Real Life Siegfried

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Drachentöten und Sklavenbefreiung in Quentin Tarantinos "Django unchained"

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Chango ist je ein Ort in Ghana, Indien, Pakistan und Angola, außerdem ein Ureinwohner in Teilen Südamerikas sowie eine Yoruba-Gottheit, auch Shango oder Xango genannt. Überdies ist Django ein Western bzw. eine ganze Italo-Westernwelle aus den Sechzigern. Hierzu könnte man ergänzen, dass Sergio Corbucci, der Regisseur des ersten "Django", seine Hauptfigur erklärtermaßen nach einem französischen Sinto benannt hat, dem begnadeten Django Reinhardt.

Diese kleine kostenfreie Zusatzinformation erfolgt hier aus zwei Gründen. Erstens finden derzeit auf Erden überall Gscheithaferl-Fragespiele unter Kinogängern statt: Wo sind die Zitate im neuen Tarantino? Wer kennt die meisten zitierten Filme? Und: Wer hat ja so einen Spaß gehabt, weil er so wahnsinnige viele Zitate entdeckt hat? Bzw.: Wer hat's irgendwie lasch gefunden, weil die Zitate so einfach waren? Da schadet so ein bisschen Klugscheißerei in der Rezension nicht.

Zweitens ist es durchaus hübsch, die Achse Yoruba-Sinti-Western zu kennen, weil nun Quentin Tarantino das kulturgeschichtliche Gewurschtel noch unübersichtlicher gemacht hat. Sein Django ist nun ein Ex-Sklave in den US-Südstaaten - ein Afro-Amerikaner. Es ist also sowieso schon alles vollständig durcheinander, so dass man gar nicht weiter darauf achten muss, auf was sich der Schundfilmfan Tarantino in Django unchained am Rande so spaßeshalber bezieht.

Man könnte schon dankbar sein, wenn dieser Western, wie in der ersten Stunde, nur eine Reihe von fabelhaften Episoden wäre. Der politisch einigermaßen korrekte Kopfgeldjäger Doc Schultz befreit zunächst den Sklaven Django und nimmt ihn unter seine Fittiche.

Man beschließt, zusammenzuarbeiten. Ob im nächtlichen Walde, vorm Saloon, oder auf dem malerischen Anwesen von Big Daddy: Es beginnt stets mit kruden Gesprächen, Sympathen wie Unsympathen stellen sich vor und bald droht Ungemach. Kulminationspunkt ist jeweils das Abfeuern der ersten Kugel, dann spritzt das Blut recht schwungvoll aus den jeweiligen Bösewichtern. Das spanische Moos weht dazu leise im Wind, die Baumwolle kriegt hübsch' rote Flecken.

Links und lustig

Schließlich kommt noch der Klan angeritten; eindrucksvoll sehen sie aus, die Kapuzenträger im Fackelschein, bis sie sich in einem netten Sketch fast wieder selbst auflösen. Es ist aber doch wieder ein Schuss, der die Episode drastisch beendet. Quietschvergnügtes, überraschendes Rächer-Kino, nennen wir’s mal "links und lustig".

Als Autor wie Regisseur bereichert Tarantino den Western mit jedem einzelnen Kapitel, dazu schenkt er dem Genre etliche reizende Bilder, etwa den wackelnden Werbezahn an Doc Schultzens Zahnarztkutsche oder den schwarzen Revolvermann in Schneeschuhen, der an einem Schneemann Schießübungen verrichtet.

Doch dann wagt sich der Film noch näher an das Thema Sklaverei und die damaligen Zustände auf den Plantagen heran. Django will seine Frau befreien, die als Sklavin im sogenannten Candyland des reichen Baumwollhändlers Calvin Candie gefangen gehalten wird.

Ihr Name Broomhilda weckt in dem deutschen Doc Erinnerungen: Er erzählt Django von Siegfrieds Kampf um Brunhilde gegen Drachen und Höllenfeuer. Und weil Doc Schultz beginnt, seinen Gefährten als "Real Life Siegfried" zu betrachten, beschließt er, ihm zu helfen. Man macht sich auf in die Drachenhöhle.

Possenspiel am Rande der Hölle

Die Bilder von der Sklavenhaltung bzw. -misshandlung werden von Tarantino nicht für Effekte oder Trashzitate ausgebeutet. Da geht es ihm erkennbar nicht um reine Unterhaltsamkeit. Das Motiv von Django als "Nigger on a horse" in der stets feindseligen Südstaatenwelt erzeugt zudem große Wirkung, auch wenn er dabei mal ein lächerliches Lakaien-Kostüm trägt.

