CEPR: IWF bleibt unbelehrbar

Während die volkswirtschaftliche Abteilung des IWF sich mittlerweile zu einer realistischen Weltsicht durchringt, ignoriert der IWF weiter die eigenen Erkenntnisse

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Die Ökonomen Mark Weisbrot und Helene Jorgensen vom einflussreichen "Center for Economic and Policy Research" (CEPR) in Washington D.C. haben die Empfehlungen inhaltlich untersucht, die der IWF regelmäßig im Rahmen des "Artikel IV-Programms" an die EU-Mitgliedstaaten erteilt. Damit wollten sie der Frage nachgehen, inwiefern diese Empfehlungen zur aktuellen Misere Europas beitragen, die immerhin von einem Mitglied der über das Schicksal der europäischen Krisenstaaten entscheidenden "Troika" aus IWF, EU-Kommission und EZB kommen.

Darüber hinaus interessierte die Ökonomen, welchen Einfluss diese Empfehlungen auf die mittelfristigen Ziele der EU haben könnten, die etwa im "Europa 2020"-Programm festgeschrieben sind, das unter anderem die soziale Integration fördern will und steigende öffentliche Investitionen in Forschung und Entwicklung sowie die Förderung von Beschäftigung und Bildung vorsieht. Diese Ziele werden offenbar von den Aktionen des IWF konterkariert, wobei der IWF noch dazu auch seine Position als Gläubiger beschädigt, indem er massiv zum ökonomischen Leiden der Eurozone beiträgt.

Untersucht wurden dafür 67 IWF-Länderanalysen aus den Jahren 2008 bis 2011, wobei die Ökonomen zu einem vernichtenden Ergebnis kommen:

Die Inhaltsanalyse ergab ein konsistentes Muster an Empfehlungen für die Wirtschaftspolitik, die (1) auf Ausgabensenkungen und eine Verkleinerung des öffentlichen Sektors fokussiert und zwar in vielen Fällen unabhängig davon, ob dies angebracht oder erforderlich ist, oder ob dies einen wirtschaftlichen Abschwung verstärkt; und (2) Maßnahmen empfiehlt, die im Resultat die soziale Sicherheit für weite Teile der Bevölkerung reduzieren, den Anteil der Arbeit am Volkseinkommen verringern, sowie möglicherweise Armut und soziale und ökonomische Ungleichheit erhöhen.

Bei welchen Programmen die EU 27 sparen sollen. Bild: IWF

Der IWF folgt demnach einer "one size fitts all"-Politik, die undifferenziert stets dieselben Rezepte vorlegt, was in teilweise absurden Empfehlungen Ausdruck findet, die die Autoren genüsslich ausbreiten: So wurde jedem einzelnen der 27 EU-Staaten die fiskalische Konsolidierung empfohlen, wobei Ausgabensenkungen gegenüber Steuererhöhungen bevorzugt und stets eine Reduktion der Pensionen sowie Effizienzsteigerungen im Gesundheitssystem empfohlen wurden.

Dies geschieht immer und überall, wobei - beispielsweise völlig unabhängig von der jeweiligen realen Lebenserwartung - jedem Land eine Anhebung des Pensionsalters nahe gelegt wurde. So wurde Irland und Schweden, die zu den Ländern mit der höchsten Lebenserwartung zählen, keine Anhebung des Pensionsalters empfohlen, sehr wohl aber Ungarn und Litauen, wo die Lebenserwartung ausgesprochen niedrig ist. Ähnlich ist dies auch bei der Partizipationsrate (Anteil der Beschäftigten an der Bevölkerung) und der Empfehlung, diese zu steigern. So erhielten etwa Bulgarien und Malta, die europaweit die niedrigsten Partizipationsraten vorweisen, dahingehend keine besondere Empfehlung, sehr wohl aber Österreich, Dänemark, Deutschland und Holland, die innerhalb der EU bereits jetzt die höchsten Partizipationsraten vorweisen.

Vorliebe des IWF für die Steigerung des Arbeitsangebots

Darüber hinaus orten die Ökonomen eine Vorliebe des IWF für die Steigerung des Arbeitsangebots, was regelmäßig Maßnahmen wie die Erhöhung der Anforderungen für Behindertenunterstützung, die Senkung des Arbeitslosengeldes und die Anhebung des Pensionsalters umfasse. Zumeist wurden auch Pensionssenkungen empfohlen, wobei oft gleichzeitig geraten wurde, die so genannte "dritte Säule" der privaten Pensionsvorsorge zu stärken. Die Empfehlungen für den Arbeitsmarkt zielen dabei entweder auf direkte Lohnsenkungen oder darauf, durch steigendes Arbeitsangebot den Druck auf die Löhne zu erhöhen, wobei auch gerne die Verringerung der Verhandlungsmacht der Gewerkschaften bei Branchentarifverträgen und ein Aufweichen des Beschäftigtenschutzes empfohlen wird.

