lassen. Warum haben Sie so vehement die Entscheidung der Behörden gerechtfertigt und unterstützt?

Beate Merk: Wie Sie selbst richtig sagen, habe ich erklärt, warum ein Gericht - oder genauer gesagt mehrere Gerichte, u.a: der Bundesgerichtshof - so entschieden haben. Denn: Es geht hier um richterliche Entscheidungen,. Eine Justizministerin darf diese nicht nicht bewerten, nachprüfen oder kommentieren.

Würden Sie heute noch mal wiederholen, dass von Herrn Mollath eine Gefahr ausgeht und er sogar eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt?

Beate Merk: Bisher gilt: Gerichte haben, zuletzt im Juli und September 2012, so entschieden. Jetzt bleibt abzuwarten, wie die Gerichte über den Antrag der Staatsanwaltschaft auf erneute gutachterliche Überprüfung und den voraussichtlichen Antrag auf Wiederaufnahme entscheiden werden.

Sie dürften sich nun intensiv mit dem Fall Mollath auseinandergesetzt haben: Können Sie unseren Lesern erklären, warum Herr Mollath in einer forensischen Psychiatrie ist?

Beate Merk: Weil mehrere Gerichte, gestützt auf fachärztliche Gutachten, zu der Überzeugung gelangt sind, dass er Straftaten begangen hat, psychisch krank und für die Allgemeinheit gefährlich ist, vgl. § 63 des Strafgesetzbuches.

In der Münchner Runde haben Sie gesagt, dass Herr Mollath eben nicht wegen seiner Schwarzgeldvorwürfe weggesperrt worden sei, sondern aufgrund seiner angeblich begangenen kriminellen Handlungen im Zusammenhang mit "einem Wahn". Unter welchem Wahn soll Herr Mollath denn leiden, wenn seine "Schwarzgeldvorwürfe" keine Rolle gespielt haben?

Beate Merk: Ich habe auf die Gerichtsentscheidungen und die fachärztlichen Gutachten verwiesen. Nach der auf Gutachten gestützten Überzeugung der Gerichte ist für den Wahn und die Unterbringung von Herrn Mollath nicht entscheidend, ob es die behaupteten Schwarzgeldverschiebungen tatsächlich gegeben hat. Maßgeblich ist vielmehr nach Überzeugung der Gerichte, dass M. die von ihm behaupteten Verschiebungen als Teil einer gegen ihn gerichteten Verschwörung ansah, mit der er auch Personen in Verbindung brachte, die damit nichts zu tun hatten.

Im Zusammenhang mit den Anzeigen von Herrn Mollath haben Sie immer wieder davon gesprochen, dass die Staatsanwaltschaft keinen Anfangsverdacht gesehen habe. Der renommierte Strafverteidiger Gerhard Strate hat ein Gutachten zur Anzeige von Herrn Mollath erstellt. Strate spricht davon, dass die Staatsanwaltschaft hätte ermitteln müssen. Wie bewerten Sie die Einlassung von Herrn Strate?

Beate Merk: Der Generalstaatsanwalt in Nürnberg hat dazu im Rechtsausschuss des Bayerischen Landtags klargestellt, dass es für die Aufnahme von Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft entscheidend ist, dass konkrete Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten dargelegt werden und nicht bloße Verdächtigungen.

"Aus der einseitigen Berichterstattung einiger Medien resultiert das Problem"

"Eine Strafanzeige ist nicht erst dann eine Strafanzeige, wenn der Betreffende, der die Anzeige erstattet, Beweismittel vorlegt, denn das ist ja erst das Ziel, einer Strafanzeige, dass die Staatsanwaltschaft die Beweise überprüft und zum Teil die Beweise herbeischafft", hat Strate jüngst in einer Pressekonferenz gesagt. Aus der Anzeige von Herrn Mollath geht hervor, dass zahlreiche Namen von Personen und Banken angeführt wurden, außerdem wurden Namen von Konten genannt. Das ist doch sehr konkret. Wie konkret muss ihrer Meinung denn eine Strafanzeige sein, um eine Staatsanwaltschaft zu Ermittlungen zu veranlassen?

Beate Merk: Es geht hier um die Einschätzung der Staatsanwaltschaft. Diese hat nicht verlangt, dass Beweise vorgelegt werden. Der Generalstaatsanwalt in Nürnberg hat klargestellt, dass es notwendig ist, konkrete Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten darzulegen. Er hat auch dargestellt, dass es dazu nicht genügt, nur Namen zu nennen und Geldbewegungen darzustellen, weil sich daraus keine genügenden Angaben für ein strafbares Verhalten ergaben.

