Der Trinkgeldbesteuerer

Der kommende Bundestagswahlkampf verspricht lustig zu werden. Steinbrück fordert einige heraus, aufrechte Sozialdemokraten ebenso wie den guten Geschmack - aber ganz sicherlich nicht die amtierende Kanzlerin

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Angela Merkel kann bei einem solchen Gegenkandidaten in Ruhe ihren Sommerurlaub planen. Um den Wahlkampf braucht sie sich keine Sorgen machen, den verhaut ihr Herausforderer ganz alleine.

Bei der zeitaufwendigen Ausschussarbeit hält sich der sonst so wortgewaltige Abgeordnete Steinbrück erstaunlich zurück. Die offizielle Seite des Bundestages verzeichnet keine volle Mitgliedschaft in irgendeinem Ausschuss, lediglich zwei stellvertretende Mitgliedschaften werden aufgeführt: im Ausschuss für die Angelegenheiten der EU und im Ausschuss für Kultur und Medien.

Peer Steinbrück (2012). Bild: Dirk Vorderstraße. Lizenz: CC-BY-2.0

Verständlich, wer so viele Vorträge halten muss, hat für die wenig öffentlichkeitswirksame parlamentarsiche Kleinarbeit auch nur wenig Zeit. Statt Wahlkampf für die SPD zu machen, sorgt Steinbrück sich um das Gehalt der Kanzlerin und wird damit "immer mehr zum Fiasko für die Sozis". Peer Steinbrück ist von einem fest überzeugt - von sich selbst, völlig egal, was er gerade wieder anstellt oder schwadroniert. Vielleicht meinte deshalb Alt-Kanzler Helmut Schmidt, der Peer könne das, mit dem Kanzler. Sturheit verbindet.

Das sollte manche Hauptstadtjournalisten nicht daran hindern, Steinbrück als Kanzlerkandidat der SPD zu verehren. Wenn Steinbrück sich in etwas verbissen hat, dann zieht er das durch. Ein Mann mit Prinzipien und Überzeugungen. Überzeugt ist er dabei stets von einem, nämlich von sich selbst.

Peers lockere Sprüche

Peer Steinbrück gilt nicht als jemand, der sich vor seien lockeren Sprüchen gerne mit anderen darüber berät, was er zu einem bestimmten Thema sagen sollte - oder auch besser nicht. Das war so, als er als Bundesminister der Finanzen meinte, die Kavallerie gegen die Steuerflüchtigen in der Schweiz los schicken wollte.

Steinbrück wurde beim Treffen der G20-Finanzminister auf das Instrument der "Schwarzen Liste" für Steueroasen hingewiesen und wurde im Folgenden mit den Worten zitiert, diese Schwarze Liste sei "die siebte Kavallerie in Fort Yuma, die man auch ausreiten lassen kann". Sie müsse aber nicht unbedingt ausrücken: "Die Indianer müssen nur wissen, dass es sie gibt."

Entsprechend begeistert reagierten viele Schweizer auf die Kandidatenkür der SPD. Steinbrücks wortstarkes Engagement gegen Steuersünder ist eine Seite. Sein Hang zu "Nebeneinkünften" eine andere.

Nebenverdienste …

Mit der Mark nebenher geriet er auch schon 2003 in die Schlagzeilen. Damals schickte er seinen Staatssekretär in den Kreditausschuss der WestLB, wo fragwürdige Entscheidungen getroffen wurden, kassierte aber selbst die Hälfte der Sitzungsgelder.

Die Aufwandsentschädigung von 25.000 DM für die Mitgliedschaft in den drei Gremien hat aber Steinbrück selbst erhalten, räumte die Staatskanzlei auf Anfrage ein. Die Hälfte davon ging an die Landeskasse. So das Handelsblatt am 23.7.2003

...und Trinkgelder

Während sich also Steinbrück bei der WestLB einen hübschen Nebenverdienst gönnte, zeigte er sich beim Trinkgeld anderer Einkommensgruppen weniger großzügig. Über zwanzig Jahre lang hatten vor allem mit dem Tourismus befasste Abgeordnete aller Fraktionen verschiedene Vorschläge diskutiert, wie mit der, schließlich im Jahr 2002 endlich abgeschafften "Trinkgeldversteuerung" künftig verfahren werden sollte.

