Der angekündigte Krieg

Karte der Tuareg-Rebellion in Azawad, Stand: April 2012. Bild: Orionist/CC-BY-SA-3.0

Ein Putsch unterbricht die Vorbereitung einer Militärintervention in Nordmali. Islamisten haben weiter die Kontrolle über das Gebiet, die UN beschließt die Entsendung von Friedenstruppen

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Der Krieg gegen den Terror verschiebt sich mehr und mehr nach Afrika. In Mali haben militante Islamisten ein riesiges Gebiet übernommen, das zum neuen Zentrum des nordafrikanischen Terrorismus werden kann und schon jetzt ein Rückzugsort für Terroristen ist. Dies destabilisiert die Region weiter, EU-Politiker sehen darin auch eine Gefahr für Europa. Ein Militäreinsatz scheint unvermeidbar und wurde schon beschlossen. Während die Bündnisse für eine Intervention Gestalt annehmen, kommt es in Malis Hauptstadt Bamuko zum Militärputsch. Gestern hat der UN-Sicherheitsrat einstimmig die Entsendung einer von Afrika geführten Internationalen Mission für ein Jahr beschlossen, um den Behörden bei der Wiedereroberung der von Rebellen gehaltenen Regionen zu helfen und die Einheit des Landes wiedreherzustellen.

Über Amatou Sanogo ist wenig bekannt. Der Hauptmann ist wohl der mächtigste Mann Malis; im Dezember hat der 39- oder 40-Jährige zum zweiten Mal in diesem Jahr den Staatschef abgesetzt. Manchen gilt er daher als Diktator.

Was Sanogo vorhat, um die schwerste Krise des Landes zu beenden, ist unklar. Vielleicht zieht er in den Krieg, der Anfang Dezember beschlossen wurde, vereint das Land wieder und erklärt Neuwahlen. Vielleicht verschleppt oder verschärft er aber auch die katastrophale Situation.

In dem Krieg, der als unvermeidlich gilt, aber noch nicht begonnen wurde, geht es um den Norden des Landes. Das sind zwei Drittel des Staatsgebietes, eine Fläche, gut doppelt so groß wie Deutschland. Die von den Tuareg Azawad genannte Region reicht weit in die Sahara hinein und ist einer der lebensfeindlichsten Winkel des Planeten. Im Süden fließt der Niger, im endlosen Norden gibt es Sand, Staub, Geröll und vereinzelt Oasen. Gerade mal eine Million Menschen leben hier; wirtschaftliche Bedeutung hat der Azawad vor allem als Korridor für Schmuggler, die Drogen aus Südamerika oder Menschen aus Westafrika nach Europa schleusen.

Die Situation im Azawad ist längst außer Kontrolle. Darüber sorgt sich auch Guido Westerwelle: "Die Lage in Mali ist von großer Bedeutung für die Sicherheit und Stabilität der Sahelzone und ganz Afrikas sowie für die Sicherheit Europas", so der Außenminister. Westerwelle erklärt mit seinem französischen Kollegen Laurent Fabius, "diese große Herausforderung gemeinsam anzugehen".. Bereits im März hatte Nicolas Sarkozy, damals noch Präsident, gesagt, Mali dürfe kein Terroristenstaat werden

Bild: CIA

Aufstand oder Landraub?

Das ist der Alptraum der Sicherheitsexperten: Nordmali - ein Terroristenstaat; das größte von Extremisten kontrollierte Gebiet der Welt. Islamisten, so fanatisch, dass sie die sogar die Prophetengräber von Timbuktu verteufeln; Drogenschmuggler, Entführer, Dschihadisten, im heiligen Krieg gegen alles, was ihrem Glauben zuwiderläuft - solche Gruppen bilden de facto die Staatsführung. Ihre Namen findet man auf den Terrorlisten von UN, EU und USA.

Die Mächte, die Malis heimsuchen, sind vor allem aus dem Norden gekommen. In Gaddafis Heer hatten Tuareg gekämpft, nach seinem Sturz flohen sie in den Süden, hinein in die Sahara. Parallel dazu strömten Islamisten, die in Algerien, Niger oder Mauretanien verfolgt wurden, nach Mali. Die Tuareg vereinten sich in der "Nationalen Bewegung für die Befreiung des Azawad" (MNLA), die Islamisten in Ansar Dine, was "Verteidiger des Glaubens" bedeutet sowie in der "Bewegung für Einheit und Dschihad in Westafrika" (MUJAO), die eine Abspaltung von Al-Qaida im Maghreb (AQIM) ist. Im Norden Malis fanden sie kaum Widerstand.

Tuareg-Kämpfer. Bild: MNLA

Den erste Coup d'Etat landete Sanogo im März. Er warf dem Präsidenten Touré vor, mit den Tuareg im Azawad zu lasch umzugehen, setzte ihn ab und ließ Regierungsmitglieder verhaften. Vielleicht hatte er mit dem Vorwurf recht - doch mit dem Putsch erreichte er das Gegenteil: Die Regierung war gelähmt, MNLA und Ansar eroberten in kürzester Zeit die drei relevanten Städte in Nordmali - Timbuktu, Gao und Kedal. Dann erklärten sie gemeinsam den unabhängigen Staat Azawad.

