"Säuberung" im spanischen Fernsehen

Allein beim öffentlich-rechtlichen Telemadrid werden 861 der 1170 Beschäftigten entlassen

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In einem Gesetz hatte die neue konservative spanische Regierung unter Mariano Rajoy 2012 Privatisierungen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen und Rundfunk ermöglicht. Durch die Arbeitsmarktreform wurden zudem Massenentlassungen möglich. In Madrid und Valencia wird längst die Axt an Regionalsendern angesetzt. Die Zahl der Beschäftigten wird bei RTVV in Valencia in den nächsten Monaten um 1.200 auf 500 verringert. Nun wurden bei Telemadrid auf einen Schlag von 1.170 Beschäftigte 860 entlassen. Die Betriebsräte, Gewerkschaften und Kritiker sprechen von "Säuberung", wie sie zuvor schon im spanienweiten Rundfunk RTVE zu beobachten waren. Die oppositionelle Prisa-Gruppe wurde durch Misswirtschaft geschwächt.

Es hat nichts genutzt, dass sich sogar der Trainer der spanischen Nationalmannschaft mit den Beschäftigten von Telemadrid solidarisiert hat. Vicente del Bosque, gerade von der Fifa zum Fußball-Welttrainer des Jahres 2012 gekürt, hatte sich hinter die Beschäftigten des öffentlich-rechtlichen Senders der Hauptstadtregion gestellt. "Telemadrid gehört dir!" stand auf dem Leibchen, dass er Fotografen in die Kamera hielt. Auch er forderte damit von der Bevölkerung: "Verteidige ihn!"

Denn trotz des Widerstands wird der Sender nun teilprivatisiert. 860 der 1.170 Beschäftigten haben Kündigungen erhalten oder ihre Werksverträge liefen aus. Streiks, Proteste und die enorme Solidaritätswelle haben die rechte Regionalregierung, die wie Spanien von der Volkspartei (PP) gestellt, bisher nicht zum Einlenken gebracht. Solidarisiert mit den früheren Kollegen hat sich auch der ehemalige Direktor des Senders. Francisco Giménez Alemán lobte in einem Schreiben die Beschäftigten dafür, sie verteidigten den Sender "würdig". Auch er kritisierte, dass Telemadrid immer stärker von den Konservativen missbraucht wurde. Er erinnerte an die Zeiten, "als wir noch frei im Dienste der Madrider" arbeiten konnten.

"Propagandabüro" der Regierung

Die Betriebsratsvorsitzende Teresa García spricht sogar davon, mit den Entlassungen erfolge nun eine "ideologische Säuberung". Es seien alle gekündigt worden, die "störten". Die Gewerkschaften haben rechtliche Schritte und angekündigt und wollen Entlassungen über die Gerichte rückgängig machen. Und die Vorwürfe sind nicht neu. Wer die Linie des Senders oder der Regionalregierung kritisierte, sei intern kalt gestellt worden. Per Fingerzeig, ohne übliche Ausschreibungs- und Auswahlverfahren, seien kritische Journalisten ersetzt worden. Es sei eine "Parallelredaktion" aufgebaut und aus Telemadrid ein "Propagandabüro" der Regierung gemacht worden, kritisiert der Betriebsrat.

So wurden aus einst zwei Nachrichtenchefs sogar 12 und die Zahl der Redakteure stieg von 125 auf 187, weil ein Teil nicht oder kaum noch eingesetzt wurde. Obwohl sich die wirtschaftliche Lage verschlechterte, stiegen die Ausgaben deutlich. Leitungsstellen wurden im Sender nicht nur mit getreuen der PP besetzt, sondern die Zahl hochdotierter Posten hat sich seit 2003 auf 46 verdoppelt. Mit einem Jahresgehalt von durchschnittlich 110.000 Euro verdienen sie mehr als Ministerpräsident Mariano Rajoy.

Die sinkende Programmqualität führte aber dazu, dass die Einschaltquote auf rund 5% sank. Die Werbeeinnahmen halbierten sich zwischen 2003 bis 2012 auf 23 Millionen Euro, im Gegenzug verdreifachten sich die Schulden auf etwa 300 Millionen Euro. Und damit wurde nun die Teilprivatisierung als Sparmaßnahme gerechtfertigt, die Secuoya und Vértice 360 Aufträge in einem Umfang von 29 Millionen Euro bescheren sollen. Dass die der regierenden PP nahestehen, muss eigentlich nicht mehr gesagt werden.

Die Kritiker machen für die Vorgänge Esperanza Aguirre verantwortlich. Sie löste 2003 den moderateren Alberto Ruiz-Gallardón - heute Justizminister - ab und wurde Präsidentin der Regionalregierung. Damals war Telemadrid gesund und die Einschaltquote lag bei gut 17%. Aguirre gehört zum rechten Rand der PP, die von Manuale Fraga Iribarne gegründet wurde. Es war Minister der Franco-Diktatur und ist gestern vor einem Jahr gestorben. Der PP-Ehrenpräsident wurde von seiner Partei am Dienstag im Senat geehrt, wo nun eine Büste des Gründers der Partei steht die sich nie vom Putsch 1936 und der Diktatur bis 1975 distanziert hat.

