"SPD und Grüne sind neoliberal!"

Gergor Gysi auf der Grünen Woche 2013. Bild: linksfraktion/CC BY-NC 2.0

Gregor Gysi, Fraktionsvorsitzender der Linkspartei, über langfristige Visionen - und über die aktuelle Tagespolitik

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Wenn Sie für vier Jahre Bundeskanzler wären und Ihre Partei DIE LINKE die absolute Mehrheit im Bundestag hätte - was würde sich ändern?

Gregor Gysi: Deutschland würde an keinen Kriegen mehr teilnehmen, Steuergerechtigkeit würde einschließlich einer Vermögenssteuer hergestellt werden, prekäre Beschäftigung würde überwunden werden, Rente gäbe es wieder ab 65 Jahren, eine Bürgerversicherung für Gesundheit und Rente würden eingeführt werden und es gäbe gleiche Löhne in gleicher Arbeitszeit und gleiche Rente für gleiche Lebensleistung in Ost und West und zwischen Frauen und Männer. Es käme noch anderes hinzu, aber das scheint mir das Wichtigste zu sein.

Welche Artikel des Grundgesetzes würden Sie gerne umschreiben?

Gregor Gysi: Im Grundgesetz würden wir die sozialen Rechte deutlicher formulieren, eine Mitzuständigkeit des Bundes in Bildungsfragen hineinschreiben und die Teilnahme der Bundeswehr an Kriegseinsätze - außer im Verteidigungsfall - eindeutig untersagen!

Wie beurteilen Sie die Zukunft der Linkspartei im Westteil des Landes, nachdem Sie aus dem Niedersächsischen Landtag geflogen ist?

Gregor Gysi: Bei den Umfragen zur Bundestagswahl liegen wir in den alten Bundesländern zwischen 4 % und 5 %. Das hat schon Gewicht, aber wir müssen es noch ausbauen. Wenn wir mehr Mitglieder gewinnen, können wir auch stärker kommunalpolitisch und landespolitisch auftreten.

Was halten Sie von Volksentscheiden auf Bundesebene?

Gregor Gysi: Selbstverständlich unterstützen wir die Einführung von Volksentscheiden auf Bundesebene. Menschen, denen man Verantwortung gibt, die verhalten sich auch verantwortlich.

Ist der Ruf nach mehr Arbeitsplätzen überhaupt noch sinnvoll oder gibt es bessere Konzepte jenseits der Lohnarbeit für alle?

Gregor Gysi: Hier gibt es unterschiedliche Auffassungen. Ich meine aber, dass jeder und jedem Erwerbsarbeit angeboten werden sollte. Wir müssen allerdings über Arbeitszeitverkürzungen nachdenken, um dazu in der Lage zu sein.

Denken Sie, dass das bedingungslose Grundeinkommen ein interessantes Konzept ist?

Gregor Gysi: Unsere Parteivorsitzende Katja Kipping und andere sind für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Ich meine, dass es so nicht geht.

Wie hoch sollte Ihrer Meinung nach der ALG-II-Satz sein?

Gregor Gysi: Inzwischen müsste er ja bei 500 Euro liegen.

Welche Ängste von Wählern begegnen Ihnen am häufigsten in Bezug auf die Linkspartei? Sollte Ihre Partei versuchen, gesellschaftsfähiger zu werden oder würde das einem Verrat an Ihren Werten und Inhalten gleichkommen?

Gregor Gysi: Viele befürchten, dass wir die Ökonomie nicht beherrschen und damit die Grundlage für eine Politik der sozialen Gerechtigkeit verlören. Wir müssen den Menschen also erklären, dass auch bei uns die Wirtschaft funktioniert.

Haben SPD und Grüne überhaupt noch linke Elemente in ihrer Politik?

Gregor Gysi: SPD und Grüne sind neoliberal geprägt. Je stärker die Partei DIE LINKE ist, desto sozialer werden auch SPD und Grüne.

Könnten Sie Peer Steinbrück, den aktuellen Kanzlerkandidaten der SPD, ernst genug nehmen, um mit ihm als Kanzler eine Regierung zu bilden?

Gregor Gysi: Bei einer Regierungsbildung geht es nicht um Personen, sondern um Inhalte. Bisher wollen SPD und Grüne lediglich einen Personalwechsel. Wir aber wollen einen Politikwechsel.

Als Sie zum Facharbeiter für Rinderzucht ausgebildet wurden, ging es noch darum, die landwirtschaftliche Produktion zu steigern und zu intensivieren. Welche Herausforderungen sehen Sie heute für die Landwirtschaft?

Gregor Gysi: Es gibt viele Herausforderungen für die Landwirtschaft. Auf jeden Fall muss umweltverträglich produziert werden. Außerdem brauchen wir mehr Genossenschaften, um das Arbeitsleben der Bäuerinnen und Bauern zu verbessern. Vor allem geht es um die Frage, wie die Menschheit insgesamt ernährt werden kann. Die gegenwärtige Landwirtschaft wäre in der Lage, die Menschheit mehrfach zu ernähren. Trotzdem ist der Hungertod der häufigste auf der Erde. Jährlich sterben etwa 70 Millionen Menschen auf der Erde, davon 18 Millionen an Hunger oder an den Folgen von Hunger.

Welche Philosophen und Denker beeinflussen Sie bei Ihrem alltäglichen politischen Handeln?

Gregor Gysi: Natürlich Marx, Engels, Kant, Hegel und viele mehr …

Und in der Praxis: Wie sieht für Sie das "Paradies auf Erden" aus, also eine ideale Organisation der Gesellschaft?

Gregor Gysi: Die Menschheit müsste nur noch Frieden kennen, kein Elend, keinen Hunger, keine Not. Alle Menschen müssten sich gegenseitig respektieren. Mit den übrigen Widersprüchen können wir leben.