Universität Freiburg forscht mit IBM zur Vorhersage von Straftaten

Der US-Konzern drängt mit dem System "Blue CRUSH" auf den deutschen Markt. Die Anwendungen zum "Predictive Policing" werden offenbar in Berlin programmiert

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Weil die Kriminalitätsstatistik der US-Stadt Memphis um 10% anstieg, steht ein Vorzeigeprojekt für polizeiliche Analysesoftware von IBM unter heftiger Kritik. Dem zum Trotz soll ein Forschungsprojekt ausloten, welche Gesetze einem Einsatz durch Polizeibehörden und Geheimdienste in Deutschland entgegenstehen.

Die Stadt Memphis im Bundesstaat Tennessee hatte von IBM das System Blue CRUSH (Criminal Reduction Utilizing Statistical History) beschafft, um damit Gesetzesübertritte vorhersehen zu können. Die Software wertet seit 2006 Straftaten aus und zeigt an, an welchen Orten sich womöglich ähnliche Vorfälle ereignen könnten. Neben polizeilichen Statistiken greift "Blue CRUSH" öffentliche Quellen zurück, darunter Wetterberichte, geplante größere Veranstaltungen oder Zahltage. Die vermuteten Orte von unerwünschtem Verhalten werden dann besonders bestreift. In einem Video wirbt IBM damit, dass Polizisten noch ihren Kaffee austrinken können, um sich dann zum Tatort aufzumachen und bequem auf den vermeintlichen Täter zu warten (Programm sagt kriminelle Hotspots und Trends vorher).

Wenn der Räuber kommt, wird er schon vom gemütlich Kaffee trinkenden Polizisten erwartet. Screenshot von einem IBM-Werbefilm für Blue Crush

Memphis war eine der ersten Städte, die "Blue CRUSH" unter dem damaligen Polizeidirektor Larry Godwin beschafft hatte. 2010 wurde das System immer weiter entwickelt und 2010 um weitere Module ergänzt. Diese und ähnliche Software hat IBM danach an Polizeibehörden in zahlreichen weiteren US-Städten, aber auch an das Militär verkauft.

Jahresbudget von 2,3 Millionen Dollar gefordert

Laut IBM sei die Kriminalität in Memphis seitdem um 30% gesunken. Jedoch wird die von dem US-Konzern hoch gelobte Wirksamkeit von "Blue CRUSH" jetzt in Zweifel gezogen: Denn die Kriminalitätsstatistik der Stadt weist für das Jahr 2012 einen Anstieg um 10% aus. In Memphis wird nun heftig gestritten, wer hierfür die Verantwortung trägt. Laut Berichten mehrerer lokaler Medien würde dies daran liegen, dass die Stadt im Zuge von Sparmaßnahmen auch bei "Blue CRUSH" den Rotstift ansetzte.

Zwar hatte die Software weiter ihre Arbeit verrichtet und protokollierte Straftaten analysiert. Allerdings wurden daraufhin weniger Streifen gefahren als in den Vorjahren. Als Grund gibt der neue Polizeichef Toney Armstrong an, dass das hierfür beantragte Budget gekürzt wurde. Die Polizei hatte für den Haushalt 2012 etwa 245 Millionen Dollar gefordert, was gegenüber dem Vorjahr eine deutliche Steigerung von rund 10% ausmacht. Die Erhöhung wurde von der Stadtverwaltung nur teilweise bewilligt, weshalb unter anderem an den für "Blue CRUSH" vorgesehen 2,3 Millionen Dollar gespart wurde. Um das Programm wenigstens minimal weiter zu betreiben, hatte Armstrong Gelder aus anderen Bereichen abgezweigt. Weil diese aber nicht zur Bezahlung der Beamten gereicht hätten, seien sie zum Abbummeln von Überstunden angehalten worden.

Für sein Portfolio der "vorhersagenden Polizeiarbeit" ("Predictive Policing") übernahm IBM die Firmen i2 und SPSS. Beide werben auch in Deutschland mit dem Verkauf ihrer Produkte, darunter auf der jährlichen Verkaufsmesse "Europäischer Polizeikongress".

