"Zu 100 Prozent öffentlich finanziert"

Nach der Ablehnung der Untersuchung eines mutmaßlichen Vergewaltigungsopfers gerät der öffentlich subventionierte "rechtseigene Raum" der Kirchen in die Kritik

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Nicht jeder Hilfsbedürftige ist willkommen, selbst wenn die kirchliche Einrichtung aus öffentlichen Geldern finanziert wird. Krankenhäuser unter kirchlicher Trägerschaft schließen, wie vergangene Woche bekannt wurde, bestimmte Behandlungen aus, wenn sie im "Widerspruch zu ethischen und moraltheologischen Grundsätzen der Kirche" stehen.

Eine Notärztin war im Dezember von zwei Kölner Kliniken, geführt von der katholischen Stiftung der Cellitinnen zur heiligen Maria, abgewiesen worden, als sie darum gebeten hatte, eine junge Frau, die angab, Opfer einer Vergewaltigung zu sein, zu untersuchen, um mögliche Tatspuren gerichtsverwertbar zu sichern.

Die Diensthabenden in den beiden Krankenhäusern lehnten die Untersuchung jedoch ab, mit Verweis auf Konsequenzen, die mit moralischen Grundsätzen und daraus resultierenden Regelungen der Kirche nicht vereinbar seien: Weil eine derartige Untersuchung nämlich mit einem "Beratungsgespräch über eine mögliche Schwangerschaft und deren Abbruch sowie das Verschreiben der Pille danach verbunden sei".

Die Ärzte befürchteten weiterhin, dass ihnen eine Kündigung drohe, wenn sie gegen die Regelungen verstoßen; sie lehnten ab, obwohl die Notärztin daraufhinwies, dass sie selbst die Beratung und die Verschreibung der Pille durchgeführt habe. Es ging demnach also lediglich um die Untersuchung.

Die Ablehnung ist umso wunderlicher, als die Einrichtungen zu 100 Prozent von der Allgemeinheit getragen werden, wie dies Carsten Frerk in einem Interview zum "Kölner Klinikskandal" zu bedenken gibt.

"Da geht kein Cent Kirchensteuer oder Kirchengeld hinein", behauptet Frerk. Er verweist schon seit längerem mit seinen Veröffentlichungen auf Widersprüche und moralische Risse im Zusammenhang mit dem Finanzierungsmodell der Kirche: "Wenn's ums Geld geht, gibt es kein Pardon". Frerk hält mehr noch den Politikern als den Kirchen vor, dass sie in einem "rechtseigenen Raum" handeln würden, den aber alle bezahlen. Die Politik, die den Kirchen diesen Raum zubillige - wo sie ganz eigene Loylitätsrichtlinien durchsetzen könne - müsse hier anders agieren.

Wer zu 100 Prozent öffentliches Geld bekomme wie die Kirche, der müsse auch öffentliche Rechtsgrundsätze realisieren. Dies sei eine politische Kategorie, die die Politik durchsetzen muss. Die Politik hat ebenfalls eine moralische Verpflichtung, die sie geltend machen müsse, dass nach ihren Rechtsgrundsätzen gehandelt wird. Dem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen, so die Argumentation Frerks, soll dort eine Grenze gezogen werden, wo gegen öffentliche Moral verstoßen wird.

Wir haben einfach die Situation, dass ein bisher tolerierter Zustand - die Kirche macht, was sie will in ihren Einrichtungen - in eine doch moralische Schieflage kommt, wenn man also Menschen in Notfällen nicht hilft. Und jetzt kommt die Kirche plötzlich in Erklärungszwang und ist schwer am moralischen Herumrudern.

Ergänzung: Von Seiten der kirchlichen Krankenhausstiftung wird im Zusammenhang mit der Ablehnung der Patientin auch ins Spiel gebracht, dass man zuvor mit vorgetäuschten Fällen zu tun hatte. Laut Frankfurter Rundschau bestätigte Cellitinnen-Sprecher Christoph Leiden, "dass in mindestens einem Fall zuvor eine 'Testerin' in ein Haus der Stiftung gekommen war, nach angeblichem ungeschütztem Geschlechtsverkehr die 'Pille danach' verlangt und diese auch bekommen hatte. Diese Information sei an das Erzbistum Köln weitergegeben worden."