Das Ego-Shooter-Video

Mit einer Helmkamera filmte ein US-Soldat ein Gefecht mit den Taliban, bei dem er verletzt wurde

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Das Video ist schon fast ein Jahr alt - und es wurde, nachdem mehrfach Medien über es berichtet hatten, schon mehr als 23 Millionen mal aufgerufen. Ted Nelson, ein US-Soldat im Afghanistan, hatte es mit seiner Helmkamera aufgenommen, als er im April 2012 in der Proviz Kunar gegen Taliban kämpfte und dabei verwundet wurde.

Wie bei einem Ego-Shooter sieht man nicht Nelson selbst, sondern lediglich sein Gewehr als Stellvertreter, während Nelson schießen und unter Beschuss voranschreitet, hinter einem Felsen über einem Dorf Deckung nimmt und ihm sein Gewehr aus der Hand geschossen wird. Er wollte mit seinem waghalsigen Alleingang seine Kollegen entlasten. "I'm hit", schreit er vor Schmerz und Überraschung. "Help me." Es fallen weitere Schüsse, Nelson versucht an sein Gewehr heranzukommen, er wird durch Granatsplitter verletzt, sein Helm wird getroffen. Die Batterie der Helmkamera erlischt.

Nelson, den man auf den Bildern der Helmkamera nicht sieht, überlebt, erfahren wir. Wir sehen auch nicht diejenigen, die auf die US-Soldaten schießen. Wir kennen den Kontext nicht, in dem die Schießereien stattgefunden haben. Wir gehen zwar davon aus, dass es sich um authentische Aufnahmen handelt, gleichwohl drängt sich der Eindruck auf, dass es auch eine Episode aus einem Computerspiel sein könnte.

Es zirkulieren viele mit Helmkameras aufgenommene Videos von Soldaten im Netz, aber Greg Jaffe von der Washington Post, nahm das Video von Nelson als Anlass, einmal zu hinterfragen, was es bedeutet, wenn Menschen auf der ganzen Welt direkt aus der Sicht eines Soldaten im Einsatz in Bild und Ton mitverfolgen können. Bislang waren die Menschen angewiesen auf Berichte, dann gab es Fotos und Filme von Soldaten als Souvenirs und von Kriegsreportern als Dokumentationen, schließlich Bilder von Kameras auf Raketen, Flugzeugen und Drohnen - und nun können die Videos, bei denen der Zuschauer in der erste Reihe sitzt, wie das das Pentagon schon 2003 beim Einmarsch in den Irak kontrolliert inszenieren wollte, über das Internet weltweit verbreitet werden.

Die Helmkameras der Soldaten sind nicht nur dafür gedacht, um daraus Erkenntnisse über den Gegner und die Taktik der eigenen Soldaten zu gewinnen, letztere werden in ihrem Verhalten damit auch überwacht, wie dies auch mit den Kameras auf Drohnen oder Luftschiffen geschieht, mit denen Offiziere in Echtzeit die Geschehnisse am Boden aus einem virtuellen Feldherrnhügel mitvollziehen können. Normalerweise werden die Videos für militärische Zwecke verwendet, sie dienen auch als Erinnerung, manchmal gelangen sie an die Öffentlichkeit.

Im Fall von Nelson wollte er das Video, nachdem er im August letzten Jahres wegen einer Verwundung nach Hause gekommen war, auf You Tube veröffentlichen, den Zugang aber auf privat setzen. Das bekam allerdings "Funker530", der gerne militärische Videos auf seinem YouTube-Channel veröffentlicht. Nelson ließ sich überreden, Medien erkannten aber schnell seine Einheit und er bekam den Befehl, das Video sofort zu löschen, da das Video u.a. als Propganda für die Taliban dienen könne. "Funker530" reagierte nicht. Das Video gibt es noch immer und bringt diesem Werbeeinnahmen.

Das Pentagon versucht, wie jeher, möglichst die Bilder und Informationen zu kontrollieren, die über Einsätze an die Öffentlichkeit gelangen. Das Konzept der eingebetteten Journalisten, das seit 2003 praktiziert wird, gewährt diesen die Möglichkeit, mit dabei zu sein, und dem Pentagon die Kontrolle über das, was die Menschen dann sehen können. Die Kontrolle wurde noch verstärkt, als die Fotos aus Abu Ghraib an die Öffentlichkeit gelangten oder als WikiLeaks etwa das Video von der Bordkamera eines Apache-Kampfhubschraubers veröffentlichte, dessen Besatzung gezielt auch auf Zivilisten schossen.

Wie Jaffe schreibt, wird es unterschiedlich geregelt, welche Soldaten Kamerahelme haben können. Nelson hatte die seine mit seinem eigenen Geld erworben und durfte sie benutzen, weil er bei einer Aufklärungseinheit seinen Dienst leistete. Unklar ist deswegen auch, wem das Video gehört, weswegen das Pentagon auf die Person Nelson Druck ausübte und ihm bis vor kurzem verboten hatte, über den Vorfall zu sprechen. Dafür gab es natürlich jede Menge Kommentare über sein mutiges oder unvorsichtiges Verhalten im Internet, aber natürlich auch darüber, dass es ein "echter" Film ist, der an ein Computerspiel erinnert. Beispielsweise von nazgulowen, der schrieb: "The war is not a game. Now, when I play to Battlefield 3 I will play with respect. I felt fear watching this video."