Aguirre machte stets deutlich, was sie vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk hält. "Ich glaube nicht an öffentlich-rechtliche Medien", sagte sie. Beenden konnte sie allerdings das Vorhaben nicht mehr. Denn sie musste im vergangenen Herbst plötzlich zurücktreten, was zunächst mit Widersprüchen zu einem riesigen Casino-Projekt in Zusammenhang gebraucht wurde. Da das Zocker-Paradies nun genau nach dem Willen des US-Milliardärs Sheldon Adelson umgesetzt werden soll (Nichts aus der Krise gelernt), konnte das nicht der Anlass sein.

Inzwischen ist klar, dass sie darüber gestolpert ist, dass sie sogar hochrangige PP-Mitglieder wie den heutigen Justizminister Gallardón bespitzeln ließ, weil sie fast schon paranoid überall Feinde und Abtrünnige sieht. Das geht aus einem Schreiben von José Oreja an den ermittelnden Richter hervor, aus dem die Zeitung El País zitiert hat. Der Beamte der Guardia Civil wird wegen der Spitzelei angeklagt und wurde einst als Sicherheitsberater von Aguirre angeheuert. llerdings hält auch der von Aguirre benannte Nachfolger Ignacio González an ihrem Privatisierungskurs fest - wie im Gesundheitssystem -, wo sich ebenfalls ein enormer Widerstand entwickelt hat. Doch auch González ist angeschlagen. Gegen ihn wird ebenfalls ermittelt, denn er soll auch die Strippen beim Ausspionieren parteiinterner Gegner gezogen haben.

Privatisierung steht im Vordergrund

Auffällig ist jedenfalls im Fall der Kündigungen bei Telemadrid, dass vom Sparkurs weder die große Zahl Führungskräfte noch parteitreue Journalisten betroffen sind. Dabei gab der Sender schon vor den Kündigungen 30% der Gehaltssumme für die vielen parteitreuen Führungskräfte aus. Dieses Verhältnis hat sich nun noch deutlich verschlechtert, weil es kaum noch Untergebene im Sender gibt. Die Sparvorschläge der Beschäftigten, die sogar Lohnkürzungen angeboten hatten, um den Sender zu sanieren, wurden dagegen allesamt ausgeschlagen. Nach diversen Studien hätten die Entlassungen und die Teilprivatisierung mit ihnen aber verhindert werden können. Doch dann wäre die Privatisierung ausgefallen, das eigentliche Ziel der Operation.

Vielleicht noch dramatischer ist die Lage in Valencia. Die Belegschaft von RTVV wird seit vergangenem Sommer sukzessive um fast 1.200 auf knapp 500 reduziert und der Sender soll ebenfalls privatisiert werden. In der auch seit vielen Jahren von den Konservativen regierten Mittelmeerregion hatte 2009 sogar der Ombudsmann der Region den Sender kritisiert. José Cholbi forderte von der RTVV-Leitung, "Maßnahmen zu ergreifen, um den Prinzipien der Objektivität, Wahrheitstreue, Unparteilichkeit und dem Respekt vor der politischen Pluralität gerecht zu werden".

Finanziell wurde der Sender sogar noch tiefer als Telemadrid in den Ruin getrieben. Der Schuldenberg von RTVV beträgt weit über eine Milliarde Euro. Die ökonomische Lage hat sich trotz Kündigungen bisher nicht verbessert. Erst am Montag wurde im Gesetzesblatt veröffentlicht, dass RTVV die Region 2012 noch 15,5 Millionen Euro teurer als erwartet wurde. Während an Bildung und Gesundheit massiv gespart wird, gab die Regionalregierung fast 113 Millionen Euro für RTVV aus. Die Schulden der Pleite-Region werden damit weiter in die Höhe getrieben. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl ist es die höchstverschuldete Region Spaniens. Hier wurde sogar ein Flughafen gebaut und eingeweiht, auf dem nie ein Flugzeug gelandet ist. Hohe PP-Politiker sind in diverse Korruptionsaffären verwickelt, der Ex-Regierungschef Francisco Camps musste 2011 zurücktreten.

Die Säuberungen, die als Sparmaßnahmen getarnt sind und mit denen die Privatisierungen vorangetrieben werden, hatten aber schon vorher begonnen und wurden nun nur auf die Regionen ausgeweitet. Schon im vergangenen Sommer begann eine Säuberungswelle im nationalen öffentlich-rechtlichen Rundfunk (Spanisches Fernsehen unter Regierungskontrolle). In RTVE wurde sogar die äußerst beliebte Ana Pastor geschasst, die kritisch auch immer wieder Regierungspolitiker angegangen war. Sie wurde damit zur Intimfeindin der radikalen Ex-Präsidentin der Madrider Regionalregierung Esperanza Aguirre. Kritische Nachfragen war sie aus "ihrem" Telemadrid nicht gewohnt. Angeworben wurde für sie schließlich Edurne Uriarte. Es ist die Frau von Kultusminister José Ignacio Wert (PP).

