Crowddenunzianten

Im Hinterzimmer des gesunden Volksempfindens

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Es bereitete Menschen schon immer große Lust, ohne persönliches Risiko in die Gesänge der Anklage und Verdächtigung aus der Kehle eines namhaften Denunzianten mit einzustimmen. Sie gewinnen dadurch das Gefühl, der darbenden Gerechtigkeit werde Genüge getan. In Zeiten von Social Web reicht bereits der Klick auf ein "like" oder "submit", um den Shitstorm über den Denunzierten auszuschütten. Man muss sich nicht mehr – wie noch 1938 – mit Steinen vor den Fenstern der Gescholtenen einfinden. Nennen wir diese Choristen darum Crowddenunzianten und sehen uns drei Beispiele für ihr Treiben an.

Erstens: Der Fall Jakob Augstein

Vergeblich versuchten Spiegel und Süddeutsche, den Verfasser der Top Ten der Antisemiten, Rabbi Abraham Cooper aus L.A., zu einem Interview oder Gespräch zu bewegen. Es war ihm nur zu entlocken, dass bei der Aufnahme von Jakob Augstein in die rufschädigenden Charts der weise Rat von Professor h.c. Dr. Henryk Broder, bekanntlich Harvard-Historiker und Nobelpreisträger für Antisemitismusforschung, berücksichtigt worden sei. Allerdings, so Cooper, sei die Erkenntnisbasis zum Erstellen des Antisemiten-Prangers weitaus größer.

400.000 zahlende Mitglieder des Simon-Wiesenthal-Centers, so schwärmt Rabbi Cooper am 3. Januar 2013 auf Facebook und weitere 300.000 E-Mail-Empfänger haben ihm das Mandat erteilt, Antisemitismus zu bekämpfen. Im Gegenzug, so Cooper listig, bekomme er von "diesen Quellen" Informationen über aufzunehmende Antisemiten.

Da die Facebook-Seite des Simon-Wiesenthal-Centers aber nur 18.120 likes hat, sollte man Cooper seine Mengenangaben nicht glauben. Selbst 1000 bei ihm eingehende Antisemiten-Denunziationen aber könnten bei historisch sensibleren Gemütern Erinnerungen an andere Zeiten auslösen. Auch die Sprache von Cooper kommt einem wohlbekannt vor: "Ekelhaft" finde er Augstein. Antisemitismus sei ein "Krebsgeschwür", das "ausgerottet" werden müsse. Dass solche Denunziationen für straf- und zivilrechtlich nirgendwo strafbare Meinungsäußerungen angenommen und gewürdigt werden, zeigt, dass die schlimmsten Vorurteile über die Israel-Lobby leider berechtigt sind.

Crowddenunzianten haben jedenfalls in Cooper einen dankbaren Abnehmer. An bekennenden Antisemiten ist dank Cooper künftig kein Mangel zu erwarten. So schrieb Norman Reppingen dem Wiesenthal-Center am 8. Januar 2013 ins Stammbuch: "Wenn Jakob Augstein Antisemit ist, bin ich auch einer. Und zwar gerne."

Zweitens: Der Fall Ahmadinedschad

Noch nie in ihrer Geschichte hat die angeblich "radikal"-islamische Republik Iran einen anderen Staat angegriffen. Seit Jahrtausenden leben noch heute in Persien völlig unbehelligt 35.000 Juden und stellen gar einen Abgeordneten im Parlament. Das darf man aber nicht wissen, denn die einzige politische Information, die in der deutschen Öffentlichkeit über den Iran bekannt ist, ist die, dass der Iran mit einer Atombombe Israel von der Landkarte tilgen möchte.

Das dazugehörige Zitat, das wohl als weltgrößte Crowddenunziation bezeichnet werden darf, wirft sicher zahlreiche Exegesefragen auf. Allerdings reicht möglicherweise die englische Übersetzung aus, zu deren Veröffentlichung sich die New York Times entschloss: "Our dear Imam said that the occupying regime must be wiped off the map", heißt es dort. Das Besatzungsregime, nicht das Land, nicht die Juden.