Die Süddeutsche Zeitung hat nach ihrem Auftritt in der Münchner Runde einen Faktencheck gemacht. Die Zeitung schreibt unter anderem, dass auf Seite 7 und 16 des Revisionsberichts der HypoVereinsbank (der uns auch vorliegt) über Schwarzgeld bzw. über Geldwäsche gesprochen wird. Genau das haben Sie aber in der Münchner Runde verneint. Die SZ kommt zu dem Urteil: "Bewertung dieser Merk-Aussage: widerlegt." Halten sie nach wie vor an der Aussage fest, dass in dem Revisionsbericht nichts zum Thema Schwarzgeld bzw. Geldwäsche steht?

Beate Merk: Auch hier habe ich die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, die von den Fachleuten im Ministerium geteilt wird, dargestellt. Die Schlussfolgerung der Süddeutschen Zeitung trifft nicht zu. Auf Seite 16 des Berichtes steht, dass sich die Geldwäschebeauftragten der HVB und damaligen Hypotochter Bethmann Bank, auf eine Geldwäscheverdachtsanzeige verzichtet haben - ich zitiere jetzt wörtlich die Begründung: "Da es sich nach Prüfung der Umstände nicht um deliktische Gelder handeln dürfte." Die auf Seite 16 erwähnten Verstöße betrafen, wie die SZ selbst darstellt, gerade nicht die von Herrn M. konkret erhobenen Vorwürfe und im Übrigen auch keine Schwarzgeldgeschäfte.

Der Fall Mollath hat sich doch - und das wohlgemerkt: unabhängig davon, was noch dabei herauskommen wird, ob sich die Vorwürfe nun bestätigen oder nicht - längst zu einem Gau für die Bayerische Justiz, aber auch mittlerweile für die Politik entwickelt. Die Stimmen derer, die glauben, in Bayern herrsche der Filz, Teile der Justiz würden ihrer Aufgabe nicht mehr nachkommen und unliebsame Bürger einfach wegsperren, sind zahlreich. Mittlerweile berichten selbst ausländische Medien, wie etwa der Guardian von dem Fall. Ein ausgereiftes Krisenmanagement sieht anders aus.

Beate Merk: Genauso wie Sie ihre Fragen stellen - nämlich ausblendend, dass ich nicht die Unterbringung Herrn Mollaths verteidigt, sondern die Entscheidungen der Gerichte erklärt habe - agieren eben leider einige Medien. Aus dieser einseitigen Berichterstattung einiger Medien resultiert das Problem. Dass es auch besonnene Medien gibt, die den Fall Mollath objektiv sehen, statt Klischees zu bedienen, können Sie übrigens dem Spiegel vom 17. Dezember sowie der Zeit und Spiegel Online vom 13. Dezember entnehmen, um nur einige Beispiele zu nennen. Und, zum Krisenmanagement: Schauen Sie sich dessen Ergebnis doch an: Ich habe dafür gesorgt, dass das Verfahren neu aufgerollt und Klarheit geschaffen werden kann - genau darum geht es doch !

Wie ist der Stand der Dinge? Bis wann wird vonseiten der Justiz eine Entscheidung zu erwarten sein, ob es denn eine Wiederaufnahme des Verfahrens geben wird?

Beate Merk: Der Antrag auf erneute gutachterliche Überprüfung ist bereits bei Gericht gestellt. Zudem arbeitet die Staatsanwaltschaft auf meine Bitte an einem Wiederaufnahmeantrag. Wann dieser gestellt werden wird, kann jetzt noch nicht gesagt werden. Wann das unabhängige Gericht über den Wiederaufnahmeantrag entscheidet, kann man ebenfalls noch in keiner Weise prognostizieren.

Werden Sie und ihr Ministerium den Fall Mollath weiter verfolgen und gewährleisten, dass alles nach Recht und Ordnung zu gehen wird?

Beate Merk: Wie kommen Sie darauf, dass es nicht nach Recht und Ordnung zugeht ? Ich finde es höchst bemerkenswert, dass Sie mir einerseits Eingriffe in die unabhängige Justiz vorwerfen, andererseits aber schnell bei der Hand sind, von mir zu fordern, das Verfahren einer unabhängigen Justiz zu beaufsichtigen. Der Rechtsstaat ist für mich oberstes Prinzip. Im Übrigen: Warum greifen Sie die Justiz schon an, bevor sie überhaupt arbeiten konnte, und behaupten Dinge, die in keiner Weise bewiesen sind ?