Kalaschnikow, Molotow und Gas-Brandsätze

Die Stimmung in Athen wird explosiv

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Mindestens 17 Anschläge in den vergangenen fünf Tagen erschütterten Athen. Für die Regierung steht fest, dass Linksterroristen hinter dem Spuk stecken. Regierungssprecher Simos Kedikoglou verlangt von SYRIZA, dass dieser öffentlich "die Gewalt, von wo auch immer sie herkommt", verdammt. Doch selbst nach mehrmaliger Wiederholung der verlangten Floskel bleibt für den Regierungssprecher ein Restverdacht bestehen. Schimpft die Linke nicht andauernd, dass die Sparmaßnahmen soziale Spannungen hervorrufen würden, fragen sich vor allem die Angehörigen der Nea Dimokratia und ergänzen, dass genau diese Kritik zum neu entfachten Terrorismus führen würde. Es kam bei der Aufarbeitung der Anschläge im Parlament zu tumultartigen Szenen.

Auf die Parteizentrale der Nea Dimokratia wurde mit einer Kalaschnikow geschossen. Bild: W. Aswestopoulos

Hausbesetzer und deren Feinde

Der Parteisprecher der rechtsradikalen Chryssi Avgi, Ilias Kasidiaris, sieht in der von ihm begrüßten Law-and-Order-Kampagne von Bürgerschutzminister Nikos Dendias einen nachvollziehbaren Grund für die von ihm verachtete linke Wut. Dendias hatte zahlreiche, teilweise bereits seit Jahrzehnten bestehende Hausbesetzungen verfallener öffentlicher Gebäude ausheben lassen.

Allen voran wurde die so genannte Villa Amalias, eine verlassene und halbverfallene Schule, zum Zankapfel. Vorgeblich hatte Dendias die Villa Amalias ebenso wie das ebenfalls vor seiner Besetzung fast einstürzende, ehemalige Wohnhaus der Opernsängerin Maria Callas an der Patissionstraße räumen lassen, weil er dort Drogenhandel vermutete. Bislang ließen die zuständigen Minister die Hausbesetzerszene weitgehend unbehelligt, da diese vor allem in Viertel mit einem hohen Anteil an Rechtsradikalen einen gesellschaftlichen Gegenpol bildete. Aus seiner Sicht nicht zu Unrecht verlangte Kasidiaris im Parlament und in Fernsehsendungen immer wieder eine Räumung der ungeliebten, anarchistisch organisierten Besetzungen. Dendias wird von der Chryssi Avgi immer wieder als "zu lasch" kritisiert. Je intensiver der Gescholtene seine Law-und-Order-Methoden exerziert, umso geringer werden die Zuwächse bei den Umfragen der Rechtsradikalen.

Bierflaschenbesitzer leben gefährlich

Bei den generalstabsmäßig erfolgten Räumungen, zu denen - welch ein Zufall - in früher Morgenstunde Kamerateams von regierungsnahen Sendern anwesend waren, konnten die vermuteten Drogen nicht gefunden werden. Lediglich ein, zwei Joints, offenbar nur zum persönlichen Gebrauch eines geringen Prozentsatzes der Besetzer, wurden entdeckt. Dafür jedoch identifizierten die Beamten leere Bierflaschen als Grundstock für "terroristische Waffen", sprich Molotowcocktails. Schließlich befanden sich in den Gebäuden auch kleine Ölöfen samt geringer Mengen des fast unbezahlbar gewordenen Heizöls, im Beamtengriechisch ein "leicht entzündlicher Stoff".

Dass zahlreiche der Bewohner auch noch Motorrad- und Fahrradhelme ihr Eigen nannten und darüber hinaus Holzlatten für die immer wieder bei Demonstrationen gezeigten Plakate herumlagen, vervollständigte das Bild. Schließlich könnten die Latten auch als Schlagwaffe eingesetzt werden, argumentierte das Bürgerschutzministerium. Dass die Besetzer darüber hinaus Gasmasken und Mundschutzfilter für die stets bei Demos geworfenen Tränengasgranaten hatten und zudem eine hübsche Sammlung der von der Polizei geworfenen, geplatzten Gas- und Blendgranaten archivierten, machte aus der zunächst skurril erscheinenden Geschichte eine ernste juristische Bedrohung. Mehr als 100 Personen der Besetzerszene werden mit Antiterrorparagraphen angeklagt.

