Bundesregierung will Scheinregulierung beim Hochfrequenzhandel

Der Gesetzentwurf sieht gut aus, bringt aber nahezu nichts, kritisieren Experten

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Seit Ausbruch der Finanzkrise steht der automatisierte Hochfrequenzhandel, bei dem leistungsstarke Computer Kursschwankungen im Millisekundenbereich ausnutzen, um Spekulationsgewinne einzufahren, vermehrt im Fokus der Politik. Selbst Konservative und Liberale kommen um das Thema, das in linken Kreisen schon lange diskutiert wird, nicht mehr herum. Auch die schwarz-gelbe Bundesregierung legt nun einen Gesetzentwurf vor, um die umstrittene Praktik einzudämmen. Doch was die Regierung plant, ist kaum mehr als ein Placebo.

Innenansicht der Frankfurter Börse. Bild: Desert Eagle/gemeinfrei

Die Risiken des Hochfrequenzhandels "einzugrenzen", ohne ihn pauschal zu verbieten, das ist das erklärte Ziel, welches die Regierung mit ihrem Gesetzentwurf verfolgt, obwohl die Regierung selbst feststellt, dass der automatische Hochgeschwindigkeitshandel eine Vielzahl von Risiken mit sich bringt, die auch die Stabilität der Finanzmärkte gefährden können. Doch der Druck der Lobbyisten bleibt stark. So begrüßt die Deutsche Börse den Gesetzentwurf ausdrücklich, gerade weil sich die Koalition nicht dazu durchringen konnte, den Hochfrequenzhandel insgesamt "zu verurteilen oder gar zu verbieten". Aus der Sicht von Befürwortern wie der Deutschen Börse braucht es diese Form des Handels sogar. Der Hochfrequenzhandel sorge für Liquidität auf den Märkten. Sowohl Anleger als auch Unternehmen könnten von einer besseren "Preisqualität" sowie niedrigere Handels- und Finanzierungskosten profitieren.

Kritiker widersprechen dem vehement. Statt die Handelskosten zu senken, würde der Hochfrequenzhandel diese sogar in die Höhe treiben, meint Financewatch. Die Organisation setzt sich von Brüssel aus für eine Finanzindustrie, "die der Gesellschaft dient", ein und wird von Organisationen wie Attac Frankreich, dem DGB, Verdi, Foodwatch und der Verbraucherzentrale Bundesverband getragen.

Jagd nach neuen Geschwindigkeitsrekorden

Zwar senke die Automatisierung des Handels die Transaktionskosten. Doch der Hochfrequenzhandel bringt mit sich, dass die Geschwindigkeit der Hochleistungsrechner und der verwendeten Software zählt, selbst um jeden Meter Kabellänge bis zum Rechenzentrum der Börse wird gekämpft. Hochfrequenzhändler quartieren ihre Server deshalb gleich in der Börse selbst ein, um den entscheidenden Kabelmeter Vorsprung vor der Konkurrenz zu haben. Dieser Wettlauf treibt die Kosten für alle Teilnehmer wieder in die Höhe, normale Marktteilnehmer können da kaum noch mithalten. Nicht zuletzt führt die Jagd nach neuen Geschwindigkeitsrekorden auch zu Fehlern, die im Ernstfall zu plötzlichen Kursschwankungen an der Börse führen können (Credit Suisse erklärt Hochfrequenzhandel (HFT) für "schädlich").

Selbst professionelle Marktteilnehmer sehen die Hochfrequenzhändler mittlerweile kritisch. So erkennt der Bundesverband der Wertpapierfirmen (BWF), dass an den Handelsplätzen mittlerweile eine "Zwei-Klassen-Gesellschaft" der Marktteilnehmer entstanden sei. Gleichzeitig seien für die Handelplätze wie die Deutsche Börse die so genannten "Co-Location Services" mittlerweile eine wichtige Einnahmequelle. Der BWF sieht dadurch die Neutralität der Börsen in Gefahr und kritisiert, dass die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf nicht einmal ansatzweise auf das Problem eingeht.

Kann die BaFin den Hochfrequenzhandel kontrollieren?

Dabei müssen selbst kritische Ökonomen wie Rudolf Hickel zugeben, dass die Bundesregierung die Risiken des Hochfrequenzhandels in ihrem Entwurf "intelligent beschrieben" hat. Von der Überlastung der Handelssysteme bis hin zum Missbrauch des Hochfrequenzhandels hat die Regierung eine ganze Reihe von Problemen ausgemacht. Doch der Regierungsentwurf sei in sich widersprüchlich, befindet der Forschungsleiter für Finanzpolitik der Universität Bremen: Die beschriebenen Risiken würden nämlich nicht angegangen. Vielmehr habe die Bundesregierung einen Gesetzesentwurf nach dem Motto: "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass" vorgelegt.

