Private Aneignung

Die Energie- und Klimawochenschau: Die der Allgemeinheit gehörende Braunkohle wird ohne Gegenleistung abgebaut, während der Staat selbst die EEG-Umlage noch mit Mehrwertsteuer belegt

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Eins ist sicher: Langweilig wird die energiepolitische Debatte in diesem Jahr nicht. Gerade hat Bundesumweltminister Peter Altmaier eindrucksvoll demonstriert (Energiewende: Altmaier sät Verunsicherung), dass die Bundesregierung es ernst meint: Die Energiewende soll ausgebremst werden.

2010 hatte es noch einen Aufschrei gegeben, als in jenem Energiekonzept, das die Bundeskanzlerin als "revolutionär" bezeichnete, für 2020 ein Anteil der erneuerbaren Energieträger an der Stromproduktion von 35 Prozent anvisiert wurde. Die Branche hatte längst vorgerechnet, dass bis zum Ende des Jahrzehnts fast 50 Prozent erreicht werden könnten. Aber das "revolutionäre Konzept" sollte die Verlängerung der AKW-Laufzeiten rechtfertigen und so wurden die 35 Prozent fixiert und mit einem beschwichtigenden "mindestens" ergänzt.

Diesen kleinen Vorsatz hat man inzwischen gänzlich vergessen, wie auch die Tatsache, dass sich die Voraussetzungen durch die beschlossene Stilllegung der Atommeiler gründlich geändert haben. Stattdessen argumentieren Politiker von Union und FDP nun ganz, als handele es sich bei der 35 um eine verbindliche Zielmarke, die nicht überschritten werden dürfe.

Um das zu erreichen, müsste nach gegenwärtigem Stand der Dinge das Ausbautempo gedrosselt werden, was bei der entwickelten Dynamik gar nicht so einfach ist. Die von der FDP gewählte Holzhammertaktik des Frontalangriffs hat sich jedenfalls eher als kontraproduktiv erwiesen und nicht unwesentlich zum enormen Solarboom beigetragen. Potenzielle Anlagenbesitzer wurden mit viel Geschrei animiert, noch möglichst schnell vor den jeweiligen Stichtagen zu bauen. Also müssen subtilere Methoden her, wie sie nun der Merkel Vertraute Peter Altmaier zur Anwendung vorschlägt. Die Initiative des Umweltminister, die sich vordergründig um die berechtigte Sorge um den Strompreis dreht, hat das Potenzial, maximale Verunsicherung zu schaffen, und wir müssen wohl davon ausgehen, dass genau das beabsichtigt ist.

Da ist zum Beispiel das Ansinnen, mit Abgaben auf Altanlagen deren Profitabilität im Nachhinein zu schmälern. Für manche Solaranlage mag das je nach Höhe der dem Minister vorschwebenden temporären Vergütungskürzung gar nicht einmal weiter dramatisch sein. Für einen Teil der Windkraftanlagen kann das aber schon ans Eingemachte gehen, denn unter ihnen gibt es durchaus eine ganze Reihe, die ohnehin deutlich weniger abwerfen als ursprünglich kalkuliert. Auf jeden Fall sägt Altmaier mit diesem Vorschlag aber an einem der Grundpfeiler des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes, nämlich an den langfristig stabilen Bedingungen, die es für viele erst möglich macht, Geld in die neuen Energie zu investieren.

Preise und Kosten

Natürlich hätte die schwarz-gelbe Mehrheit im Bundestag zahlreiche Hebel in der Hand, den Strompreis für die Verbraucher zu senken, wenn dies tatsächlich ihr Anliegen wäre. Sie könnte für die privaten Verbraucher den Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent auf sieben senken. Oder sie könnte ihnen zumindest jenen Anteil der Mehrwertsteuer auf anderem Wege zurückgeben, der auf die EEG-Umlage erhoben wird. Allein dieser beträgt fast einen Cent pro Kilowattstunde.

Denkbar wäre zum Beispiel, einen Grundbedarf von 500 Kilowattstunden pro Haushalt und weiteren 400 Kilowattstunden pro Person und Jahr von Steuern und Umlagen zu befreien. Das könnte unter anderem mit jenen jährlich 4,3 Milliarden Euro gegenfinanziert werden, die die energieintensive Industrie nach Angaben des Bundesumweltministers durch ihre großzügige Befreiung von der EEG-Umlage einspart. Die profitiert ohnehin schon erheblich durch die sinkenden Börsenstrompreise, sodass sie den Verlust dieses Privilegs verkraften könnte.

Davon abgesehen sollte man nicht vergessen, dass Preise und Kosten zweierlei sind. Vor allem, wenn von volkswirtschaftlichen Kosten die Rede ist. In diesem Zusammenhang wäre nicht nur über die Folgen von Atomunfällen sowie Schwermetall-, Treibhausgas- und Schwefelemissionen zu reden, sondern auch über die Steinkohlesubvention von über zwei Milliarden Euro jährlich und den diversen anderen Vergünstigungen für fossile und nukleare Brennstoffe.

So gilt zum Beispiel für die Braunkohle seit Kaisers Zeiten eine Praxis, die man eher einer Dritte-Welt-Militärdiktatur zutrauen würde: Die beteiligten Unternehmen zahlen faktisch keine Abgaben für den Abbau der der Allgemeinheit gehörenden Rohstoffe. Das hat im vergangenen Jahr ein Gutachten der Rechtsabteilung des Bundestages ans Tageslicht gebracht. Den Bundesländern entgehen dadurch jährliche Einnahmen im unteren dreistelligen Millionenbereich, Geld das zum Beispiel in die Wärmesanierung der öffentlichen Gebäude gesteckt werden könnte, um so künftig die Landeshaushalte zu entlasten.