SYRIZA als Terrorpartei

Bierflaschen, Latten, Gasmasken, Heizöl und Motorradhelme als Beweise für terroristisches Handeln wollte SYRIZA nicht gelten lassen. Schließlich könne man diese Gegenstände in nahezu jedem Haushalt finden, befanden gleich mehrere Parlamentarier der größten Oppositionspartei.

Sie forderten zunächst etwas vorwitzig Dendias auf, er möge doch mal ihre Haushalte durchsuchen. Die anarchistische Szene dagegen zeigte Fotos des Inventars von Hausbesetzungen .

Chronik der Anschläge

Anarchisten hatten am Donnerstag kurzzeitig das Bürogebäude der ebenfalls an der Regierung beteiligten Demokratischen Linken besetzt. Sie protestierten damit gegen die Duldung, die seitens der nominell linken Partei für Dendias geleistet wird. Hier erfolgte eine der ersten Verurteilungen der Aktion von den Kommunisten und SYRIZA. Parallel zur Besetzung der Parteibüros, die allen demokratisch gesinnten Griechen wegen ähnlicher Aktionen der einstigen Militärregierung (1967-74) ein Frevel ist, versuchten mehrere Personen, erneut in die geräumten Gebäude zu gelangen.

Der TV-Journalist Giorgos Kampourakis kommentierte das mit "diese Wichser …". Dementsprechend richteten sich die mit Gaskartuschen gebastelten Brandbomben, die erste Anschlagsserie, gegen die Autos von Journalisten, welche als besonders parteiisch zugunsten der Regierung angesehen werden. Die Regierung verurteilte die Anschläge, die Opposition zog nach und für SYRIZA gab es Schelte. Schließlich hätte die Partei mit ihrem Verständnis für den Besitz der Bierflaschen und der weiteren "Waffen" den Weg zum Terror bereitet, meinte Regierungsprecher Kedikoglou. Ihm galt der folgende Anschlag. Es half nichts, dass Alexis Tsipras als Parteivorsitzender eine eindeutig verurteilende Sprache wählte und seine Partei als Heimat für pflichtbewusste Hausfrauen und Hausmänner darstellte. Vielmehr kam nun auch Spott der Anarchisten über SYRIZA.

Am Samstag hatten Sympathisanten der Anarchisten zuerst eine friedlich verlaufene Demonstration aus Solidarität zu den verhafteten Besetzern veranstaltet. Tausende zogen durch die Innenstadt Athens, ohne dass es zu Ausschreitungen kam. Unbekannte warfen in der Nacht vom Samstag auf Sonntag Molotowcocktails ins Wohnhaus von Kedikoglous Bruder, der sich mit Frau und Kind bereits zur Ruhe gelegt hatte.

In der gleichen Nacht brannten zahlreiche Autos und Parteibüros der PASOK, von SYRIZA, DIMAR und Nea Dimokratia, so dass sich am Sonntag das gleiche Spiel der politischen Verurteilungen wiederholte. Durch all diese Verurteilungen gab es kaum Zeit, über verschwundene Steuersünderlisten, die neue Steuergesetzgebung und Griechenlands Verzicht auf die Souveränitätsrechte und die Pfändungsamnestie für Krankenhäuser, Schulen, Museen und Denkmäler zu diskutieren.

Schließlich fanden sich in der Nacht von Sonntag auf Montag gegen zwei Uhr zwei Personen am Gebäude der zentralen Büros der Nea Dimokratia ein. Sie hantierten mit mindestens einer Kalaschnikow und schossen gemäß der Angabe von Ohrenzeugen mindestens drei Magazine leer. Während einer schoss, sammelte der andere die Patronenhülsen ein. Die beiden machten sich per PKW von dannen. Ein ausgebranntes Fahrzeug, mutmaßlich der Fluchtwagen, wurde am Montag in der Nähe des Parteibüros gefunden. Neun Hülsen hatte der Sammler übersehen. Sie befinden sich nun in Polizeibüros. Eine Kugel landete auf dem Dach des Gebäudes, das einer deutschen Elektrokette gehört und für dessen Miete die Nea Dimokratia seit Monaten keine Gelder aufbringen konnte. Besonders hochgebauscht wurde seitens der Medien, dass eine der Kugeln den Weg in das Büro von Premier Antonis Samaras gefunden hatte. Personen kamen nicht zu Schaden.