Die von den Autoren angeführten Empfehlungen des IWF, die ja möglichst rasch umgesetzt werden sollten, erscheinen dabei mitunter völlig abgehoben von der wirtschaftlichen Realität. So sollte Dänemark 2010, wo sich die Arbeitslosigkeit gerade innerhalb eines Jahres verdoppelt hatte, laut IWF auf Maßnahmen gegen einen kommenden Arbeitskräftemangel fokussieren.

In mehreren Konsultationen wurde zudem argumentiert, dass es nach der historischen Erfahrung in Krisenzeiten häufig möglich sei, ökonomische Reformen umzusetzen; und wie gegenüber Frankreich angemerkt wurde, werde "in der ersten Phase der Erholung eine Konsolidierung der Staatsfinanzen möglich". Die Schrumpfungseffekte der Konsolidierung wurden hingegen nur in wenigen Fällen angesprochen, etwa 2010 gegenüber Großbritannien, wo zwar eingestanden wurde, dass die Konsolidierung "schmerzhafte Entscheidungen und kurzfristig reduziertes Wachstum" erfordere, das sei jedoch "notwendig, um die Glaubwürdigkeit und fiskalische Nachhaltigkeit zu fördern".

Während der IWF seine Meinung aber nicht begründet, merken die Autoren an, dass auch die volkswirtschaftliche Abteilung des IWF schon länger eine gegenteilige Ansicht als die operative vertritt und argumentiert, dass eine Konsolidierung besser in Phasen mit "normalem" Wachstum erfolgen soll und anmahnt, bei den Konsolidierungsmaßnahmen sorgsam auf das richtige Timing zu achten. Vereinzelt habe diese Einsicht auch in die Länderberichte Eingang gefunden. So wurden die Niederlande zuletzt informiert, dass die historische Erfahrung zeige, dass "(…) die negativen Effekte der fiskalischen Konsolidierung vermutlich höher sind, wenn sie nicht, wie es jetzt der Fall ist, von monetären Lockerungsmaßnahmen gelindert werden können".

So würden die IWF-Volkswirte mittlerweile weiten Teilen der CEPR-Analyse zustimmen. Beispielsweise hat sich die Volkswirtschaftliche Abteilung des IWF bereits letzten Juni zur Erkenntnis durchgerungen, dass "in einem Umfeld mit schwacher Nachfrage die Gefahr besteht, das angebotsorientierte Maßnahmen und Restrukturierung den Output nicht steigern und einen Teil Europas nachhaltig stagnieren lassen:

Die Flexibilisierung der Arbeitsmärkte würde dann nicht zu mehr Beschäftigung sondern zu höherer Arbeitslosigkeit führen, da durch andauernde Arbeitslosigkeit Qualifikation und Arbeitsmotivation verloren gehen (…). Es ist folglich dringend geboten rasch das Wachstum zu erhöhen.

Ebenso wurden im jüngsten World Economic Outlook schwere Fehler eingestanden. Beispielesweise hatten sie bei ihren Wachstumsprognosen den Multiplikator der Staatsausgaben (wie viel reales BIP z. B. ein Euro an Staatsausgaben erzeugt) mit 0,5 angenommen, während es tatsächlich zwischen 0,9 und 1,7 geworden sind. Die Sparmaßnahmen hatten die Wirtschaftsleistung also doppelt bis dreimal so stark betroffen wie vom IWF erwartet, was IWF-Chefökonom Oliver Blanchard bereits zähneknirschend eingestanden hat.

Operativ habe der IWF dieses Vorgehen aber bis zuletzt beibehalten, obwohl dessen eigenes Evaluationsbüro (IEO) ihm längst schon in einem Bericht ein "fatales Versagen bei der Finanzkrise" attestiert (IMF Performance in the Run-up to the Financial and Economic Crisis") hatte:

Der IWF hat wider besseres Wissens keinerlei Warnungen herausgegeben und die Risiken der neuen Produkte für die Finanzmärkte heruntergespielt. Es herrscht eine institutionelle Kultur, die gegensätzliche Standpunkte entmutigt.

Im Bericht wird von "Silomentalität" und "Inselkultur" gesprochen und gefordert, den Mächtigen die Wahrheit zu sagen. Die Mächtigen im IWF sind dabei offenbar die großen Industriestaaten, die die höchsten Anteile halten und der Analyse zufolge in den Berichten des "Artikel IV-Programms" besonders sanft angefasst werden.

Allerdings hatte diese unter Ökonomen mittlerweile sehr weit verbreitete Meinung bislang keinerlei Auswirkung auf die Beratungstätigkeit des IWF, wie Weisbrot und Jorgensen fest stellen. Sie empfehlen dem IWF deshalb dringend, sich einer Untersuchung des eigenen Evaluierungsbüros zu unterwerfen und aus den absehbar negativen Ergebnissen die Konsequenzen zu ziehen.