In Bamuko - der Hauptstadt Malis - nennt man die Aufständischen "Eindringlinge". Die Besetzung des Nordens ist vielleicht ein Aufstand, vielleicht aber auch der größte Landraub des Jahrhunderts.

Ein Physiker, kein General

Keine Nation der Welt hat den neuen Staat anerkannt. Nicht mal der Iran. Kurz nach der Eroberung brach auch das Bündnis von Tuareg und Islamisten; Ansar Dine vertrieb mithilfe der MUJAO die MNLA aus Gao und Timbuktu und baut seitdem einen Gottesstaat auf.

Sanogo ließ währenddessen eine Art Expertenregierung mit Cheick Modibo Diarra als Ministerpräsident einsetzen. Diarra ist ein Überflieger, ein guter Experte zur falschen Zeit. Der Physiker, geboren in Mali, hat in den USA promoviert, für die NASA unter anderem den Pathfinder zum Mars oder den Magellan zur Venus gesteuert und für Microsoft das Afrika-Geschäft geleitet, bevor er Stiftungen gründete und als UNESCO Botschafter Bildungsprojekte in Afrika anstieß. Den "Stolz von Mali und Afrika" nennt ihn die Unesco-Homepage.

Diarra mag ein brillanter Wissenschaftler und Manager sein - er ist kein Politiker und General. Seine Aufgabe war es nicht, das Land aus der Armut zu führen, sondern den okkupierten Norden zurückzuerobern.

Der gestürzte Modibo Diarra am 26, September 2012 auf der UN-Generalversammlung. Bild: UN Photo/Marco Castro

Diarra hat wohl erkannt, dass die malische Armee mit dieser Aufgabe überfordert ist. Zwar ist die Zahl der Militanten im Azawad überschaubar - BND-Chef Gerhard Schindler erwähnt gegenüber der FAS rund 2.000, das US-Verteidigungsministerium geht von 800-1200 Mann als hartem Kern aus. Doch die Kämpfer sind gut ausgebildet und bewaffnet, während sich das malische Heer, so Herve Ladsous, Sicherheitsbeauftragter der UN, "in einem relativ fortgeschrittenen Zustand der Zersetzung" befindet.

Also suchte Ministerpräsident Diarra nach Hilfe. Er bat die afrikanischen Union, die Wirtschaftsgemeinschaft westlicher Staaten, die USA, die EU und die UN um Unterstützung. Der Sicherheitsrat der UN hat in einer Resolution einen Krieg gestattet, aber noch keine Angaben zu Unterstützung gemacht. Dagegen verspricht die EU - vor allem von Frankreich gedrängt - Hilfe in Sachen Ausbildung, Logistik und Ausrüstung. Die USA natürlich auch, allerdings verlangen sie demokratische Wahlen, was unter den gegebenen Umständen ein wenig an der Wirklichkeit vorbeigeht. Bodentruppen dagegen schließen sowohl die USA als auch die EU aus.

Sie wollen Krieg - wir geben ihnen Krieg

Das ist das Modell Somalia: Der Westen unterstützt Afrika im Kampf gegen den Terror, doch führen muss ihn eine Macht des Kontinents. In Somalia eroberte die Afrikanische Union auf diese Weise Mogadischu zurück, seitdem gilt das Modell als gelungen. Der Westen hält sich zurück, afrikanische Bündnisse agieren als Kontinentalpolizei.

Im Falle Malis nimmt die ECOWAS das Heft in die Hand. Die Wirtschaftsgemeinschaft der 15 Westafrikanischen Staaten hat bereits in Liberia, der Elfenbeinküste und anderswo interveniert, allerdings noch keinen Angriffskrieg geführt. Sie hat verkündet, 3.300 Mann nach Nordmali zu schicken. Als Anführerin einer Koalition der Willigen ruft sie andere afrikanische Staaten zur Hilfe auf.

Damit wurde der Krieg beschlossen, doch einen Termin, wann es losgeht, nannte die ECOWAS nicht. UN-Generalsekretär Ban Ki-mon meint, frühestens im Herbst 2013. Der von den Afrikanern vorgelegte Plan sei unvollständig, die Armeen in zu schlechtem Zustand, Bamuko solle bis dahin verhandeln.

Das ist vielen zu spät. Einerseits wegen der humanitären Katastrophe: Rund 400.000 Menschen sind auf der Flucht, die Nahrung ist knapp, die Scharia in Kraft. Andererseits bereiten sich die Gotteskrieger ebenfalls vor. "Sie wollen Krieg, wir geben ihnen Krieg", sagte ein MUJAO-Führer in Gao, "Darum kommen unsere Brüder von überall her zu Hilfe: Von Algerien, von Senegal, von der Elfenbeinküste, von überall."

