Nichts aus der Krise gelernt

Spanien versucht mit dem Immobilien-Wahnsinn aus der Krise zu kommen, die das Land tief in die Krise gestürzt haben

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In ihrer Neujahrsansprache hat Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärt, die Welt habe "die Lektion der verheerenden Finanzkrise von 2008 noch nicht ausreichend gelernt". Eine solche "Verantwortungslosigkeit" dürfe sich nie wieder durchsetzen, meinte sie. Dabei sollte sich die Kanzlerin mal das Treiben ihrer konservativen spanischen Freunde ansehen, für die ständig Extrawürste gebraten werden. Die wollen mit riesigen Immobilienprojekten die Betonmischer aus der Immobilienblase wieder anwerfen und setzen zudem noch auf Glücksspiel. Für einen US-Milliardär werden Gesetze nach Maß gestrickt, damit er seine Glücksspiel‑ und Freizeitstadt am Rand der Hauptstadt bauen kann. Spanische Banken haben auch wieder mit der Unsitte begonnen, Immobilienkredite zu vergeben, die höher ausfallen als der geschätzte Wohnungswert.

Zum Jahreswechsel wurden in Madrid von der Regionalregierung der Region Madrid, welche die Hauptstadt und die Region darum umfasst, noch Gesetze verabschiedet, um das umstrittene Eurovegas-Projekt des US-Milliardärs Sheldon Adelson auf den Weg zu bringen. Es ist die rechte Volkspartei (PP), die kürzlich sogar von der Spanischen Bankenvereinigung (AEB) für die Immobilienblase verantwortlich gemacht wurde, die nun versucht, mit den Schandtaten die Krise zu überwinden, welche sie verursacht haben. Die Regionalregierung Madrids, die zudem vom ultrakonservativen Parteiflügel beherrscht wird, geht mit ihren Maßnahmen dabei besonders weit.

Sie hat nicht nur gegen den massiven Widerstand der Beschäftigten damit begonnen, das Gesundheitswesen in der Hauptstadt und der Region um Madrid zu privatisieren, sondern am 27. Dezember noch schnell mit ihrer absoluten Mehrheit ein Gesetz beschlossen, das im Volksmund "Lex Eurovegas" genannt wird. Denn es ist ganz auf die Vorgaben zugeschnitten, die der Casinomagnat aus Las Vegas diktiert hat. Nur wenn seine Forderungen erfüllt werden, will Adelson, gegen den wegen Korruption und Geldwäsche ermittelt wird, angeblich knapp 17 Milliarden Euro am Rande der Hauptstadt investieren.

Alle Beobachter gehen davon aus, dass nun in Eurovegas, wenn es tatsächlich umgesetzt werden sollte, auch das in Spanien geltende Rauchverbot außer Kraft gesetzt wird. Das hat der US-Milliardär, der Sohn jüdischer Einwanderer aus der Ukraine, stets zur Auflage gemacht. Im Herbst schien es, als würde sich das Projekt ausgerechnet an dieser Frage in Schall und Rauch auflösen (Spanisches "Eurovegas" vor dem Aus?). Nur wenn seine Forderungen erfüllt werden, will er sechs Glücksspieltempel mit 18.000 Spielautomaten und zwölf Hotels mit 36.000 Betten errichten, womit angeblich 260.000 Jobs geschaffen würden.

Mit dem neuen Gesetz hat die Madrider Regierung nun eine neue Figur erschaffen, die sogenannten "Entwicklungszentren". In diesen angeblich produktiven Zentren sollen Großprojekte wie Eurovegas umgesetzt werden können. Dazu fallen Bauauflagen, wie die Zahl der Stockwerke, damit auch Wolkenkratzer möglich sind. Die Bürgerinitiative "Eurovegas No" in denen sich die Gegner vereint haben, weist darauf hin, dass kein anderes Projekt geplant sei. Die Regionalregierung versuche nur davon abzulenken, dass hier ein Gesetz nach Maß geschaffen worden sei. Tatsächlich hat Sheldon stets unmissverständlich eine Exklusivitätsgarantie für zehn Jahre gefordert, um jegliche Konkurrenz in ganz Spanien auszuschalten

In ihrer Stellungnahme stellt Eurovegas No auch die Frage, wer von dem Zocker-Paradies eigentlich profitieren soll, wenn die Steuern für Adelson per Gesetz um bis zu 95% gesenkt werden. Das gilt genauso für die Eintragungssteuer für Akte und Verträge, für die in Spanien übliche Bausteuer (ICIO) und für die Grundsteuer (IBI), die allgemein wie andere Steuern für die Bevölkerung massiv erhöht worden ist (Spaniens Konservative brechen alle Wahlversprechen). Deutliche Vergünstigungen soll er auch bei anderen Steuern und bei Sozialabgaben erhalten, zudem soll die Spielsteuer für ihn um 10-20% gesenkt werden. Und natürlich sollen auch in Spanien geltende Tarifverträge in Eurovegas nicht gelten, kritisieren die Gewerkschaften.

