Männer sind nicht vom Mars und Frauen von der Venus

Wenn man körperliche Eigenschaften wie Stärke heranzieht, dann fallen Männer und Frauen in unterschiedliche Gruppen, die sich kaum überschneiden. Für die meisten psychologischen Eigenschaften, inklusive Männlichkeit oder Weiblichkeit, ist die Variabilität in jedem Geschlecht groß, ebenso groß sind die Überschneidungen zwischen den Geschlechtern. Bild: University of Rochester

Nach einer Metastudie von US-Psychologen werden die Geschlechtsunterschiede gemeinhin übertrieben, psychologisch unterscheiden sich Männer und Frauen nicht kategorisch

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Populärpsychologen propagieren wie der Volksmund die Meinung, dass Männer und Frauen grundverschieden seien. Das wird auch gerne in die Metapher gekleidet, dass die Geschlechter von verschiedenen Planeten abstammen, weswegen sie nur wenig gemein haben und sich dementsprechend schlecht verstehen: Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus. Auch Neurowissenschaftler suchen nach den unterschiedlichen Eigenschaften der Geschlechter und sprechen von weiblichen und männlichen Gehirnen und ihrer verschiedenartigen Verdrahtung.

Britische Psychologen von der University of Rochester sind den vermeintlichen psychologischen Geschlechtsunterschieden und -gegensätzen einmal nachgegangen. Schließlich werde das Geschlecht vielfach als entscheidendes Merkmal eines Menschen gesehen. Bei einem Kind würden die Eltern, so der Psychologe Harry Reis, erst einmal wissen wollen, ob es ein Bub oder ein Mädchen sei. Auch später im Leben gelte das Geschlecht als das "überzeugendste Merkmal, um die Menschen nach Kategorien zu unterscheiden". Auch bei der Geburt gilt neben der Gesundheit der erste Blick dem Geschlecht.

Wenn Kinder nicht eindeutig einem Geschlecht zugeordnet werden können, werden sie auch in Zeiten der zerfallenden Geschlechtsidentitäten, die sich von Lesbian, Gay, Bisexual und Trans (LGBT) etwa zu LGBTQIA (zusätzlich queer, intersexual und asexual) vervielfältigt haben, gerne operativ einem Geschlecht zugeordnet. Nach der Theorie der Geschlechtsidentität soll das Geschlecht alle Aktivitäten und Erfahrungen von der Kindheit durchdringen.

Weiß man, dass eine Person ein Mann ist, dann ergibt sich nach der geläufigen Annahme daraus, dass er "relativ aggressiv, gut in Mathe, schlecht in sprachlichen Fertigkeiten, primär an kurzfristigen Geschlechtspartnern interessiert, weniger angenehm usw. mit derselben Genauigkeit ist, wie man aus dem Geschlecht biologische Eigenschaften, beispielsweise eine tiefere Stimme und ein großes Taille-Hüfte-Verhältnis, ableitet". Das Geschlecht wird zum "Goldstandard" der Vorhersage, sagen die Psychologen. Evolutionär liege die Bedeutung der Unterscheidung Mann/Frau zwar auf der Hand, aber sind Männer und Frauen tatsächlich kategorisch unterschiedlich?

Bislang hätte auch die wissenschaftliche Forschung in aller Regel versucht, die Unterschiede zu finden, aber bislang habe man noch nicht gefragt, ob es sich wirklich um substantielle und nicht nur um graduelle Unterschiede handelt. Selbst wenn Wissenschaftler nicht der Meinung sind, dass es kategorische Unterschiede zwischen den Verhaltensweisen gibt, ist die Verführung groß, so zu denken, weil das biologische Geschlecht einen kategorischen Unterschied darstelle, den man dann auch den psychologischen Eigenschaften überstülpt.

Für ihre Studie, die im Journal of Personality and Social Psychology erschienen ist, haben die Psychologen eine Metaanalyse von 13 Studien über Geschlechtsunterschiede bei 13.301 Männern und Frauen durchgeführt. Über 122 Eigenschaften, Neigungen und Verhaltensweisen - von Empathie über Sexualität, Intimität und Partnerwahl bis zur wissenschaftlichen Orientierung oder zum Unabhängigkeitsstreben, zur Offenheit und Extravertiertheit, emotionaler Stabilität und Gewissenhaftigkeit - ermittelten sie mögliche geschlechtsspezifische Unterschiede. Methodisch umgesetzt über eine Befragung von Männern und Frauen über das, was sie am liebsten tun. Statistische Unterschiede gibt es zwar schon, so das Ergebnis, aber man könne nicht taxometrisch von zwei verschiedenen Gruppen sprechen.

Es gebe zwar klare Unterschiede. So würden Männer eher Pornografie zuneigen und Boxkämpfen zuschauen, während Frauen Kosmetik wichtig finden und gerne Scrapbooking machen. Ansonsten werden die eindeutigen Stereotypen aber eher rar, obschon die Unterschiede im Durchschnitt kenntlich beliben, da sie anscheinend groß genug sind, um eine kategorische Unterscheidung zu erlauben. Die Geschlechtsidentität ist, was die psychologische Seite anbetrifft, also multidimensional und multifaktoriell, wie die Wissenschaftler sagen.

Die männlichen und weiblichen Eigenschaften überschneiden sich, so dass Männer und Frauen nicht auf verschiedenen Planeten leben, um in der Metapher zu bleiben, sondern beide auf der Erde. Die Geschlechterunterschiede würden gemeinhin übertrieben, "selbst bei den Variablen, in denen sich Männer und Frauen nicht gleichen".

Wenn man körperliche Eigenschaften wie Stärke heranzieht, dann fallen Männer und Frauen in unterschiedliche Gruppen, die sich kaum überschneiden. Für die meisten psychologischen Eigenschaften, inklusive Männlichkeit oder Weiblichkeit, ist die Variabilität in jedem Geschlecht groß, ebenso groß sind die Überschneidungen zwischen den Geschlechtern. Bild: University of Rochester

Daher könne man die meisten Persönlichkeitstypen, psychologischen Eigenschaften und Verhaltensweisen nicht als Mittel zur Unterscheidung von Mann und Frau verwenden. So könne ein Mann, der stark aggressiv ist, schlecht in Mathe sein. Neuere Studien könnten zeigen, so vermuten die Wissenschaftler, dass die Geschlechtsunterschiede in den westlichen Ländern weiter zusammenschrumpfen, während sie sich in Ländern wie Saudi-Arabien, die auf eine strikte Trennung der Geschlechter setzen, verstärken.

Die Psychologen haben auch für Paare noch einen Rat. Bei Konflikten könnten vermeintliche Geschlechtsunterschiede diese noch verstärken. Stereotypen würden verhindern, dass man den anderen als Individuum sieht. Und man könne sehen, dass die vermeintlichen kategorischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern in Beziehungen nicht stimmen, wenn man schwule und lesbische Paare betrachte, die ganz ähnliche Probleme wie heterosexuelle Paare haben.