Chefredakteur von RTVE wurde zudem der Aguirre-Vertraute Julio Somoano, der von Telemadrid abgezogen wurde und schon dort für extrem fallende Einschaltquoten gesorgt hatte und man darf gespannt sein, wie lange es dauert, RTVE zu ruinieren, um dann Privatisierung zu kommen. Er wurde zentral für Manipulation in Telemadrid verantwortlich gemacht. So war es kaum verwunderlich, dass ihn in einer Abstimmung bei RTVE 71% der Journalisten als Chefredakteur abgelehnten. In seiner Masterarbeit hatte er 2005 seine klare Positionierung als PP-Anhänger deutlich gemacht. "Eine Kommunikationsstrategie für den Triumpf der Volkspartei (PP) bei den nächsten Parlamentswahlen", lautete ihr Titel.

Situation wie in Ungarn

Angesichts der geschilderten Vorgänge, muss man sich nicht wundern, wenn in Spanien von der Rückkehr in die Zeiten Francos gesprochen wird. Professor Enrique Bustamante, der an der Madrider Universität audiovisuelle Kommunikation lehrt, erklärte schon angesichts der Vorgängen in RTVE, dass dieser Sender nun völlig von der Regierung abhänge. "Ich vergleiche das ausdrücklich mit der Situation in Ungarn. Die Oppositionsparteien müssen das Thema ins europäische Parlament einbringen, denn Spanien verletzt dessen Beschlüsse über öffentliche Medien."

Das Problem wird in Spanien aber noch dadurch verschärft, dass die sozialistische Oppositionspartei und ihre Medien enorme Probleme haben. Die Sozialisten (PSOE) haben in der Krise völlig versagt, womit die Postfaschisten an die Macht gespült wurden. Sie hatten mit ihrem erratischen Kurs nicht gebrochen und ausgerechnet die rechte Hand des gescheiterten Zapatero zum Oppositionsführer gemacht (Hilferuf aus Spanien vor den Parlamentswahlen). Wie an der Regierung sind die Probleme in der ihr nahestehenden Prisa-Gruppe ebenfalls vor allem hausgemacht. Auch dort wurde und wird ein verfehlter ökonomischer Kurs gefahren.

So sollten zum Jahresende sogar beim Flaggschiff El País ein Drittel aller Stellen in der Redaktion gestrichen werden, obwohl die größte spanische Tageszeitung weiter Gewinne einfährt. Nach einem Streik wurden bisher seit November bis 52 von geplanten 149 Kündigungen verschickt. Die Beschäftigten müssen zudem auf 15 Prozent des Gehalts verzichten. "So gut können wir nicht mehr leben", hatte der Prisa-Vorstandsvorsitzende den Beschäftigten erklärt. Dabei hat Juan Luis Cebrián 2011 inklusive Bonuszahlungen dreizehn Millionen Euro eingestrichen, praktisch den gesamten Gewinn, rechnen die Redakteure wie Manuel González vor.

Cebrián habe eine halbe Milliarde Euro in den Sand gesetzt, welche die Beschäftigten der Gruppe in den letzten zehn Jahren erwirtschaftet hatten. Vor allem im Fernsehgeschäft hat er sich mit dem Kabelfernsehen mit Sogecable genauso verspekuliert wie beim Kauf von enorm teuren Fußballübertragungsrechten. Allein Sogecable kostete zwei Milliarden Euro, weshalb die Schulden von Prisa sogar auf über fünf Milliarden Euro stiegen. Das führte dazu, dass 2010 die Liberty Acquisition Holding von Nicolas Berggruen und Martin Franklin zu den Hauptaktionären von Prisa wurden. Berggruen wurde in Deutschland durch die Übernahme der Karstadt-Kette bekannt. Obwohl damit eine Geldspritze von 650 Millionen Euro einherging, musste Prisa Anfang 2012 ein Abkommen zur Umschuldung mit den Banken abschließen, um eine Pleite abzuwenden. Mit Prisa haben die Verantwortlichen ausgerechnet einen Gegenpol geschwächt, der einen Gegenpol zur rechten Regierung setzen könnte.

Denn die spanische Rechte beherrscht nicht nur große Teile der Privatmedien, sondern hat mit der Übernahme der Regierung nun auch die Kontrolle über die öffentlich-rechtlichen Medien, die sie ebenfalls für ihre Ziele einsetzt. Insgesamt hat sich die Lage der spanischen Medien in der schweren Wirtschaftskrise deutlich zugespitzt und die Pluralität hat stark gelitten. Seit 2007 wurden etwa ein Dutzend Tageszeitungen eingestellt. Etwa 10.000 Journalisten haben ihren Job verloren, etwa die Hälfte davon in Madrid, hat die Pressevereinigung der Hauptstadt gerade festgestellt. Im Februar 2012 stand auch die linke engagierte Zeitung Público vor dem Aus, die aber bisher als Internetzeitung überlebt hat.