Damit nicht genug, können sich nach dem neuen Gesetz die Betreiberfirmen der Casinos sogar als Banken betätigen und "Kredite vergeben, Geld verleihen" oder über andere Formen die Spieler finanzieren. Damit wird nicht nur erneut der übermäßigen Verschuldung Tür und Tor geöffnet, die schon in der Immobilienblase zu beobachten war, sondern auch der Weg zur befürchteten Geldwäsche geöffnet. In die Diskussion um Eurovegas hat sich sogar Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz eingemischt. Er kritisierte, dass nun erneut in Spanien auf ein Modell gesetzt werden soll, das Spanien die tiefe Krise bescherte. "Es ist ein Fehler, wenn eine Gesellschaft mehr auf Spiel als auf produktiver Aktivität basiert." Auch Stiglitz wies auch auf die "Tendenzen" zur Korruption hin, die sich im Umfeld breitmachen würden.

Erneut setzen die Banken auf gefährliche Kredite

Doch das ist nur ein Beispiel aus dem Gruselkabinett, denn eine andere Untat greift ebenfalls in Spanien wieder um sich. Da die Banken viele Wohnungen im Portfolio haben, versuchen sie sie mit allen Mitteln an die Frau oder den Mann zu bringen, damit Wertberichtigungen und Rückstellungen nicht auf die Bilanzen drücken. Während marode spanische Banken gerade mit Milliarden aus dem europäischen Rettungsfonds gestützt werden, vergeben Banken schon wieder Kredite an offensichtlich wenig solvente Kunden zum Wohnungskauf. Weil die nicht einmal das Geld dazu haben, um anfallende Steuern und Notargebühren zu bezahlen, wurden gerade in den letzten Wochen wieder viele Kredite vergeben, bei denen die Kreditsumme im Durchschnitt bei 110% des Schätzwerts der Immobilie liegt.

Eine Immobilie voll zu finanzieren oder sogar noch mehr Kredit zu gewähren, als sie wert ist, ist immer gefährlich. Die Gefahr steigt aber noch deutlich, wenn davon ausgegangen werden muss, dass der Wert der Immobilie sinkt. Dass angesichts fast einer Million leer stehender Wohnungen der massive Preisesturz beendet ist, glaubt auch die Regierung nicht. Deshalb machen die Konservativen gerade Käufern vor allem in Russland und China das großzügige Angebot, mit dem Wohnungskauf auch eine Aufenthaltsgenehmigung zu erwerben.

Die Käufer, die bisher unfähig waren, auch nur etwas Geld für einen Wohnungskauf anzusparen, bekamen aber gerade in den letzten Wochen wieder solche gefährlichen Kredite, damit Banken ihre Bilanzen aufbessern können. Immobilienvereinigungen kritisieren dagegen, dass auch ihren solventen Kunden die Kredite verweigert würden. Stattdessen machten ihnen Banken besondere Angebote für Wohnungen, die sie im Portfolio halten. Spanische Banken haben viele Wohnungen von Pleite-Bauträgern, Pleite-Immobilienfirmen oder im Rahmen der zahllosen Zwangsräumungen übernommen.

Als zusätzliches Argument, gerade jetzt zu kaufen, diente den Banken, dass zum Jahreswechsel die Steuervergünstigungen ausgelaufen sind. Statt einem superreduzierten Mehrwertsteuersatz von 4% muss nun der der reduzierte Satz von 10% beim Wohnungskauf bezahlt werden. Werden 150.000 Euro zum Wohnungskauf angelegt, beläuft sich allein die Ersparnis der Mehrwertsteuer auf 9.000 Euro. Dazu wurden nun aber Möglichkeiten abgeschafft, Wohnungen Einkommenssteuermindernd einzusetzen. Deshalb wurde in den letzten Monaten der negative Trend durchbrochen, man muss aber kein Wahrsager sein, dass der Wohnungsmarkt im Januar wieder auf Absturzkurs gehen wird.

