Grüne wollen Abgeordnete vor dem Verfassungsschutz schützen

Künftig soll der Bundestag die Überwachung der Parlamentarier genehmigen

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Immer wieder geraten Abgeordnete der Linkspartei in das Visier des Verfassungsschutzes - im Bund genau so wie in den Ländern. So wurde im Oktober bekannt, dass der Thüringer Verfassungsschutz versuchte, einen Mitarbeiter der Landtagsabgeordneten Katharina König als V-Mann zu gewinnen.

König ist Mitglied im NSU-Untersuchungsausschuss des Landtages und beschäftigt sich dort maßgeblich mit der Arbeit der Verfassungsschützer im Zusammenhang mit der NSU-Mordserie.

Bekannt ist zudem, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) mindestens 27 Abgeordnete der Linkspartei beobachtet. Damit soll nun Schluss sein, meinen die Grünen - und wollen zumindest auf Bundesebene diese Überwachung stark einschränken.

Dass Behörden heimlich Informationen über Abgeordnete sammeln und sie "planmäßig überwachen" vertrage sich nicht mit dem vom Grundgesetz garantierten freien Mandat der Parlamentarier, befinden die Grünen. Mittels eines Antrags wollen sie erreichen, dass künftig jede "Beschränkung der persönlichen Freiheit" von Abgeordneten durch den Bundestag vorab genehmigt werden muss. Daher sollte der Schutz der Parlamentarier vor den Geheimdiensten näher ausgestaltet werden.

Wie genau diese Regeln aussehen könnten, schreiben die Grünen in ihrem Antrag noch nicht, diese soll vielmehr der Immunitätsausschuss des Bundestages erarbeiten. Der Ausschuss ist bislang damit befasst, über die Immunität von Abgeordneten zu entscheiden, wenn gegen sie ermittelt werden soll.

In einer Expertenanhörung hat sich der Ausschuss nun damit beschäftigt, ob eine solche Regelung überhaupt notwendig ist, und wie sie aussehen könnte. Dabei liegen die Meinungen der Sachverständigen äußerst weit auseinander. So stört sich der Staatsrechtler Ulrich Battis bereits daran, dass die Grünen in ihrem Antrag den Verfassungsschutz als Geheimdienst bezeichnen - denn der sei ja in Wirklichkeit gar keiner.

Ein Geheimdienst sei ein Jäger und dürfe auch schießen, während der Verfassungsschutz nur ein Sammler sei. Dass der Verfassungsschutz gewählte Abgeordnete überwachen kann, stört ihn nicht. Es entspreche immerhin der Lebenserfahrung, dass auch ein Abgeordneter ein Spion sein könne, beispielsweise für einen ausländischen Dienst. Allerdings, so räumt auch Battis ein, bedürfe es einer gesteigerten Begründung, wenn Parlamentarier mit verdeckten Maßnahmen überwacht werden sollen. Dass der Abgeordnete in einer Partei sei, in der andere überwachungswürdig sind, reiche nicht aus.

Mit Blick auf den Fall des ehemaligen Bundestagsabgeordneten Bodo Ramelow (Linke) erklärt Battis, dieser hätte nicht überwacht werden dürfen. Das Gericht habe da eine Fehlentscheidung getroffen. Doch egal wie viel man regele, Fehlentscheidungen gäbe es immer, erläutert Battis, warum er keinen Handlungsbedarf sieht.

Zugangsschlüssel" zu weiteren Personen und Informationen

Der Rechtsexperte Bernd Grzeszick sieht das ähnlich. Auch er hält die Beobachtung von Bundestagsabgeordneten für zulässig, die gegenwärtigen Regelungen seien bestimmt genug. Allerdings geht er noch weiter wie Battis. So spricht sich Grzeszick ausdrücklich dafür aus, führende Parteimitglieder auch unabhängig davon, ob sie selbst verfassungsfeindliche Bestrebungen haben zu überwachen, sofern derartige Bestrebungen in der Partei existieren.

Der Staatsrechtler begründet das damit, dass diese führenden Parteimitglieder der "Zugangsschlüssel" zu weiteren Personen und Informationen sein könnten. Erst wenn diese Überwachung keine Erkenntnisse bringe, werde sie irgendwann verfassungswidrig. Eine Grenze könne dafür aber nicht sinnvoll festgelegt werden. Grzeszick spricht sich zudem vehement dagegen aus, den Bundestag vorab über die Überwachung zu informieren oder ihn gar entscheiden zu lassen. Jede Mitteilung könne nämlich die Effektivität der Maßnahme beeinträchtigen.

Vertrauliche Gespräche draußen vor der Tür

Für Volker Beck (Grüne) ist das nicht nachvollziehbar. Denn schon heute müsste der Bundestag Ermittlungsmaßnahmen zustimmen, wenn ein Abgeordneter beispielsweise Mitglied einer kriminellen Vereinigung wäre - bei nachrichtendienstlichen Maßnahmen hingegen wird er nicht einmal informiert. Und auch Jörg van Essen (FDP) wundert sich über derartige Argumente. Dass sich der Immunitätsausschuss mit derartigen Problemen beschäftigt, habe noch nie zu Problemen geführt.

Dagmar Enkelmann und Halina Wawzyniak (beide Linke) können aus eigener Erfahrung schildern, welche Auswirkungen die Überwachung durch den Verfassungsschutz auf ihre tägliche Arbeit hat. Sie habe erlebt, dass Wähler vertrauliche Gespräche mit ihr nicht mehr in ihrem Büro, sondern nur draußen vor der Tür führen wollten, so Enkelmann.

Der Rechtssoziologe Martin Morlok bestätigt diese Probleme. Die Beobachtung durch den Verfassungsschutz sei rufschädigend. Zudem führe sie dazu, dass die Bürger Angst haben könnten, mit dem Abgeordneten Kontakt aufzunehmen, weil sie befürchten, sie könnten selbst ins Visier der Verfassungsschützer geraten. Dabei sei die Kommunikation zwischen den Bürgern und den Parlamentariern ganz wesentlich für die Arbeit der Bundestagsabgeordneten.

Morlok spricht sich daher für ein spezielles Gesetz zum Schutz der Abgeordneten vor Überwachung aus. Zudem solle der Bundestag derartige Maßnahmen genehmigen und zwar nur dann, wenn der Abgeordnete persönlich verfassungsfeindliche Bestrebungen hat. Diese Bestrebungen müssten vor Beginn der Überwachung vom Verfassungsschutz plausibel dargelegt werden. Zudem müsste das Amt alle ein bis zwei Jahre dem Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestages einen Bericht vorlegen, und auf dessen Grundlage um eine Verlängerung der Überwachung bitten.

Stoff für Konkurrenten

Hans-Christian Ströbele regt zudem an, den Schutz der Abgeordneten auch auf Kandidaten für die Bundestagswahl auszudehnen. Dass der Verfassungsschutz auch in Wahlen einzugreifen versucht, belegt er mit einem Beispiel. So habe das BfV 1983 den Kandidaten Otto Schily beobachtet und ein Dossier erstellt, welches das Amt anschließend einem konkurrierenden Kandidaten zukommen ließ.

Selbst Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hatte kurzzeitig überlegt, die Überwachung der Linkspartei einzustellen und sich auf die wirklich gewalttätigen Radikalen zu konzentrieren - was in seiner Fraktion auf Widerstand stieß. Mittlerweile ist er wieder zurückgerudert und hält an der Überwachung der Partei fest. Der zu erwartende Widerstand der Union dürfte eine strengere Regelung der Überwachung von Abgeordneten aber sehr unwahrscheinlich machen.