Mali und die Arabellion

Wie der aktuelle Konflikt sich entwickelt hat

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Der aktuelle Konflikt in Mali begann am 17. Januar vergangenen Jahres, als aus Libyen zurückgekehrte Tuareg-Söldner, die sich zuvor in den Diensten Gaddafis befanden, als Folge der sogenannten Arabellion über die Grenzen zurück in ihre Heimatländer strömten. An diesem Tag griffen die Tuareg-Söldner der neugegründeten Tuareg- Organisation MNLA (Nationale Bewegung für die Freiheit von AZAWAD) die Armee Malis im Norden des Landes an, wodurch die vierte Tuareg-Rebellion, nach 1962-1964/1990-1995, sowie 2002-2007 begann.

Der Konflikt, der Kampf der Tuareg um Eigenständigkeit und Unabhängigkeit von der malischen Zentralregierung in Bamako, ist also schon viele Jahrzehnte alt, fand aber zuvor ohne Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit statt, gewann durch den Sturz Gaddafis eine neue Brisanz. Von Anfang an erhielt die MNLA dabei Unterstützung von drei islamistischen Gruppierungen, die sich aus internationalen Kämpfern zusammensetzen, unter anderem der Gruppe Ansar Dine (Gefährten der Religion), oder jene relativ kleine Gruppen, die sich den ominösen Namen AQIM (Al-Quida des islamischen Maghreb) zugelegt hatten.

Der schnelle Vormarsch der MNLA und ihrer Verbündeten im Norden Malis wurde durch die Tatsache begünstigt, dass die aus Libyen zurückgekehrten Tuareg, wo sie als ehemalige Kämpfer Gaddafis einer blutigen Verfolgung ausgesetzt waren, die dort auf alle Menschen mit dunklerer Hautfarbe übergriff, auch hochwertiges Waffenmaterial mitführten, welches aus den Rüstungsschmieden des Westens stammte und mit dem das Gaddafi-Regime zuvor überschüttet wurde, wie heute Saudi-Arabien.

Der Siegeszug der MLA wurde auch durch den innenpolitischen Verfall der Regierung Malis begünstigt. Am 22. März 2012 stürzten einfache Soldaten die Regierung in Bamako - mit ausdrücklicher Unterstützung breiter Bevölkerungsteile. Kurze Zeit später, am 6. April, nachdem die MNLA den gesamten Norden des Landes erobert hatte, wurde die unabhängige Republik "Azawad" ausgerufen.

Prof. Dr. Baz Lecocq, Tuareg-Experte von der Universität Gent, weist darauf hin, dass die große Mehrheit der Tuareg in der Azawad-Region im Norden Malis lebt, die sich wiederum aus drei Regionen zusammensetzt. Timbuktu, Gao und Kidal. Die MNLA repräsentiert nicht das ganze Volk der Tuareg. Einige Tuareg nutzen die Unterstützung des Staates Mali, schon aus pragmatischen Gründen, andere Tuareg fühlen sich als vollwertige Staatsbürger Malis. Es gibt viele Beamte und Politiker unter den Tuaregs in Mali.

Unabhängigkeitsbewegung der Tuareg

Die aktuelle Entwicklung, die Ausschreitungen gegen Tuareg in der Hauptstadt Bamako, haben dieses Bewusstsein zerstört und diesen Tuareg das Gefühl gegeben, dass sie niemals als vollwertige Bürger Malis angesehen werden. Die Berichterstattung, über Mitglieder der Gruppe Al-Qaida des Mahgreb und ehemalige Gaddafi-Kämpfer innerhalb der MLA, versperrt den Blick auf die viel bedeutendere Teilnahme von jungen, medienaffinen Tuareg, die teilweise in Libyen und in den Golfstaaten studierten und zu den Gründern der MLNA gehören. Nationale Unabhängigkeit wird von diesen Menschen als eine Art rationale Antwort verstanden, um die vielfältigen Probleme zu lösen, von denen die Tuareg dort betroffen sind. Die Verhaftung der Führungsschicht der MNLA, die gewaltsame Unterdrückung, sowie die Missachtung dieser politischen Bewegung, von Seiten der Regierung Malis, haben zum Ausbruch des Konfliktes geführt.

