Glatt durchgefallen: das Leistungsschutzrecht für Presseverlage

Zur Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestags war kein Vertreter einer Suchmaschine geladen worden, eine Liveübertragung wurde vom Vorsitzenden Siegfried Kauder abgelehnt

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Seit dem Frühjahr 2009 betreibt die Axel Springer AG Lobbyarbeit für ein Leistungsschutzrecht für Presseverlage und findet damit Unterstützung sowohl beim Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) und beim Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ). Aus der fleißigen Lobbyarbeit, die in dem Ruch steht, durch persönliche Beziehungen der Springer AG ins Kanzleramt begünstigt zu sein, ist mittlerweile ein Gesetzentwurf erwachsen, mit dem die Bundesregierung dem Wunsch der Verleger nachkommen möchte. Doch in einer Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestages wird der Regierungsentwurf förmlich zerrissen.

Nach dem Willen der Bundesregierung sollen künftig Suchmaschinenbetreiber, die im Rahmen ihres Angebotes auf die Inhalte der Verlage zurückgreifen und neben den Links auf deren Angebot kleine Textausschnitte anzeigen, Nutzungslizenzen erwerben müssen. Ausdrücklich ausgenommen von dieser Regelung sollen nach dem Willen der Regierung sonstige Nutzer wie Blogger, Verbände, Rechtsanwaltskanzleien oder "Unternehmen der sonstigen gewerblichen Wirtschaft" sein. Auch die Zitierfreiheit soll ausdrücklich erhalten bleiben.

Axel Springer-Lobbyist Christoph Keese, der sich gegenüber der Bundesregierung für das Leistungsschutzrecht eingesetzt hat, ist mit dem Ergebnis seiner Bemühungen nur teilweise zufrieden. In seiner Stellungnahme, die er für den BDZV und den VDZ abgab, erklärt Keese den Regierungsentwurf nur zu einem "ersten Schritt" in die richtige Richtung. Der Entwurf gestehe den Presseverlagen nur zu, die Verwertung ihrer Inhalte entweder zu untersagen oder mittels einer Lizenz zu erlauben. Das ausschließliche Recht für Vervielfältigung, Verbreitung sowie für Sendung und sonstige Wiedergaberechte würde fehlen.

Insbesondere fehlt den Verlegern ein ausschließliches Vervielfältigungsrecht, um gegen Medienbeobachtungsdienstleister, die ihre Suchergebnisse nicht im Internet oder in Intranets, sondern lediglich in Mails übermittelten, vorgehen zu können. Zudem sei die von der Bundesregierung vorgesehene Schutzfrist von einem Jahr "deutlich zu kurz" und müsse daher "deutlich ausgedehnt werden".

Die Möglichkeit der Verlage, sich mittels Robots.txt aus Diensten wie Google News auszutragen, hält Keese für unzureichend, da diese den Verlagen zu wenige Optionen anbiete. Keese erklärt, es sei nicht zu akzeptieren, dass die Verlage kostenlos den Internetdiensten zuliefern sollen. Es entwickelten sich zunehmend Geschäftsmodelle der Aggregatoren, die die Nutzer von den Seiten der eigentlichen Inhalteanbieter fern hielten. Die User würden im Schnitt pro Tag nur drei Mal 30 Sekunden im Netz auf Nachrichtenseiten verbringen, deshalb seien die Aggregatoren im Vorteil.

Jeder Redakteur, jeder CvD müsse die Möglichkeit haben, für jeden Text individuell festzulegen, was die Suchmaschine darf, so Kreutzer. Für den Text eines Volontärs müsse man über Suchmaschinen mehr werben, bei einem bekannten Autor reiche es, wenn nur dessen Name angezeigt würde.

Leistungsschutzrecht: ein Lex pro Google und pro Springer?