In diesem Zusammenhang fragte der damalige Vorsitzenden der Arbeitsgruppe Tourismus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Klaus Brähmig, den NRW-Finanzminister Steinbrück in einem Schreiben vom 24. März 2000, ob nicht auch nach dessen Meinung "diese Besteuerung - auch aufgrund des hohen Verwaltungsaufwandes und möglicherweise im Vergleich dazu relativ niedriger Steuereinnahmen- verzichtbar wäre".

Steinbrück widersprach vehement. In seiner Antwort an MdB Brähmig, einen Monat später verfasst. Auf drei Seiten erklärte er die damalige, von ihm weiterhin favorisierte Rechtslage. Damals galt ein Freibetrag von 2.400 DM im Kalenderjahr. "Dieser Freibetrag ist personenbezogen. Er erhöht sich also nicht, wenn derselbe Arbeitnehmer mehrere Trinkgeldberufe (etwa in mehreren Gastwirtschaften) ausübt..." Steinbrück weiter:

Dies macht deutlich, dass der Gesetzgeber einen Verzicht auf die Besteuerung freiwillig gezahlter Trinkgelder über den gesetzlichen Freibetrag hinaus bisher nicht gewollt hat. Dies erscheint mir - lassen Sie mich dies ganz deutlich aussprechen - sachlich auch nicht geboten. Schon aus Gründen der steuerlichen Gleichbehandlung kann auf eine Besteuerung der Trinkgelder nicht völlig verzichtet werden...

Der Trinkgeldbesteuerer

In den folgenden Monaten kämpfte Steinbrück heldenhaft für die Beibehaltung der Trinkgeldbesteuerung. So widmete er diesem Thema großen Raum bei einem Pressehintergrundgespräch im Hinterzimmer eines Bonner Restaurants, bei dem der Autor ebenso aufmerksam wie überrascht lauschte.

Als Steinbrück schließlich Ministerpräsident des Landes NRW wurde, fragte der Autor dessen Pressesprecher, ob sich Steinbrück noch weiter für die Aufrechterhaltung der Trinkgeldbesteuerung eingesetzt habe. Er hatte. Und wie!

Dies zeigt auch die Korrespondenz mit dem NRW-Finanzministerium. Während der Brief an den CDU-MdB Brähmig auf der rechtlichen Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes NRW herausgegeben wurde, bleiben spätere Schreiben in gleicher Sache weiterhin unter Verschluss, weil sie die Auffassung des Ministeriums "auf den Prozess der Willensbildung zwischen dem Finanzministerium NRW und dem Bund bzw. auf die interne Willensbildung im Hause (Finanzministerium NRW) beziehen".

Über die Frage von Telepolis, ob diese "Willensbildung aus den Jahren 2000 bis 2002 nicht inzwischen abgeschlossen sei und demnach auch diese Korrespondenz veröffentlicht werden müsse", ist noch nicht entschieden. Mitgeteilt wurde, dass es aus dem Jahr 2002 weitere Briefe gab. So schrieb Steinbrück noch 2002 weitere Briefe an die damalige Parlamentarische Staatssekrektärin im Bundesfinanzministerium Dr. Barbara Hendricks und den Staatsminister im Bundeskanzleramt MdB Martin Bury. Als im Juni 2002 die Trinkgeldbesteuerung endlich aufgehoben wurde, erklärte Klaus Brandner, einer der führenden Sozialpolitiker der SPD:

Nun hat auch der Bundesrat der Abschaffung der Trinkgeldbesteuerung zugestimmt. Das zähe Ringen der SPD-Politiker hat sich gelohnt.(... ) Die Abschaffung der Trinkgeldsteuer ist einzig und allein das Verdienst von Rot-Grün....

Die SPD freute sich also, bis auf Steinbrück.