Unter dem Namen "COPLINK" vertreibt i2 ein System, das auf dem Programm "Analyst's Notebook" basiert. Die Software soll "nicht offensichtliche" Verbindungen zwischen Personen, Orten oder anderen Einträgen aufzeigen, darunter auch Daten von Mobiltelefonen, dort abgehörten Informationen ("phone records") und Fahrzeugen. Die Polizisten würden es sich laut i2 damit ersparen, alle bei Ermittlungen anfallen Dokumente selbst zu lesen. Bei IBM firmieren die Anwendungen unter dem Label "Smarter Cities" (Digitale Überwachungstechnologie: Auch ein deutscher Exportschlager).

IBM-Zentrum neben Bundesinnenministerium

Einige der digitalen Werkzeuge zur Vorhersage von unerwünschtem Verhalten werden wohl in Deutschland programmiert. Der Tagesspiegel berichtete, dass IBM 2009 in Berlin ein "Analytic Solution Center" mit 40 bis 50 Mitarbeitern einrichtete. Die Firma hat ihre demnach Räume am Spreebogen in direkter Nachbarschaft zum Bundesinnenministerium bezogen. Laut der Deutschland-Chefin von IBM sei die "öffentliche Hand" der hauptsächliche Auftragnehmer des Zentrums.

Auf der CEBIT warb die IBM vor zwei Jahren damit, dass in Berlin auch Software zur Auswertung Sozialer Medien programmiert wird. Blogs, Foren, Twitter oder Facebook ließen sich dadurch "gezielt auswerten". In Deutschland forscht das Fraunhofer-Institut FIT in Sankt Augustin an derartigen Anwendungen. Der Projektleiter Sebastian Denef hatte im Rahmen eines EU-Projekts seine Forschungen zum Thema "Twitter Use during the 2011 UK Riots" vorgestellt.

Für Software zur Vorhersage von Straftaten oder Data Mining existiert hierzulande keine Rechtsgrundlage. Ihr Einsatz in Deutschland wird von der Bundesregierung bislang bestritten. Über eine Nutzung durch Polizeibehörden und Geheimdienste der Länder ist aber nichts bekannt. IBM sind datenschutzrechtlichen Bedenken deutscher Behörden ein Dorn im Auge. Der Konzern hat deshalb auf der CEBIT mit der Freiburger Albert-Ludwigs-Universität eine "Strategische Partnerschaft" begonnen. Wissenschaftler des dortigen "Centre for Security and Society" sollen ausloten, was der Einsatz einer "Crime Information Platform" von IBM in der föderalen deutschen Struktur von Polizei und Geheimdiensten bedeuten würde.

Mit IBM gegen NSU?

Das ist insofern interessant, als dass IBM womöglich sogar Kapital aus dem erst späten Auffliegen des "Nationalsozialistischen Untergrunds" schlagen könnte. Denn Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich hatte das Versagen seiner Behörden damit erklärt, dass Bund und Länder ihre Datenbanken nicht ausreichend miteinander teilen könnten. Friedrich antwortete mit einem neuen Zentrum von Polizei und Geheimdiensten und einer eigenen Datenbank (Neues "Abwehrzentrum" existiert gar nicht).

Laut dem Gesetz zur neuen "Rechtsextremismusdatei" ist dort erstmals eine "erweiterte Nutzung" der Einträge anvisiert, womit das Herstellen von Zusammenhängen unter den Einträgen gemeint sein dürfte. Entsprechend berichtet die Lobby-Zeitschrift Public Security in ihrer Dezember-Ausgabe, dass die Vernetzung aller deutschen Geheimdienste und Polizeien gegen rechte Umtriebe auch die Beschaffung neuer Analysewerkzeuge notwendig machen würde. Die Autoren fordern "intelligente Software-Lösungen" und beziehen sich auf die Zusammenarbeit von IBM mit der Freiburger Universität.

Es darf allerdings bezweifelt werden, ob der fehlende Wille zum Blick nach rechts durch eine polizeiliche Vorhersagesoftware kompensiert werden kann. IBM kümmert das nicht; die Forschungen zur Einführung einer "Crime Information Platform" sind erst der Anfang einer ausführlichen Kooperation des US-Konzerns mit der Freiburger Albert-Ludwigs-Universität. Laut der Projektbeschreibung soll "diese einzigartige strategische Partnerschaft" in den nächsten Jahren "weiter institutionalisiert " werden.