Bürgerkrieg um Kurdistan

Karte: Maximilian Dörrbecker (Chumwa)/CC-BY-SA-2.5

ExxonMobil als Trigger eines neuen Irak-Konflikts?

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Kurden und irakische Zentralregierung bedrohen sich gegenseitig mit Krieg. Auslöser sind Ölverträge, in die insbesondere ExxonMobil verwickelt ist.

ExxonMobil, der aus Standard Oil entstandene US-amerikanische Ölkonzern ist in Deutschland mit 1100 Esso-Tankstellen vertreten. Im Irak gilt ExxonMobil derzeit als Brandbeschleuniger für einen möglichen Bürgerkrieg zwischen Kurden im Nordirak und der irakischen Zentralregierung. Auf Landkarten, die beispielsweise die Internationale Energieagentur zur Darstellung des Irak nutzt, ist die "Autonome Region Kurdistan" per gesonderter Grenzziehung ausgewiesen. Das regionale Parlament hat das Recht, irakischen Truppen den Zugang zur Region zu verweigern. Und es nimmt sich das Recht heraus, über die Ölförderung selbständig zu entscheiden - was die irakische Zentralregierung als illegal bezeichnet.

In diesem Spannungsfeld agiert ExxonMobil, die sowohl mit den Kurden wie auch mit der Zentralregierung im Geschäft sind. Wie immer im Ölbusiness geht es um mögliche Erlöse in Größenordnungen, die die irakische Zentralregierung gut zum Zusammenhalt des Staates nutzen könnte und die den Kurden gut für den Ausbau des eigenen Staatswesens zupass käme. Die Situation hat sich zuletzt stark zugespitzt, so dass beide Seiten von einem möglichen Krieg sprechen.

"Wir wollen keinen Krieg, aber..."

"Der Premierminister hat klargestellt: Wenn Exxon seine Finger an dieses Territorium legt, werden sie es mit der irakischen Armee zu tun bekommen. Wir wollen keinen Krieg, aber wir werden Krieg führen, für Öl und die irakische Souveränität." Dies sagt Sami al-Askari, irakisches Parlamentsmitglied und Vertrauter des Premierministers Nouri al-Maliki.

Auf kurdischer Seite spricht der Präsident der Region Massoud Barzani: "Wir wollen keinen Krieg. Aber wenn Krieg kommt, dann sind alle kurdischen Menschen bereit zu kämpfen." Öl ins Feuer goß ein Zwischenfall Mitte November in Tuz Khurmatu, als irakische Truppen einen Treibstoffhändler verhaften wollten, der Schutz bei der kurdischen Peshmerga suchte. Beide Seiten beorderten daraufhin Truppen in die Gegend. Die irakische Seite machte klar, wann geschossen wird: Wenn die Kurden zuerst schießen, wenn sie ihre aktuelle Position zugunsten Landgewinnen verschieben oder wenn die Ölfirmen in den umstrittenen Gebieten zu fördern beginnen. Jeder dieser Schritte würde laut einem irakischen Offizier als Kriegserklärung gewertet, der - wie üblich - dann natürlich "von der anderen Seite" begonnen worden sei.

Streit gibt es offenbar auch um Zahlungen der Zentralregierung an die kurdische Region, die im Zusammenhang mit einer sinkenden Exportmenge in den vergangenen Wochen stand: Statt 200.000 Barrel exportiert die Region nun angeblich nur noch 5.000 Barrel am Tag.

ExxonMobil hat einen besonderen Stand im Irak und die umstrittenen Ölfelder, die der Konzern im kurdisch-irakischen Gebiet befördern will, liegen nah an der südlichen Grenze der Region. Die Zentralregierung hat Exxon inzwischen gezwungen, seinen Anteil an den Förderkonzessionen am südirakischen Ölfeld West Kurna-1 zu verkaufen. Übernehmen soll diese Rechte PetroChina. Sinopec, ein anderer chinesischer Ölkonzern ist zwar ebenfalls im kurdischen Gebiet involviert, aber offenbar macht die irakische Zentralregierung hier Unterschiede.

Ein Deeskalationsplan, den US-Diplomaten vermittelten, wurde abgelehnt. Ein Agreement, dass die Wortwahl tragender Akteure dämpfen soll, wurde auf Initiative des irakischen Präsidenten Jalal Talabani Mitte Dezember vermittelt, doch es sieht keinen konkreten Zeitplan für weitere Schritte vor. Talabani, selbst Kurde, wird inzwischen nach einem Schlaganfall in der Berliner Charité behandelt, über seine Nachfolge wird bereits diskutiert. Exxon wiederum hat eine klare Timeline für die Entwicklung der Ölfelder vertraglich vereinbart. Probebohrungen sollen im Sommer 2013 beginnen, doch schon die Vorbereitungen dafür könnten von irakischer Seite als Agression interpretiert werden.

Internationale Beziehungen und die Strategische Ellipse

Öl ermöglicht Kriege und wegen Öl werden Kriege geführt. Moderne Panzer, wie sie die Bundesrepublik Deutschland an die Ölmonarchie Saudi-Arabien oder nach Indonesien liefert, können wohl kaum elektrisch betrieben werden. Nur der extrem energiedichte Rohstoff Öl ist dafür geeignet, von dem die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe sagt, er sei der "einzige nicht erneuerbare Energierohstoff, bei dem in den kommenden Jahrzehnten eine steigende Nachfrage nicht mehr gedeckt werden kann".