Jürgen Ensthaler, Richter am Bundespatentgericht und ebenfalls Verteidiger des Leistungsschutzrechts, fällt es schwer plausibel zu erklären, wie genau das Gesetz in der Praxis ausgestaltet sein müsste. Ensthaler räumt ein, dass es derzeit keine Marktstörung zwischen Suchmaschinen und Verlagen gibt. Davon müsse der Bundestag aber seine Entscheidung nicht abhängig machen. Zudem sei es nicht so, dass es einen zweiseitigen Markt gebe, weil sowohl Suchmaschinen als auch Verlage von den Suchdiensten profitieren. Vielmehr sei es so, dass die Suchmaschinen einseitig bestimmten, wie ihre Gegenleistung für die Übernahme der Snippets aussehen. Es könne nicht sein, dass jemand ein fremdes Auto nehme und hinterher erkläre, dafür habe er aber die Bremsen repariert.

Wie Suchmaschinen funktionieren sollen, wenn Snippets künftig unter das Leistungsschutzrecht fallen, kann er nicht plausibel erklären. Zwar meint er, dass kurze Ausschnitte, die von den Suchmaschinen gebraucht werden, um ihre Funktion zu erfüllen, nicht unter das Leistungsschutzrecht fallen sollten. Wo die Grenze ist, kann er jedoch nicht beantworten, dazu müssten sich die Suchmaschinenbetreiber äußern. Eine Suchmaschine habe jedoch das Recht, mehr Begriffe anzuzeigen, als deren Nutzer eingegeben habe.

Ralf Dewenter von der Universität Düsseldorf kommt hingegen zu dem Schluss, das Leistungsschutzrecht für Verlage sei "weder notwendig noch sinnvoll". Er zweifelt an, dass das Gesetz überhaupt die Verlage stärken wird. Denn letztlich profitierten derzeit sowohl die Suchmaschinen als auch die Verlage von der Auflistung der Verlagsinhalte.

Dewenter bezweifelt zudem, dass alle Verlage von der Regelung profitieren würden. Möglicherweise hätten die Suchmaschinen nur ein Interesse, massenkompatible Inhalte zu lizenzieren, da diese weitere Einnahmen versprächen. Hochqualitative Inhalte zu speziellen Themen müssten dann entweder auf eine Auflistung oder auf die zusätzlichen Einnahmen verzichten. Dewenter vermutet, dass das Leistungsschutzrecht daher zu mehr Quantität, aber zu weniger Qualität bei den Inhalten führen könne. Zudem würde das Leistungsschutzrecht verhindern, dass Verlage neue, innovative Geschäftsmodelle entwickeln.

Auch Till Kreutzer von iRights.info hält das Leistungsschutzrecht zumindest derzeit grundsätzlich für überflüssig. Von der aktuellen Situation würden sowohl Verlage als auch Suchmaschinenbetreiber profitieren, der Entwurf der Bundesregierung hingegen habe für beide Seiten negative Folgen. Zudem würde es vor allem die Marktmacht der großen Anbieter wie Axel Springer und Google stärken und kleine oder neue Unternehmen benachteiligen. Leidtragende wären letztendlich alle Nutzer und auch die Journalisten selbst. Da alle neutralen Experten dem Leistungsschutzrecht gegenüber derzeit Kritik und Bedenken äußern würden, sei es grob fahrlässig, dieses ohne weitere Rechtsfolgenabschätzung einzuführen.

Kreutzer warnt zudem vor den praktischen Auswirkungen, die das Leistungsschutzrecht haben würde. Wenn Suchmaschinen nach Einführung des Leistungsschutzrechtes weiterhin Snippets anzeigen wollen, müssen die Betreiber die Verlage um Lizenzierung anfragen. Bis zu dem Zeitpunkt, wo sämtliche Verträge geschlossen werden, dürften nur noch nackte Links angezeigt werden. Bis dahin könnte ich als Nutzer nur noch eingeschränkt Inhalte finden, erklärt Kreutzer. Die Verlage verlören bis dahin an Reichweite und Marktmacht. Der dauerhafte Effekt sei, dass die großen Verlage langfristig profitieren würden, während kleine Verlage tausende Verträge schließen müssten, um gefunden zu werden. Am Ende sei das Leistungsschutzrecht daher ein Lex pro Google und pro Springer.