Aber offensichtlich garantiert man - zuständig wäre als Gesetzgeber in diesem Fall der Bundestag - lieber der schmutzigen Braunkohle einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Sonne und Wind oder auch gegenüber Gaskraftwerken. Letztere würden für die Energiewende wegen ihrer Flexibilität dringend gebraucht und haben je nach Alter einen um den Faktor Zwei bis Drei geringeren spezifischen Ausstoß an Treibhausgasen als die Braunkohleanlagen. Bei anderen Schadstoffen wie Quecksilber oder Cadmium dürfte der Vergleich für sie noch günstiger sein.

Pleitewelle und Netzprobleme

Derweil werden in den nächsten Tagen die Daten über den Ausbau der Wind- und Solarenergie aus aller Welt eintrudeln. Eines lässt sich schon jetzt sagen: Die Entwicklung sieht viel Auf und Ab, aber die neue Technik fasst in immer mehr Ländern Fuß. Selbst das Atomland Frankreich hat inzwischen Solaranlagen mit einer Leistung von etwas über drei Gigawatt (GW) und Windräder, die knapp sieben GW einspeisen können. Vor allem bei den Solaranlagen hat sich der Zubau im letzten Jahr deutlich beschleunigt.

Weniger rosig sieht es hingegen für die Hersteller aus. Während die Preise weiter fallen, schrumpfen die Margen. Das hat inzwischen auch das wohl letzte der einstigen hiesigen Vorzeigeunternehmen in Schwierigkeiten gebracht. Die Solar World AG sorgte vergangene Woche für Schlagzeilen, weil ihre Gläubiger auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten sollen, um das Unternehmen zu retten. Ob sie sich dabei von dem ausgesprochen dämlichen PR-Coup des Solar World Gründers und Vorstandchefs Frank Asbeck beeinflussen lassen, der ausgerechnet in dieser angespannten Situation ein Schlösschen für seine Stiftung erwarb, bleibt abzuwarten.

Nun gut, letztlich ist das aber nur eine Randnotiz einer größeren Umwälzung. Die Solarbranche leidet an erheblichen Überkapazitäten, was bei einem neuen, schnell wachsenden Industriezweig vorkommen kann. Das Ergebnis ist dann ein Konzentrationsprozess und das Verschwinden zahlreicher Namen. Ähnliches ereignet sich immer wieder. So sind zum Beispiel auch einige der heutigen Autogiganten aus der Verschmelzung einer größeren Zahl kleinerer Hersteller entstanden, an die heute bestenfalls noch diverse Markennamen erinnern.

Dieser Prozess spielt sich übrigens auch in der chinesischen Solarindustrie ab und greift im übrigen dort auch auf die Windindustrie über. Das rasche Wachstum der jährlichen Zubauzahlen hat in der Volksrepublik zahlreiche neue Hersteller auf den Markt gelockt, die nun reihenweise rote Zahlen schreiben. Zahlreiche Schwierigkeiten mit Qualität, Netzanbindung und -Integration haben dazu geführt, dass 2012 weniger Anlagen hinzu kamen. Mit 14 Gigawatt neuer Leistung, von denen die Zeitung People's Daily berichtet, war China aber immer noch Weltmarktführer. Für 2013 wird wieder mit einer Steigerung auf 18 GW gerechnet. 2011 waren es 20,66 GW gewesen. 2012 deckte Windenergie mit rund 100 Milliarden Kilowattstunden zwei Prozent des chinesischen Bedarfs, gleichzeitig gingen aber wegen Problemen mit der Netzintegration 20 Milliarden Kilowattstunden verloren.

Quecksilber

Und zu guter letzt die gute Nachricht der Woche. Im Genfer Völkerbundpalast haben sich bereits vorletzte Woche die Vertreter von 140 Nationen auf die sogenannte Minamata-Konvention geeinigt. Namensgeberin des Vertrags ist eine japanische Stadt, die vor einigen Jahrzehnten traurige Berühmtheit wegen schwerer Quecksilbervergiftungen erlangte, die dort zahlreiche Menschen erlitten. Die Konvention soll die Freisetzung von Quecksilber vermindern und verlangt in einem ersten Schritt, bis 2020 weltweit einige Produkte wie Quecksilberthermometer vom Markt zu nehmen. Sie tritt in Kraft, wenn sie von mindestens 50 Staaten ratifiziert wurde, was einige Jahre dauern dürfte.

Sollte dieses Abkommen tatsächlich ernsthaft umgesetzt werden, wäre das auch für das Klima ein Gewinn. Kohlekraftwerke, die konsequenterweise abzuschalten oder zu reduzieren wären, gehören nämlich zu den großen Emittenten dieses giftigen Schwermetalls. In Deutschland laufen die gesetzlichen Grenzwerte in etwa darauf hinaus, dass ein 800 Megawatt Kraftwerk im Jahr etwa eine halbe Tonne Quecksilber in die Luft blasen darf. Damit dürften hierzulande etliche Dutzend Tonnen pro Jahr großflächig verteilt werden, wovon wegen der vorherrschenden Westwinde ein nicht kleiner Teil bei unseren östlichen Nachbarn landen müsste. Aber wie sagte doch der seinerzeitige Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) zum Auftakt der Verhandlungen über die Konvention so schön: "Ein globales Übereinkommen zu Quecksilber hilft auch, deutsche und europäische Umweltstandards weltweit zu verbreiten."