"Eine europäische Katastrophe, die nicht zu beherrschen ist"

Das französische Institut für Strahlenschutz und nukleare Sicherheit schätzt in einer Studie die Folgen von Kernschmelzen in einer der Reaktoren in unserem Nachbarland ab

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Das französische Institut für Strahlenschutz und nukleare Sicherheit (IRSN) evaluiert im Auftrag der französischen Regierung mit der Atomkraft verbundene Risiken. Nun hat es in einer Studie (PDF, englisch) versucht, in "einem großen Bild" die Kosten für AKW-Unfälle mit Kernschmelze in Frankreich zu schätzen.

Dabei haben die Autoren Ludivie Pascucci-Cahen und Momal Patrick zwei Szenarien unterschieden, einen schweren Unfall (Stufe 6 auf der Internationalen Bewertungsskala für nukleare Ereignisse), der sich dadurch definiert, dass die in die Umwelt abgebene Radioaktivität "mehr oder weniger" kontrolliert werden kann und deshalb "nicht massiv" ist.

Und zum anderen einen katastrophalen Unfall, Stufe 7 der INES. Als Kennzeichen für diesen Unfall wird in der Studie angegeben, dass Radioaktivität massiv in die Umwelt abgegeben wird.

Eine nationale Katastrophe

Ein schwerer Unfall wäre zwar eine "nationale Katatrophe", aber zu handhaben, heißt es in der Studie. Zwar würden die geschätzten Kosten von 120 Milliarden diejenigen der bisherige Industrieunfälle in Frankreich bei weitem übersteigen (genannt werden hier die große Explosion in einer Düngemittelfabrik in Toulouse im Jahr 2001 und das Öltankerunglück vor der bretonischen Küste, die Erika-Ölpest Ende 1999, Anfang 2000. Deren Kosten werden mit c.a. 2 Milliarden angegeben). Und die Krisenmanager hatten alle Hände zu tun, um mit dem "Medienchaos" umzugehen und den Auswirkungen auf die Wirtschaft und das Wirtschaftswachstum. Aber dies wären auch ihre größten Probleme und nicht der unmittelbare Strahlenschaden.

Der Schaden am Atomkraftwerk wird bei einem "repräsentativen schweren Unfall" auf 5 Prozent der Gesamtkosten bzw. 6 Milliarden Euro geschätzt, die Strahlenschäden in der Umgebung mit 8 Prozent, bzw. 9 Milliarden Euro und die Schäden durch kontaminierte Böden mit 10 Prozent, bzw. 11 Milliarden Euro. Die größten Posten bei diesem Schätz-Szenario machen die Kosten für die Stromproduktion (37 Prozent, 44 Milliarden) und an erster Stelle der Imageschaden (40 Prozent, 47 Milliarden) aus. Bei diesem Punkt werden Auswirkungen auf den Tourismus angesprochen, Agrarexporte und namentlich auch der Weinexport.

Die Kosten würden in diesem weniger schwerwiegenden Fall bei 6 Prozent des Bruttoinlandprodukts liegen. Unterschiede im Standort - so gibt es z.B. das AKW von Nogent-sur-Seine (Aube), das nur 100 Kilometer von Paris entfernt ist, sind für die Studienautoren gegeben, aber kein wesentlicher Faktor.

Die nicht mehr handhabbare europäische Katastrophe

Bei einem Unfall der Stufe 7, wie in Tschernobyl und Fukushima, werden die Kosten auf 430 Milliarden geschätzt; auch mit Imagekosten an erster Stelle (166 Milliarden Euro; 39 Prozent). An zweiter Kostenstelle bei diesem Szenario liegen die kontaminierten Flächen (110 Milliarden; 26 Prozent), gefolgt von Kosten, die mit der Stromproduktion verbunden werden (90 Milliarden; 21 Prozent) und den Kosten, die mit der austretenden Radioaktivität direkt verknüpft werden (53 Milliarden; 13 Prozent).

Als Charakteristikum für den Super-Gau stellt die Studie heraus, dass er keine nationale, sondern ein europäische Dimension hätte, dessen Folgen nicht mehr oder unter größten Schwierigkeiten zu beherrschen sind. Zu rechnen wäre etwa mit 100.000 Flüchtlingen ("radiological refugees") und einer hohen Zahl von Krebskranken. Auch Nachbarländer wie Deutschland wären davon betroffen.

In total, "human" costs would represent about 40% of total costs but might weigh more heavily in decisions.

Die wirtschaftlichen Kosten würden mehr als 20 Prozent des BIP ausmachen oder "zehn Jahre Wirzschaftswachstum". Das wären Kosten, die mit denen eines regionalen Krieges vergleichbar sind. Das Land würde von einem solchen Schlag dauerhaft schwer getroffen werden, ließt man in der Studie, Westeuropa würde davon ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen. "Zwei Auswirkungen würden sich verbinden: das Land wäre von radioaktiver Strahlung beschädigt und würde darüberhinaus mit extrem schweren wirtschaftlichen Verlusten zu kämpfen haben. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde dies zu tiefen politischen und sozialen Veränderungen führen."

Und der Schluss, den der Autor der Regierungsstudie eines Landes mit 58 Atomkraftreaktoren zieht?

Man muss sich auf jeden Fall vergegenwärtigen, dass die Wahrscheinlichkeit solcher Unfälle in Wirklichkeit sehr gering ist

Patrick Momal