Der Irak und die kurdischen Gebiete sind Teil einer Region, die als "Strategische Ellipse" bezeichnet wird:

Die Strategische Ellipse bezeichnet ein Gebiet, das sich vom Nahen Osten über den Kaspischen Raum bis in den Hohen Norden Russlands erstreckt. Darin befinden sich etwa zwei Drittel der weltweit bekannten natürlichen Erdöl- und Erdgaslagerstätten, die sich nach heutigem Stand wirtschaftlich fördern lassen (Reserve). Konkret betrifft dies Länder wie Saudi-Arabien, Russland, Iran, Vereinigte Arabische Emirate, Katar, Irak, Kuwait und Kasachstan.

Diese Beschreibung stammt aus der Bundeswehr-Studie Peak Oil. Sicherheitspolitische Implikationen knapper Ressourcen. Darin formulierte das Zentrum für Transformation der Bundeswehr die sich aus einer Verknappung des Rohstoffs Öl möglicherweise ergebende Konfliktsituation. In dem Papier heißt es auch:

Zum einen könnten steigende Öleinnahmen in vielen Förderländern zur weiteren staatlichen Stabilität beitragen, wenn andere wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Faktoren, wie beispielsweise Verteilungsgerechtigkeit, gegeben wären. Zum anderen könnte mit einer steigenden Bedeutung der Ressource Erdöl und damit einhergehenden steigenden Preisen sich in Abwesenheit der genannten Faktoren vor allem in schon heute fragilen bzw. schwachen Staaten oder Regionen die Risiken für Instabilitäten und Konflikte erhöhen. Neben innerstaatlichen Auseinandersetzungen um die Verteilung der zunächst zunehmenden Einnahmen könnten auch zunehmend transnationale Konflikte auftreten, etwa um grenzüberschreitende Lagerstätten oder Transportwege für fossile Rohstoffe.

Kurdischstämmige Bevölkerungsgruppen finden sich über mehrere Nationen Vorderasiens verteilt, neben dem Irak auch in der Türkei und in Syrien. Angeblich ergreifen Kurden im andauernden Syrien-Konflikt zunehmend Partei für Assad mit dem Ziel größerer Autonomie. Autonomiebestrebungen wurden seit den 1970er Jahren von der kurdischen PKK in der Türkei auch gewaltsam vorangetrieben.

Exxons Ölproblem im Irak ist also kein rein nationales Problem, sondern durch die weit verteilten kurdischen Bevölkerungsgruppen international anzusiedeln. Dass Exxons Anteile am Ölfeld West Kurna von einem chinesischen Konzern übernommen werden könnten, zeigt Einflussverschiebungen im globalen Strategiespiel um fossile Energieressourcen. Auch darüber hatten die Autoren der Bundeswehr-Studie bereits nachgedacht:

Mögliche Interventionen fremder Staaten, werden heute vorrangig mit dem zunehmenden Engagement großer Schwellenländer wie China und Indien in diesen zu neuer Bedeutung gelangenden Förderländern und tendenziell auch Transitregionen assoziiert und dürften auch zukünftig eine noch größere Rolle spielen.

Zwar sind wir glücklicherweise weit von einem militärischen Öl-Konflikt entfernt, in den China oder Indien involviert sind, aber auf dem ökonomischen Schlachtfeld ist der Kampf um die Rohstoffe längst im Gange. Europa ist davon nicht nur durch relative geografische Nähe zur Strategischen Ellipse oder vertragliche Einbindungen in die NATO (Stichwort: Türkei) betroffen, sondern auch daher, dass es seinen regionalen Peak Oil und Peak Gas überschritten und daher immer abhängiger von Öl- und Gasimporten aus Ländern der Strategischen Ellipse wird (Europa am Peak). Deutschland ist seit kurzem im Syrien-Konflikt mit 400 Bundeswehr-Soldaten und Patriot-Raketen involviert.

Hoffnung auf irakisches Öl

Der Irak spielt in den Planungen für die globale Energieversorgung eine bedeutende Rolle. Die Internationale Energieagentur widmete dem Land dieses Jahr ein eigenes Papier und ein eigenes Kapitel im World Energy Outlook 2012.

Das Land besitzt die fünftgrößten Reserven weltweit und gilt durch drei große Kriege seit 1980 sowie internationale Sanktionen ab 1990 als unterentwickelt. Mit 3 Millionen Fass Ölförderung pro Tag, von denen 2,4 Millionen Fass exportiert werden (was etwa dem deutschen Verbrauch entspricht), ist das Land der drittgrößte Ölexporteur. Von diesen Exporten geht etwa die Hälfte nach Asien, ein Fünftel nach Europa und der Rest nach Nordamerika. Auf 8,3 bis 10,5 Millionen Fass soll das Land seine Förderung bis 2035 steigern können - ja nach Szenario der IEA.

Dieser Output ist bereits fest eingeplant in die globalen Szenarien der Internationalen Energieagentur zur künftigen Energieversorgung. Dass der russische Ölkonzern Lukoil sich nicht am Verkauf von Exxons West Kurna-1-Lizenz beteiligen wollte, lässt erahnen, dass die Ölfeldentwicklung nicht so problemlos vonstatten geht, wie gedacht. Lukoil ist an West Kurna-2 offenbar gut beschäftigt. Ein neuer Konflikt im Irak würde der globalen Ölversorgung nicht zuträglich sein und das von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe für spätestens 2036 erwartete Überschreiten des Ölfördermaximums in Richtung Gegenwart vorziehen. Ein irakischer Bürgerkrieg wäre für den Irak ein Desaster, aber auch weit über die Grenzen des Landes hinaus spürbar.