Die weiße Welt ist so zutiefst rassistisch, die Lage der Schwarzen so aussichtslos und die Gewalt so allgegenwärtig, dass die vielen komischen Momente vor diesem Hintergrund mitunter an Ernst Lubitschs waghalsige (und wohl ewig unerreichte) Nazi-Komödie "Sein oder Nicht Sein" erinnern. Es ist ein Possenspiel am Rande der Hölle, das bei Tarantino mit einem waghalsigen Rollentausch angereichert wird: Der schlimmste Feind der Sklaven ist der alte Diener Stephen, ein Edelsklave in gehobener Position, der andere Schwarze beleidigt und denunziert.

Western sind seit den Siebzigern nur tröpfchenweise produziert worden, darunter Krempel wie "Silverado", Solides wie "Open Range" oder "3:10 to Yuma", meist aber beflissene Spezialanfertigungen wie "Ride with the Devil", "Dance with the Wolves" oder "Unforgiven". Nichts davon hat eine neue Westernwelle ausgelöst. So wird auch "Django unchained" nur ein paar Zuschauer zum Kramen nach alten Italo-Western anregen.

Wenn sie Glück haben, stoßen sie dabei auf "Leichen pflastern seinen Weg", "Der Gehetzte der Sierra Madre" oder "Mercenario", häufig aber auf jenen bizarren Unfug, der Tarantino zu seiner stilistischen Großspurigkeit angeregt haben dürfte. Mit den Grotesken von Corbucci oder den politischeren Dramen von Sergio Sollima kann "Django unchained" jedenfalls bestens mithalten. Andrerseits ist sein Film eben weit mehr als eine Italo-Western-Hommage, auch wenn kurz mal Franco Nero auftritt.

Die Schauspieler genießen hier sichtlich ihre Zeitreise. Christoph Waltz setzt als charmierender Killer bei seiner Rolle aus "Inglourious Basterds" an, wird aber zusehends menschlicher. Dabei repräsentiert er auch die Bildung und Manieren des alten Europa. Einmal heißt es, ausgerechnet er, der Kopfgeldjäger, sei eben die amerikanische Gewalttätigkeit noch nicht so gewöhnt. Jamie Foxx fungiert bestens als der große Schweiger und Leonardo DiCaprio darf als Gentleman-Widerling schöne, böse, dumme Ansprachen halten.

Die Rolle des Drachen, den Django-Siegfried zu besiegen hat, teilt sich DiCaprio mit Samuel L. Jackson, der sich als Stephen kein bisschen zurückhält. Aus diesem rassistischen Sklaven macht Jackson eine ernste Charakterstudie und zugleich eine burleske Parodie mit schwerem Südstaaten-Akzent und Onkel-Tom-Gehabe.

Erwachsen und wieder zwölf sein

Quentin Tarantino, der Mann der angeblich im Videoladen sozialisiert wurde, ist ja immer noch, wie sein Freund und Kollege Robert Rodriguez, ein freudvolles Idol für die ewigen Zwölfjährigen, jenen Typus, der mit Vierzig noch Star Wars-Figuren sammelt, sich also über Gebühr mit Stuss befasst, sei es nun Tolkien, Batman oder Werner Brösel. Dass Tarantino bei allem Spaß an Albernheiten ein sehr erwachsener Autor-Regisseur, geworden ist, sollte man aber allmählich mitgekriegt haben. Ganz so unverdrossen wie in "From dusk till dawn" ist der Cineasten-Gaudi-Trash nicht mehr, wenn auch dankenswerterweise längst nicht zeigefingerisch.

Rodriguez hat mit "Machete" schon die blutige Rache der mexikanischen US-Einwanderer inszeniert, Tarantino jagte in "Inglourious Basterds" die gesamte Nazi-Führungsriege in die Luft - zum Entzücken vieler Antifaschisten. Diesen tollkühnen Triumph kann "Django unchained" zwar nicht bieten, aber dafür einen vollwertigen Blaxploitation-Film mit großartigen Dialogen, bester Schauspiel-Inszenierung und natürlich ein bisschen Splatter-Schabernack.

Das Höllenfeuer entfacht Django, der Italo-Sinti-Yoruba-Siegfried, am Ende selbst, seine gerettete Brunhilde wartet mit den Pferden und lacht ihm herzig zu. Das Titellied von "Die rechte und die linke Hand des Teufels" stimmt an. Und diejenigen im Zuschauerraum, die bereits vor Jahrzehnten das gepfiffene Intro geliebt haben, können sich jetzt - nach Tarantinos langer, schlauer Sklavenbefreiungsgroteske - noch grinsend ein kleines, doofes Pferde-Kunststückchen ansehen, an Terence Hill denken und wieder zwölf sein.