Altersarmut? Selber schuld!

Der Wissenschaftliche Beirat bei Röslers Wirtschaftsministerium betreibt Klassenkampf von oben

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Dass Altersarmut prinzipiell ein Problem ist, mit dem es sich zu beschäftigen gilt, ist mittlerweile auch in der Bundesregierung angekommen. Oder zumindest in Teilen davon. Denn während die Arbeitsministerin von der Leyen immerhin mit einer für die Betroffenen kaum erreichbaren Lebensleistungsrente die Lösung der Probleme simuliert, scheint die FDP selbst diese Alibi-Lösung zu Fall bringen zu wollen. Nun schaltete sich der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium in die Debatte ein – mit einem Gutachten, das Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) gefallen dürfte.

Denn der Beirat stellt fest, dass es im Bereich der Altersarmut keinen Handlungsbedarf gibt. Armut im Alter gebe es in Deutschland noch vergleichsweise selten, meint der Beirat. Denn wirklich arm sei man nur dann, wenn man auch auf Grundsicherung angewiesen ist – und das betreffe derzeit nur 2,6 Prozent der Menschen über 65. Bei den jüngeren Personen seien jedoch 7,4 Prozent auf Grundsicherung angewiesen.

Auch der Anteil der armutsgefährdeten Alten, die weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens beziehen, liege mit 15,3 Prozent unter der durchschnittlichen Armutsgefährdung der Gesamtbevölkerung, die bei 20 Prozent liege. Das sei auch im internationalen Vergleich ein niedriger Wert. Nicht die Alten, sondern die Jungen hätten deshalb ein Armutsproblem, so der Beirat. Die Frage, ob diese Quoten für ein reiches Land wie die Bundesrepublik nicht vielleicht ein Armutszeugnis sein könnten, kommt für den Beirat nicht auf.

Auch künftig gebe es keine Probleme mit der Altersarmut. Zwar steige die Armutsgefährdung durch die Absenkung des Nettorentenniveaus auf 43 Prozent bis zum Jahr 2030. Allerdings gebe es ja Gegenmaßnahmen wie die Erhöhung des Renteneintrittsalters und die Förderung der privaten Altersvorsorge über Betriebs- und Riesterrenten. Dass diese Förderung zu Lasten der gesetzlichen Rente geht und höchstwahrscheinlich nur für den Rentenanbieter ein lohnendes Geschäft ist, verschweigt der Beirat geflissentlich. Stattdessen gibt sich das Ökonomengremium optimistisch: Die sinkende gesetzliche Rente könne ja von der privaten Rente kompensiert werden.

Ob dies gelingt, hänge jedoch "vom Willen und vom Vermögen der Menschen ab, später als bisher in Rente zu gehen und privat oder betrieblich für das Alter vorzusorgen". Aus Sicht des Beirats scheinen die Chancen dafür gut zu stehen, denn die Zahl der über 60-Jährigen mit sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung sei in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Dass die meisten von ihnen keine Vollzeitstelle haben, die für eine gute Rente jedoch wichtig wäre – auch dies verschweigt der Beirat.

Immerhin erkennt er, dass die Zahl der Minijobber und Niedriglohnempfänger in den letzten Jahren kontinuierlich steigt. Ob dies jedoch zur Altersarmut von morgen beiträgt, mögen die Ökonomen nicht sagen – die Entwicklung von Einkommen und Beschäftigung seien zu unsicher, um sie seriös vorherzusagen.

Das Fazit der Ökonomenrunde: Sollte die Altersarmut in Zukunft steigen, dann liege das nicht an den Rentenreformen der Vergangenheit, die ja faktisch Rentenkürzungen sind. Vielmehr nehme Altersarmut zu, "wenn Arbeitnehmer die notwendigen Anpassungen an neue Rahmenbedingungen (späterer Renteneintritt und eigene Sparanstrengungen) versäumen". Mindestlöhne, die auch zu höheren Einzahlungen in die Rentenkasse führen würden, lehnt der Beirat ebenso ab wie eine Erhöhung der Rente auf Basis des Produktivitätsfortschrittes, da letzteres nicht funktionieren könne. Stattdessen rät er, dass die Menschen ihre Lebensarbeitszeit verlängern und mit besserer Bildung höhere Löhne erreichen sollten.

Armut ist "politisch gewollt"

Zu einem ganz anderen Ergebnis hingegen kommt der Schattenbericht der Nationalen Armutskonferenz (NAK), der fast zeitgleich mit dem Gutachten des Beirats in Berlin vorgestellt wurde. Die regierungsunabhängige NAK wird vom Deutschen Gewerkschaftsbund und verschiedenen Wohlfahrtsverbänden getragen. Demnach sind heute nahezu doppelt so viele Menschen im Alter in der Grundsicherung wie noch 2005. Insgesamt liege die Armutsquote seit Jahren konstant zwischen 14 und 16 Prozent – Armut sei daher "politisch gewollt". Belegt würde dies durch die niedrigen Hartz IV-Sätze und der ausufernde Niedriglohnsektor.

Tatsächlich versucht die Bundesregierung, getrieben vor allem von Wirtschaftsminister Rösler, das Thema Armut in Deutschland zu verleugnen. Gemeinsam mit der Kanzlerin gibt er die Parole aus, Deutschland ginge es so gut wie nie in seiner Geschichte. Der offizielle Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, der heute vorgestellt wird, ist deshalb wegen heftiger Kritik Röslers entschärft worden. Fakten wie die real sinkenden Löhne gerade in den unteren Einkommensgruppen und das immer stärkere Auseinanderdriften von Arm und Reich mag er nicht lesen. Es würde auch der liberal-konservativen Ideologie, wonach sich Leistung am Ende schon auszahlen werde, widersprechen (Liberale Verklärung).

Das Gutachten des formell zwar unabhängigen Beirats beim Wirtschaftsministerium hat mit seiner Ablehnung gegenüber Mindestlöhnen und dem Aufstocken von Renten daher auch politisches Gewicht. Es liefert der Bundesregierung genau jene inhaltliche Grundlage, die sie braucht, um auch weiter über die real existierenden Probleme in Deutschland hinwegsehen zu können.