Dämpfer für die Etablierten

Das Hamburgische Verfassungsgericht erklärt die Drei-Prozent-Hürde bei Bezirksversammlungswahlen für nichtig

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Die Bemühungen der etablierten Parteien, für gefallene Fünf-Prozent-Hürden neue Drei-Prozent-Sperren zu errichten, haben mit einem Urteil des Hamburgischen Verfassungsgerichts einen Dämpfer erlitten: Auf die Klage eines Piratenpartei-Mitglieds hin kippten die Richter in ihrer gestern veröffentlichten Entscheidung mit dem Aktenzeichen HVerfG 2/11 1 die Zugangssperre in § 1 Absatz 1 und Absatz 3 Satz 1 des zuletzt 2010 geänderten Gesetzes über die Wahl zu den Bezirksversammlungen, weil sie mit Artikel 6 Absatz 2 Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg unvereinbar ist.

Das sehr ausführlich begründete Urteil ist insofern von überregionaler Bedeutung, als CDU, CSU und SPD derzeit auch auf europäischer Ebene an einer Wiedereinführung der 2011 vom Bundesverfassungsgericht gekippten Sperrklausel arbeiten. Auch sie soll nicht mehr bei fünf, sondern bei drei Prozent liegen.

Sitz des Hamburgischen Verfassungsgerichts im Hanseatischen Oberlandesgericht am Sievekingplatz. Foto: Claus-Joachim Dickow. Lizenz: CC BY-SA 3.0.

In der mit 8 zu 1 Stimmen recht einhellig gefällten Entscheidung stellen die Richter fest, dass die Sperrklausel die Chancengleichheit der Parteien beeinträchtigt und zu einer "Ungleichgewichtung der Wählerstimmen" führt. Diese beiden Eingriffe könnten gerechtfertigt sein, wenn die Drei-Prozent-Hürde als mildestes Mittel eine zu erwartende "Funktionsstörung der Bezirksversammlungen […] von hohem Gewicht" verhindern würde. Für solch eine Funktionsstörung liegen jedoch nach Ansicht des Hamburgischen Verfassungsgerichts keine "ausreichenden tatsächlichen Grundlagen" vor.

Damit folgten die Richter weitgehend dem Kläger, der geltend gemacht hatte, dass die Hamburger Hürde der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Kommunal- und Europawahlen widerspreche und eine verfassungsrechtlich akzeptable Rechtfertigung der Sperrklausel nicht existiere. Dies sei unter anderem durch den Gesetzgeber in Nordrhein-Westfalen unfreiwillig bewiesen worden, dem es nicht gelang, unter seinen etwa 400 Kommunen eine zu finden, die sich als konkreter Beleg für eine Notwendigkeit der Klausel eignen würde.

Der Hamburger Landeswahlleiter hatte dagegen argumentiert, die Bezirksversammlungen würden sich von Kommunalvertretungen unterscheiden, weil sie eine Bezirksamtsleitung wählten und dadurch (wie der Bundestag oder ein Landesparlament) eine "Kreationsfunktion" hätten, die eine Sperrklausel rechtfertigen würde. Die Verfassungsrichter prüften dies eingehend und gelangten zur Überzeugung, dass eine Bezirksversammlung trotzdem deutlich weniger auf stabile Mehrheiten angewiesen ist als ein Landesparlament und zudem eine "eine andere staatsrechtliche Bedeutung" hat.

Allerdings wollte das Hamburgische Verfassungsgericht trotz seiner Nichtigkeitserklärung der Sperrklausel nichts an der Zusammensetzung des konkret kritisierten Elmsbütteler Bezirksausschusses ändern. Von dessen 51 Sitzen nimmt die SPD derzeit 23 ein. Die CDU kommt auf 12 und die Grünen besetzen 10. Linke und die FDP stellen jeweils drei Mitglieder. Hätte der Kläger auch hinsichtlich seines Wunsches auf Neuberechnung der Zusammensetzung Recht bekommen, dann hätten SPD, CDU und Grünen je einen Sitz abgeben müssen. Von den drei frei gewordenen Mandaten wären zwei an die Piraten und einer an die Freien Wähler gegangen.

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