Der Aufstand wurde eindeutig von der Sezession des Südsudans inspiriert, die ja vom Westen unterstützt wurde. Die MNLA bedient sich auch der Rhetorik der internationalen Menschenrechte. Unter der jungen Generation der Tuareg hat dieses Gedankengut Wurzeln geschlagen. Allerdings würde in einem Referendum wohl nur eine Minderheit der Bevölkerung Nord-Malis für die Unabhängigkeit stimmen, da es sich bei dieser Region um ein Mosaik aus verschiedenen Ethnien handelt, die alle in höchst unterschiedlicher Beziehung zu der Zentralregierung Malis stehen. Eine Umformulierung der Frage nach Unabhängigkeit, hin zu einer gewissen Autonomie, wäre sicher für eine friedliche Lösung vom Vorteil. Allerdings müsste die Regierung Malis dafür auch bereit sein, so Lecocq.

Mosaik aus Ethnien

Dis Islamisten übernehmen die Macht

Kurze Zeit später allerdings, am 28. Juni, wurde die MNLA indes von den schon erwähnten konkurrierenden islamistischen Gruppen besiegt, mit denen sie vorher verbündet war. Seitdem wurde in der Region ein von der Bevölkerung abgelehntes, äußerst brutales Scharia- Regime installiert. Mit der Zerstörung der historischen Bausubstanz Timbuktus haben die radikalislamischen Kräfte genau das erreicht, was sie erreichen wollten, nämlich die Überschätzung ihrer eigenen Kräfte und die weltweite Aufmerksamkeit.

Baz Lecocq erläutert in diesem Zusammenhang, dass die zerstörten Moscheen und Mausoleen Timbuktus aus getrocknetem Lehm sind und jedes Jahr nach der Regenzeit restauriert werden müssen. Mit diesem mediengerechten Akt, immerhin ist die Stadt Timbuktu auch im Westen bekannt, zumindest dem Namen nach, gelang es den radikalislamischen Kräften, in den Fokus der internationalen Medien zu gelangen, was diese gerne aufnahmen, da sich die Geschehnisse in den propagierten Kulturkampf zwischen dem freien Westen und den zerstörungswütigen Islamisten hervorragend integrierten.

Weniger Aufmerksamkeit fand dabei, dass sich die Bilderstürmer von Timbuktu - die erwähnten Gruppierungen Ansar Dine und Al-Qaida des Mahgrebs (AQIM) - aber teilweise auf wahhabitische Grundlagen, hanbalitischer Richtung, berufen, somit die zerstörten Gräber der Sufi-Mystiker wie auch die wertvollen Bibliotheken und Schriftsammlungen, die ein Kennzeichen des maghrebinisch-afrikanischen Islams sind, als Ketzerei betrachten. Der Wahhabismus ist in Saudi-Arabien Staatsreligion, also in dem Land, das mit westlichem Waffenmaterial überschwemmt wird.

Die MNLA- Führung begrüßt inzwischen das Eingreifen französischer Truppen in den Konflikt. Der Führer der MNLA, Moussa Ag Assarid, bot den Franzosen Unterstützung an. Die MNLA erhofft sich natürlich ein Ende der islamitischen Zwangsherrschaft. Das Ende des Konflikts würde dies aber nicht bedeuten. Die MNLA strebt keine Angliederung ihres Herrschaftsgebietes unter die Kontrolle der Regierung Malis an. Zudem ist inzwischen, auch als Folge der politischen Umbrüche in der arabischen Welt, die gesamte Sahelzone, der breite Steppengürtel südlich der Sahara, der sich von Somalia im Osten zum Senegal im Westen erstreckt, von der islamischen Revolution erfasst worden.