Katar kämpft um Einfluss in der arabischen Welt

Das kleine Wüstenemirat schwingt sich auf zur Regionalmacht. Zumindest wirtschaftlich scheint sich diese gewagte Politik bereits auszuzahlen

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Im November 2012 sammelten sich mehrere Hundert Umweltschützer vor dem Parlament in der tunesischen Hauptstadt Tunis. Der Auslöser für diese Demonstration waren die Verhandlungen des neu gewählten tunesischen Ministerpräsidenten Hamadi Jebali von der islamischen Ennahda-Partei mit dem Energiekonzern Shell über den Zugang zu den großen Schiefergasvorkommen im Landesinneren.

Die Demonstranten beklagten, dass zu keinem Zeitpunkt der Vertragsverhandlungen das Parlament informiert worden sei. Sie forderten die Einsetzung einer unabhängigen Expertenkommission, die sich einen Überblick über die möglichen Gefahren einer Förderung der Vorkommen verschaffen sollte. Die Umweltschützer befürchten, dass durch das Fracking des Gesteins das Grundwasser verunreinigt werden könnte und sich damit das Wasserproblem des nordafrikanischen Staates noch deutlich verstärken würde.

Laut tunesischer Regierung geht es bei dem Deal um 10 Milliarden Euro. Ab 2020 sollen aus dem Schiefergestein täglich bis zu 12.000 Barrel Gas gefördert werden. Langfristig planen die Vertragsunterzeichner jedoch mit bis zu 70.000 Barrel Tagesförderung. Das Land habe wenig Alternativen zu diesem Vorgehen, so der tunesische Generalsekretär für Energie im Industrieministerium.

Tunesien hat angesichts der Gefahren auf Atomenergie verzichtet und die erneuerbaren Energien sind zu teuer.

Da die Regierung jedoch mit einer Zunahme des Energieverbrauchs des Landes von 6 Prozent jährlich rechne, müsse das Problem nun zügig angegangen werden.

Der tunesische Abgeordnete und Umweltwissenschaftler Chokri Yaiche von der liberalen Liste Afek Tounes dagegen warnte vor den Gefahren des Frackens. Bei dieser Methode werden große Mengen Wasser und Chemikalien in das Erdreich gepresst. Auf diese Weise wird das Gestein aufgebrochen und das darin lagernde Gas freigesetzt. Yaiche sieht die Gefahr, dass sich in dem Land die Wüstenbildung weiter ausbreiten könnte.

Auch die Vorsitzende der tunesischen Umweltinitiative AgricoForest, Assma Mdalssi, steht dem Projekt mit gemischten Gefühlen gegenüber.

Jedes Bohrloch verbraucht so viel Wasser wie ein Dorf mit tausend Einwohnern.

Sie fürchtet um das Grundwasser und die Landwirtschaft Tunesiens.Neben dem Vorwurf, die neue tunesische Regierung würde den Umweltschutz vernachlässigen, steht die Opposition diesem Vertrages noch aus einem anderen Grund kritisch gegenüber.

Sie wirft Ministerpräsident Jebali auch eine zu große Nähe zu dem Golfemirat Katar vor. Katar verfügt über ein bedeutendes Aktienpaket an dem Ölkonzern Shell. Dies, so die Demonstranten, sei der eigentliche Grund dafür, dass Shell nun den Zuschlag für die Förderrechte erhalten habe. Tatsächlich schien die Ennahda bei ihrem politischen Aufstieg in Tunesien nach der Revolution auf große finanzielle Unterstützung aus Katar zurückgreifen zu können.

Hilfe aus Katar für die Ennahda

"In Tunesien ist es ein offenes Geheimnis, dass Katar den Wahlkampf von Ennahda finanzierte", sagt die TV-Journalistin Moufida Abassi. Wie sonst, solle es möglich sein, dass eine Organisation aus dem Nichts in jeder Stadt neue Parteibüros einrichten und teure Geschenke an die Wähler ausgeben könne. Auch die Berichterstattung des in Katar sitzenden arabischen Nachrichtensenders al-Dschasira über die Ennahda deutet in diese Richtung. So habe Ennahda dort deutlich mehr Sendezeit erhalten als die anderen Parteien, sagt Abassi.