Sind Textschnipsel, wenn überhaupt, Teil der Leistung des Urhebers und nicht des Verlegers?

Der Jurist Gerald Spindler argumentiert ebenfalls pointiert gegen das Leistungsschutzrecht. Der Urheber wird dadurch seiner Ansicht nach wesentlich schlechter behandelt als die Verleger. Würde der Urheber selbst einen Artikel einstellen, so wäre die Nutzung durch Suchmaschinen sozialadäquat. Sobald der Verleger ein Layout dazu baut, solle es auf einmal ein Leistungsschutzrecht geben. Spindler versteht ebenso wenig, warum es einem Urheber zumutbar sein soll, auf seiner eigenen Webseite die robots.txt zu nutzen, dem Verleger jedoch nicht.

Der Rechtsanwalt Thomas Stadler wies darauf hin, dass von dem Gesetz möglicherweise nicht nur Suchmaschinen, sondern auch soziale Netzwerke betroffen sein könnten. Die Phase, bis die Auswirkungen juristisch geklärt sind, schätzt Stadler auf fünf Jahre. Bis dahin werde er jedem Mandanten abraten, Snippets einzusetzen. Zudem schütze das Leistungsschutzrecht keine verlegerische Leistung, denn diese bilde sich nicht in kurzen Textschnipseln ab. Die Textschnipsel seien wenn überhaupt Teil der Leistung des Urhebers. Stadler stellt die Frage, ob nicht die gängige Funktionsweise von Suchmaschinen insgesamt in Frage gestellt werde.

Holger Paesler, der Geschäftsführer der Verlagsgruppe Ebner Ulm zeigt mit seiner Stellungnahme vor dem Rechtsausschuss unfreiwillig auf, welche Risiken das Leistungsschutzrecht auch für die Verlage haben kann, die es heute befürworten. Die Verlage listeten sich nicht aus Suchmaschinen aus, weil sie Reichweite brauchen, erklärt Paesler. Dies liege daran, dass 95 Prozent der Menschen eine Suchmaschine nutzten. Gleichzeitig fordert auch er das Leistungsschutzrecht als neue Einnahmequelle – auf die Gefahr hin, dann von den Suchmaschinen zwangsausgelistet zu werden.

Gefehlt haben bei der Anhörung des Rechtsausschusses zwei wichtige Parteien: einen Vertreter von Google oder einer anderen Suchmaschine hatte der Ausschuss absurderweise nicht geladen. Normalerweise ist es üblich, bei derartigen Gesetzentwürfen möglichst alle betroffenen Gruppen im Ausschuss zu hören, zumal wenn es sich um wirtschaftsstarke Unternehmen handelt.

Ebenfalls weitestgehend außen vor war die interessierte Öffentlichkeit, die mit den Folgen des Leistungsschutzrechtes leben muss, sofern das Gesetz tatsächlich verabschiedet wird. Denn eine Liveübertragung der Sitzung im Internet gab es nicht, obwohl Tabea Rößner (Grüne) sich dies gewünscht hätte. Eine Übertragung sei in der Obleuterunde des Ausschusses beantragt worden, ließ sie die Zuhörer auf der Tribüne wissen. Der Ausschussvorsitzende Siegfried Kauder (CDU) wollte davon jedoch nichts wissen.

Für Petra Sitte (Linke) sind noch viele Fragen im ökonomischen und rechtlichen Bereich offengeblieben. Würden wir das Gesetz heute verabschieden, wäre es wie ein Schuss ins Dunkel: Man müsse das Licht anschalten um zu sehen, wer umgefallen sei, so Sitte am Ende der Sitzung.

Es liegt in der Hand der Bundesregierung, ob sie dem Wunsch der Verleger weiterhin entspricht und dieses Experiment wagt.