Die vermeintlichen Krieger Gottes kennen eben keine Grenze. Unter den Nachrichten, die aus dem Norden nach außen dringen, mehren sich die von der Ankunft weiterer Kämpfer - mal aus Algerien, mal sogar aus dem Sudan. Al-Qaida im Maghreb verschiebt seinen Sitz von Algerien nach Timbuktu und ernannte unlängst einen Emir der Sahara, während Terrorzellen in Nigeria und Marokko mit Anschlägen drohen, falls ihre Länder Mali unterstützen. Nord-Mali ist das, was es, so damals Sarkozy, nicht sein darf: Ein sicherer Hafen für Terroristen, das Zentrum eines Netzwerkes, das sich über ganz Nordafrika spannt.

Keiner will Terroristen, keiner will Krieg

Niemand will ein solches Gebilde, keiner wird eine Militärintervention verurteilen. Allerdings fürchten die Staaten der Region, dass sich der Libyen-Effekt wiederholt - dass die Terroristen über die Grenzen flüchten, wenn Soldaten einmarschieren. Und niemand will die radikalen Islamisten im Land haben. Nicht mal die Muslimbrüder. Ägyptens Vizepräsident Mahmoud Mekki forderte die ECOWAS deshalb auf, eine friedliche Lösung zu suchen.

Ebenso die Nachbarn Malis: Algerien im Norden und Mauretanien im Westen schließen die Beteiligung an einem Einsatz aus, kündigen aber die Verteidigung ihrer Grenzen an. Im Geheimen sind manche vielleicht froh, dass der Azawad die Radikalen anzieht wie ein Magnet.

Burkina Faso wird sich beteiligen. Marokko würde ebenfalls, doch weil Marokko einen ungelösten Konflikt mit der Afrikanischen Union hat, verkompliziert dies die Lage nur weiter … Die Hauptlast der ECOWAS-Truppen wird Nigeria stemmen, das mit Abstand größte Land Westafrikas, mit seinen ganz eigenen Problemen.

Flüchtlinge aus Mali in einem Lager nahe an der Grenze zu Mali in Niger. Bild: UNHCR/H.Caux

Militärputsch 2.0

Solange die UN keine weitere Unterstützung zusagt, können Ministerpräsident Diarra und Hauptmann Sanogo derweil nur tun, was ihnen geraten wurde: Das Gespräch suchen. Sie demonstrierten gemeinsam mit den Klerikern Malis für die Einheit des Landes, für Toleranz und gegen Fanatismus. In Burkina Faso redeten Vertreter Bamukos mit der MNLA und Ansar Dine.

Insbesondere Ansar Dine spielt eine schwer durchschaubare Doppelrolle: Einerseits bleibt die Gruppe beim Islamismus und hält Kontakt zu Terrornetzen, andererseits lehnt sie den Terror ab und sagt, sie strebe eine konstruktive Lösung mit allen Beteiligten an. Die Tuareg der MNLA behaupten dagegen, einen Krieg gegen den Terror zu führen, wenn sie, beispielsweise um Kedal kämpfen, während andere Tuareg eine AQIM-Brigade bilden und die MUJAI AQIM als Gruppe von Verrückten, Schmugglern und Rassisten beschimpft . Gut möglich also, dass die Zeit auf Diarras Seite spielt und sich die militanten Verbände in Nordmali selbst zerfleischen oder auf die Seite der afrikanischen Armee schlagen.

Allerdings entzweiten sich auch Diarra und Sanogo. Während der Ministerpräsident entschlossen um internationale Hilfe wirbt, lehnt der Hauptmann eine aktive Beteiligung ausländischer Mächte ab. Unterstützung ja, aber keine Soldaten auf Malis Boden. Der Streit wurde zum offenen Machtkampf, als Diarra die UN um Hilfe fragte, ohne dies zuvor mit Sanogo abzusprechen, und er endete damit, dass Sanogos Brigade am 10. Dezember Diarras Haus stürmten und den Präsidenten festnahm. Am Tag darauf erklärte Diarra im Staatsfernsehen seinen Rücktritt sowie den der ganzen Regierung. Ein Sprecher der Junta sagte: Diarra sei kein demokratisch gewählter Präsident gewesen und er sei daran gescheitert, den Norden zu befreien.

Anschließend wurde Diango Cissoko zum neuen Ministerpräsident berufen. Cissoko bekundete, den Norden befreien und Neuwahlen abhalten zu wollen. Die Internationale Gemeinschaft hat sich von dem Putsch nicht abschrecken lassen. Die beschlossene Mission soll nicht nur den Kampf gegen die Rebellen mit allen notwendigen Mitteln unterstützen, sondern auch sicherstellen, dass die verfassungsgemäße Ordnung und die nationale Einheit durch freie Wahlen wieder hergestellt wird. Mit Rebellen, die dem Terrorismus abschwören, sollen Verhandlungen aufgenommen werden. Die Mission soll die Bevölkerung schützen und die Lage sichern, sodass die Geflüchteten wieder zurückkehren können.