Als Anreiz diente zudem noch, dass der Euribor auf seinem historischen Tiefstand von 0,55% angelangt ist. An diesen Zinssatz, zu dem sich Banken untereinander Geld verleihen, sind in Spanien variabel Hypothekenzinsen gebunden. Der niedrige Interbankenzinssatz gaukelt Kreditnehmern vor, Zinsen und Tilgung bezahlen zu können, auch wenn sie bisher nicht einmal fähig waren, auch nur kleinere Summen zu sparen. Meist machen Banken Milchmädchenrechnungen auf, dass monatlich sogar weniger gezahlt werden müsse als für die Miete oder sich die Familien schlicht eine größere und komfortablere Wohnung leisten könnten.

Was meist nicht erklärt wird, ist wie vor der geplatzten Immobilienblase schon, dass aus dem derzeit günstigen Hypothekenzins von 2% schnell ein Zinssatz von 7% werden kann, weil die Zinsen variabel an den Euribor gebunden sind. Dass ein Euribor von über 5% keine Ausnahme ist, zeigt ein Blick auf die Zinsentwicklung. Seit 2000 hat er die Schwelle sowohl 2001 als auch zu Beginn der Finanzkrise 2008 deutlich überschritten. Aus einer Zinslast bei einem Kredit von 150.000 (ohne Versicherungen einzubeziehen) von derzeit gut 3.000 Euro, kann schnell eine Belastung von über 10.000 Euro werden, welche die Haushalte angesichts des Lohnniveaus nicht aushalten können.

Spiel mit dem Feuer

So wird in Spanien mit dem Feuer gespielt, weil an der Unsitte nichts geändert wurde, die Zinsen kurzfristig an den Euribor zu binden. Genau diese Änderung, welche die nun erneut regierende Volkspartei (PP) in ihrer vorherigen Regierungszeit bis 2004 vorgenommen hatte, ist für die Bankenvereinigung (AEB) der zentrale Grund für die Immobilienblase. AEB-Präsident Miguel Martín hat der damaligen Regierung unter José María Aznar vorgeworfen, damit die Blase erzeugt zu haben. "Die spanischen Banken wollten keine variablen Zinsen", sagte er. "Es war die Regierung", fügte er an. Wenn es eine Kultur fester Zinsen gegeben hätte, hätte die Blase weitgehend vermieden werden können, meint Martín.

Tatsächlich wäre dann vielen Familien nicht vorgegaukelt worden, wie derzeit angesichts des niedrigen Euribors wieder, sie könnten sich eine Wohnung oder eine größere Wohnung leisten. Vielen Familien wären Räumungen erspart geblieben und die Kreditausfallquote würde nicht auf immer neue Rekordwerte steigen und neue Löcher in die Bilanzen maroder Banken reißen, die sich in der Immobilienblase verspekuliert haben. Sie müssten dann nicht, wie Irland, wo diese Unsitten ebenfalls an der Tagesordnung waren, vom Staat gerettet werden, der dafür wieder auf die Rettungsmilliarden aus Europa angewiesen ist.

Allerdings ist die Sicht des AEB-Präsidenten zu beschränkt. Er erklärt nicht, warum seine Banken erneut höhere Kredite vergeben, als die Immobilen scheinbar wert sind. Er tut damit so, als seien die Banken frei jeglicher Verantwortung in diesem gefährlichen Spiel, dass sie nun erneut spielen. Von ihnen wird auch Adelson das Geld für sein Zocker-Paradies bekommen, dass ebenfalls als eine der Bauruinen enden kann, wie sie in großer Zahl im Umfeld Madrids schon zu finden sind. Er vergisst auch, dass ein weiterer Schritt für den massiven Bauboom war, dass die PP praktisch alles Land zum Bauland gemacht hatte. In Madrid werden nun für Eurovegas die Ordnungs- und Bebauungspläne außer Kraft gesetzt und die Stadt will sogar Adelson Gelände abtreten.

An den Faktoren, die Spanien in den Abgrund stürzen ließen, wie frühzeitig absehbar war, hat sich nichts geändert. Wie tief die Krise inzwischen geht, zeigt sich daran, dass schon mehr als 26% der Bevölkerung keinen Job mehr haben, mehr als in Griechenland. Doch auch die Sozialdemokraten sind für das Desaster mitverantwortlich. In sieben Jahren an der Regierung haben sie weder an der absurden Zinsbindung an den Euribor etwas geändert, noch den Banken an anderen Stellen Grenzen gezeigt. Sie haben nur hilflos versucht, an den Wirkungen herumzudoktern, statt an die Ursachen zu gehen. Dass Aznars politischer Ziehsohn Mariano Rajoy nun daran etwas ändert, braucht nicht erwartet zu werden. Die Politik seiner Partei in Madrid zeigt, dass die PP fähig ist, zum zweiten Mal über die gleichen Steine zu stolpern.