Für viele Beobachter des Arabischen Frühlings wird daher zunehmend deutlicher, dass mit der Hilfe der Ölmilliarden die dem Monarchen Scheich Hamad Bin Khalifa al-Than, genehmen Parteien und Organisationen an die Spitze der arabischen Staaten gehoben werden sollen.

In Libyen beispielsweise unterstützte Katar die Rebellen mit Gewehren, Munition und Panzerabwehrraketen. Darüber hinaus war Katar der einzige arabische Staat, der sich mit eigenen Flugzeugen am Nato-Einsatz gegen den Diktator Gaddafi beteiligte. Heute hält sich in Libyen das Gerücht, das sich zumindest Teile der neuen politischen Elite auf der Gehaltsliste des Scheichs befinden.

Der Nahostexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik, Guido Steinberg, sagte in einem Interview mit dem deutsch-französischen TV-Sender Arte: "Katar will ganz deutlich eine Führungsrolle spielen." Das Land profitiere dabei von der Schwäche der anderen Führungsmächte.

Ägypten sei vollkommen ausgefallen und es sei völlig unklar, wann Ägypten wieder eine regionalpolitische Rolle spielen könne. Saudi-Arabien sei zwar präsent, die politische Elite jedoch stark konsensorientiert, überaltert und "an vielen Tagen der Woche ganz einfach nicht handlungsfähig". In dieser Situation habe Katar eine sehr dynamische Führung gezeigt und "mit viel Geld und sehr entschlossener Unterstützung für die Islamisten eine Art Führungsrolle erobert".

Guter Zugang zu den Machteliten

Die Ziele Katars, die es mit einer solchen Politik verfolgt, sind für viele Beobachter bislang noch nicht leicht einzuordnen. Da Katar nur über etwa 1,7 Millionen Einwohner verfügt, ist es eigentlich deutlich zu klein für eine solche Interventionspolitik. Mancher Beobachter unterstellt dem Scheich daher einen Napoleon-Komplex oder eine latent islamistische Agenda. Klar scheint bislang nur eines: Das Land hat es geschafft, sich aus dem politischen Windschatten Saudi-Arabiens zu lösen und versucht nun seine eigene außenpolitische Agenda durchzusetzen.

Darüber hinaus wird auch immer klarer: Katar hat sich durch die Unterstützung der islamistischen Parteien in den arabischen Umbruchstaaten einen guten Zugang zu den neuen Machteliten der Region geschaffen. Auf der anderen Seite jedoch zieht das Land zunehmend die Kritik der Gegner der islamischen Regierungen auf sich.

Viele Gegner der Islamisten in Libyen, Tunesien und Ägypten sind in den letzten Monaten auch zu Gegnern Katars geworden.

Guido Steinberg

Der Aufstand in Syrien könnte für Katar noch zu Schwierigkeiten führen. So unterstützt Katar auch dort die Rebellen mit Geld und Material. Das Assad-Regime jedoch pflegt außerordentlich gute Beziehungen zum Iran. Bislang galt dies auch für Katar. So teilt sich das Emirat sein größtes Gasfeld mit dem Iran. Die Unterstützung der syrischen Rebellen jedoch könnte zu einer Verschlechterung des Verhältnisses führen, was dann wiederum Schwierigkeiten mit der eigenen unterdrückten schiitischen Bevölkerung provozieren könnte.

Der Kampf um Demokratie und unabhängige Regierungen in der arabischen Wel, scheint angesichts dieser Tatsachen also noch lange nicht beendet zu sein. Wer sich letztendlich durchsetzen und infolgedessen ein dauerhaftes politisches Regime errichten wird, ist bislang noch nicht geklärt. Klar scheint nur, der Ball liegt momentan in Katar. Ob es das kleine Land schaffen wird, eine ihm genehme politische Ordnung in Arabien aufzubauen, wird sich erst noch zeigen müssen.