Dennoch reichte dieses Zitat aus, um Ahmadinedschad und den Iran 2007 als die größte Bedrohung des Weltfriedens seit Adolf Hitler zu bezeichnen, wie dies der Springer-Vorstandsvorsitzende Matthias Döpfner, Deutschlands zumindest finanziell mächtigster Publizist, tat.

Die daraufhin gegen den Iran verhängten Sanktionen haben das blühende Kulturland bereits stark ruiniert – und das war wohl auch das Ziel. Wenn wir heute fragen würden, ob der Iran mit Atombomben Israel bedroht, würde wohl selbst im nicht ganz ungebildeten Deutschland eine Mehrheit mit "Ja" antworten. Schließlich haben nicht nur Döpfners Medien die Lüge ja nie korrigiert. Dass mit einer Atombombe auch die Palästinenser vernichtet würden, deren Schutz die Rede von Ahmadinedschad galt, fällt dabei gar nicht auf. Wer erfolgreich Crowddenunziantentum betreibt, sollte das Beispiel "wipe of the map" immer ganz vorne in der Hitliste führen.

Drittens: Der Fall Bettina Wulff

Bettina Wulff, geborene Körner, wird insbesondere von Frauen mehrerer Taten bezichtigt. Erstens habe sie Frau Christiane Wulff, die glücklich mit ihrem Christian verheiratet war, den Mann ausgespannt, zweitens sieht sie für eine deutsche Politikergattin verdammt, viel zu gut aus, drittens hat sie ein sehr erfolgreiches Buch mitgeschrieben.

Das Buch, dem in allen Medien prophezeit wurde, zum Ladenhüter zu werden, liegt am 8. Januar 2013 auf Platz 42 der meistverkauften Bücher bei Amazon. Es hat 1183 Rezensionen, die es zum am schlechtesten je bewerteten Buch auf Amazon Deutschland machen. Keine der Rezensionen verdient diesen Namen, denn weder wird der Inhalt des Buches besprochen, noch dessen Bezug zum Zeitgeschehen. Es sind Äußerungen des Missfallens und der Häme über Frau Wulff. Selbst gestandene Staatssekretäre wie etwa Hans-Joachim Otto, verbreiten über Twitter etwa die Einschätzung, alle Anschuldigungen gegen Christian Wulff seien doch nicht zur Zeit seiner Ehe mit Christiane ergangen, sondern erst mit Auftritt von Bettina. Weise Crowdfolgerung: Bettina hat Christian ruiniert.

Für Bettina Wulff ist dies bereits die zweite Erfahrung mit Crowddenunzianten. Noch heute nämlich erscheinen bei der Eingabe von "Bettina Wulff" auf Google die verführerischen Suchangebote "Vorleben" und "Rotlicht". Einen Prozess gegen Google wegen der Crowdassoziation verlor sie. Inzwischen abgetauchte Blogger hatten das Gerücht verbreitet, Wulff sei Prostituierte gewesen. Nicht ohne Süffisanz verweisen noch heute Kommentaristen darauf, dass die Aufmerksamkeit für das Gerücht erst durch den Versuch entstanden sei, es zu wiederlegen. Kai Diekmann selbst, so Bettina Wulff in "Jenseits des Protokolls", habe sie bei einem Frühstück in Bellevue gefragt, ob das Gerücht stimme.

Kleine Crowdteufelei: Kai Diekmann selbst war in der Suchwortverhütung bei Google erfolgreicher. Seine Penisverlängerung wird nämlich nicht mehr als Suchvorschlag angeboten. Schade. Dies könnte sich allerdings ändern, wenn zahlreiche Sucher die Kombination "Penisverlängerung"+"Kai Diekmann" bei Google eingeben.