Dennoch brach am Montagmorgen statt einer politischen Diskussion über die am Dienstag bevorstehende Abstimmung zum Souveränitätsverzicht oder der beschlossenen massiven, stufenweisen Erhöhung der Elektrizitätspreise mit über neun bis zwölf Prozent pro Quartal ein wahres Gewitter an "Verurteilungen der Gewalt, wo auch immer sie herkommt", über die Griechen ein. Tatsächlich wäre auch eine für Donnerstag angesetzte Entscheidung des Parlaments über die strafrechtliche Verantwortung der Finanzminister Giorgos Papakonstantinou und Evangelos Venizelos sowie deren Premiers Giorgos Papandreou und Loukas Papademos ein hochbrisantes Thema. Schließlich werden alle vier nichts Geringeres als des Amtsmissbrauchs und der Begünstigung von Steuerhinterziehung und Geldwäsche verdächtigt. Die Nea Dimokratia zog es jedoch vor, über die terroristische Bedrohung der Demokratie zu referieren. Auch ohne ein vorliegendes Bekennerschreiben identifizierten sowohl Dendias als auch Kedikoglou und der Fraktionssprecher der Nea Dimokratia Makis Voridis SYRIZA als Drahtzieher.

Manolis Glezos. Bild: W. Aswestopoulos

Das war dem greisen Manolis Glezos zu viel. Die Widerstandsikone der Linken mit Heldenstatus im Zweiten Weltkrieg, mehrfacher Verurteilung und Inhaftierung durch rechte oder konservative Regierungen wollte nicht mehr "die Gewalt, wo immer sie herkommt", verurteilen

"Es ist nicht hinnehmbar, dass wir immer wieder als Schuldige angesehen werden", meinte Glezos, der vor Jahrzehnten sogar zum Tode verurteilt worden war. Glezos fragte: "Kann es nicht sein, dass paramilitärische, der Nea Dimokratia freundlich gesonnene Organisationen hinter dem heutigen Anschlag stecken?" Schließlich hat die Linke keinerlei Nutzen aus diesen Aktionen. Simos Kedikoglou empörte sich: "Es ist nicht möglich, dass für den Angriff mit der Kalaschnikow rechte Paramilitärs verantwortlich sind." Ironisch ergänzte er, dass dieser Logik zufolge der Regierungssprecher seine Freude darüber, dass auf das Haus des eigenen Bruders Molotows geworfen wurden, nicht verhehlen könne.

Voridis legte noch einmal nach, es sei unverschämt, meinte er, ohne das Vorlegen von Beweisen die Existenz von rechten Einsatztruppen zu postulieren, wenn dutzende Terroristen gerade geschnappt worden seien. Dass in einem Rechtsstaat eine Unschuldsvermutung für alle noch nicht Verurteilten zu gelten hat, scheint dem praktizierenden Juristen entgangen zu sein.

Die für Griechen wichtigen Themen des Tages gingen jedenfalls unter. Nur als Zwischenmeldung erfuhren sie, dass der Handel wegen der gestiegenen Elektrizitätspreise an der Preisspirale zu drehen gedenkt. Kaum erwähnt wurde, dass der zunächst erfolgreiche Protest gegen die Befreiung der Reichen von der Luxussteuer erneut scheiterte. Nachdem Finanzminister Stournaras erst am Freitag ein dreihundertfünfzigseitiges Gesetzeswerk mit einer erneuten Luxussteuer ins Parlament einreichte, nahm er heute, noch vor der morgigen Abstimmung, diese wieder zurück. Vor der Einreichung war der Inhalt des "wegen Not im Eilverfahren" eingereichten Machwerks nicht bekannt. Zum Durchlesen aller Seiten wird angesichts der hitzigen Debatten um Molotow, Kalaschnikow, rechten oder linken Terrorismus kaum jemand kommen. Einfach zu lesen sind allerdings stolze 35 Seiten des Gesetzes, sie beinhalten mehr als fünfzig Steuerbefreiungen für Reeder. Eine Verdreifachung der Belastung für Seeleute führt so zum Paradoxon, dass ein zweiter Offizier eines Schiffes unter Umständen ein Vielfaches der Steuern eines Reeders berappen darf.

Zusätzlich dürfen sich nun kinderreiche Familien über ein weiteres "Geschenk" freuen. Nicht nur, dass Kinder zur Einkommensschätzung herangezogen werden, auch die bislang als Ersatz für fehlende Sozialleistungen steuerfreien PKWs für Kinderreiche werden zur Finanzfalle. Für größere Fahrzeuge ist, unabhängig vom Kaufpreis, eine Sonderabgabe fällig. Darüber hinaus wird auch hier ein Einkommen geschätzt. Wer dieses nicht vorweisen kann, darf als "Steuersünder" eine Strafabgabe zahlen.