So möchte die Bundesregierung den gesamten Hochfrequenzhandel künftig unter die Aufsicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) stellen. Sollte die BaFin Anhaltspunkte haben, dass eine Überwachung eines bestimmten Akteurs notwendig ist, soll sie das Recht bekommen, die Algorithmen, Handelsstrategien und weitere Interna über die Geschäfte einzusehen. Hickel hält dies für ungenügend - die BaFin könne erst viel zu spät eingreifen. Stattdessen müssten die Hochfrequenzhändler generell verpflichtet werden, ihre Instrumente und Techniken offen zu legen. Aufgrund des potentiellen Schadens, den der Hochfrequenzhandel verursachen kann hält Hickel es für richtig, die Spekulanten zur Transparenz zu zwingen.

Der Buchautor und Börsenhändler Dirk Müller kann über die Vorstellung, die BaFin könne den Hochfrequenzhandel kontrollieren, nur müde schmunzeln. Denn die sei schon beim klassischen Parketthandel an ihrer Kapazitätsgrenze gewesen. Dass sich die Aufseher ernsthaft in die im Mikrosekundentakt getätigten Order einarbeiten können, glaubt er nicht. Es gebe keine Möglichkeit, den Hochfrequenzhandel zu kontrollieren, stellt er nüchtern fest - und fordert deshalb, ihn ganz zu verbieten. Hätte ein Börsenhändler früher das getan, was ein Hochfrequenzhändler heute mache, man hätte ihn wegen Kursmanipulation vom Parkett gejagt, ist sich Müller sicher.

Nicht einmal eine Mindesverweildauer für die Papiere sieht der Regierungsentwurf vor

Heute setzt sich die Deutsche Börse ausdrücklich dafür ein, dass der Hochfrequenzhandel erlaubt bleibt, da er wertvolle Liquidität bereitstelle. Den Gesetzentwurf der Regierung befürwortet sie trotzdem. Das kann auch daran liegen, dass der Entwurf einen entscheidenden Fehler hat: er definiert nicht, was Hochfrequenzhandel genau ist. So ist im Regierungsentwurf nur die Rede von ""unverhältnismäßig hohe[n] Eingabe[n] von Kauf- und Verkaufsaufträgen", an anderer Stelle wird ein "angemessenes Verhältnis zwischen ihren Kauf- und Verkaufsaufträgen und den tatsächlich ausgeführten Geschäften (Order-Transaktions-Verhältnis)" gefordert. Ein angemessenes Order-Transaktions-Verhältnis liegt laut dem Gesetzentwurf immer dann vor, wenn das Verhältnis "der Funktion des handelnden Unternehmens" entspricht. Die Experten von Weed befürchten daher, dass der Entwurf überhaupt keine Grenze für Hochfrequenzhändler setzen würde, weil das ja ihr Geschäftsmodell in Frage stellen würde.

Eine Mindestverweildauer für die Papiere, wie sie der Bundesrat, aber auch Hickel, Weed und der BWF befürwortet, findet sich ebenfalls nicht im Gesetzentwurf der Regierung. Sehr zur Freude der Deutschen Börse. Diese warnt in der Anhörung vor dem Finanzausschuss des Bundestages ausdrücklich vor den Gefahren dieses "ökonomischen Experiments". Schon wenn die Händler verpflichtet seien, ein Angebot 500 Millisekunden lang in ihrem System zu behalten, könnte das zu einem Verlust für den Händler führen, wenn sich in dieser Zeit der Dollarkurs verändere oder neue Nachrichten die Kurse beeinflussen würden. (Dieser Abschnitt wurde nachträglich korrigiert, d. Red.)

Und so bietet die Regierungsvorlage zum Hochfrequenzhandel alles, was es in Wahlkampfzeiten braucht: Die Profiteure des Hochfrequenzhandels sind zufriedengestellt, weil die neuen Regelungen weich genug sind, um keine Einschränkungen befürchten zu müssen. Die Koalition hingegen kann im Wahlkampf von sich behaupten, die bei den Bürgern unbeliebten Finanzmärkte in die Schranken verwiesen zu haben. Zugleich ist der Entwurf auch ein Signal in Richtung Brüssel, wo derzeit ebenfalls über eine Regulierung nachgedacht wird - mit eindeutigen Definitionen, was Hochfrequenzhandel ist und inklusive Mindesthaltefrist für gehandelte Papiere.

Unter dem Deckmantel der Finanzmarktregulierung setzt die Bundesregierung somit ein Signal für eine möglichst schwache Regelung in der Europäischen Union.