Die Quants bekommen Probleme

Ein Quantum Chaos bei JP Morgan - Teil 2

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Ein Bericht von JP Morgan Chase über die Milliardenverluste in Zusammenhang mit dem "London Whale" macht deutlich, dass die entwickelten quantitativen Methoden zur Gewinnsteigerung selbst von der "mächtigsten Bank der Welt" nicht beherrscht wurden. Der Bericht gibt einen guten Einblick in die Welt der Finanzspekulation. Im ersten Teil (Ein Quantum Chaos bei JP Morgan) wurde dargelegt, auf Grund welcher Strategie JPM auf die riskanten quantitativen Methoden setzte und wie diese Strategie umgesetzt wurde.

Bereits 2011 hatten sich erste Probleme abgezeichnet. Denn während das Londoner Risikomanagement gerade einen neuen und eher unerfahrenen Chef bekommen hatte, sah Chairman Jamie Dimon die Zukunft etwas weniger düster und hielt den bislang hohen Grad an Absicherung nicht mehr für erforderlich.

Das Portfolio sollte also in eine neutralere Risikoposition gebracht werden, was bei "klassischer" Betrachtungsweise eigentlich die Absicherungskosten hätte reduzieren müssen. Zudem veränderte Basel III die Berechnungsmethode der "Risikogewichteten Anlagen" ("Risk Weight Assets", "RWA"), die in die Berechnung der Eigenkapitalanforderungen einfließen, was für das synthetische Kreditportfolio künftig einen höheren Kapitalbedarf bedeutete und es daher reduziert werden sollte.

Folglich wurde im Zuge einer konzernweit geplanten Reduktion der risikogewichteten Anlagen für das CIO eine Verringerung um 20 bis 60 Milliarden Dollar diskutiert, wozu gegenläufige Positionen des synthetischen Kreditportfolios aufgelöst werden sollten. Dazu hatte Drew noch am 26. Dezember 2011 einen Trader angerufen und gefragt, wie eine noch weitere Reduktion des RWA erfolgen könne und was das kosten würde. Von einem weiteren Trader hatte sie dann die Einschätzung erhalten, dass ein proportionaler Abbau des synthetischen Portfolios um 35% die RWA zwar um zehn Milliarden Dollar senken würden, dies jedoch mehr als 500 Millionen Dollar an Handels- und Exekutionsspesen sowie entgangenen Prämien kosten werde.

In der Folge wurde beschlossen, vorerst nichts zu ändern, die RWA aber unter die bereits bestehenden Limits zu senken, die zuletzt deutlich überschritten worden waren. Als Anfang Januar 2012 rund 15 Millionen Dollar an Verlusten angefallen waren, rechtfertigte sich ein Trader gegenüber Chief Investment Officer Ina Drew, der Chefin des Londoner Büros, dass es "anscheinend etwas kostspielig" sei, die Positionen zu reduzieren, was die stets profitorientierte Drew anscheinend nicht ganz kalt ließ. Denn sie informierte nun den Trader, dass es dahingehend möglicherweise etwas mehr Flexibilität geben werde. Darüber hinaus setzte sie eine Besprechung an, in der der Plan das Portfolio zu reduzieren, im Sinne der Gewinnmaximierung optimiert werden sollte. Hier merkt der Bericht an, dass Drew den Tradern spätestens jetzt hätte klar machen sollen, dass deren Boni nicht allein von den Gewinnen abhingen, sondern diese Umstände berücksichtigt worden wären.

Jonglieren mit Milliarden

Allerdings hatte Drew kurz zuvor von JPM Finanzchef Douglas Braunstein erfahren, dass die RWA-Reduktion tatsächlich bis Jahresende 2012 umgesetzt werden müsse. Zusammen mit CIO-Finanzchef John Wilmot Dimon vereinbarte sie daraufhin mit Dimon, dass die RWA des Synthetic Credit Portfolio von 43 auf 20,5 Milliarden Dollar reduzieren werde. Erfolgen werde das weiul Positionen von 13 Milliarden auslaufen und darüber hinaus "aktive Reduktionen" über zehn Milliarden Dollar vorgenommen werden sollten. Eine Woche später zählte dies aber nicht mehr viel, da Drew und Wilmot bei einem Conference Call von den Quants erfuhren, dass bereits eine 25prozentige Reduktion eine halbe Milliarde Dollar kosten würde.

Um den 18. Januar trafen sich dann Drew, Wilmot und CIO-Risikovorstand Peter Weiland mit zwei führenden Mitgliedern des Synthetic-Credit-Portfolio-Teams, um die Reduktion zu diskutieren, woraufhin die Senior-Trader die Trader anwiesen, von nun an nicht mehr auf die Reduktion des RWA, sondern auf Gewinne zu fokussieren. Die Sorge über die Reduktion blieb unter den Tradern aber aufrecht und einer sandte ein Email an die Sitzungsteilnehmer, in der er vorschlug, die Firma zu überzeugen, besser das Berechnungsmodell für die RWA zu ändern und alle Reduktionen bis Jahresende aufzuschieben. Schließlich sei das bisherige Berechnungsmodell ohnehin veraltet und würde zu hohe RWA ausweisen.

Etwa zu der Zeit rutschte überraschend ein relevantes Unternehmen in die Pleite, wofür das Synthetic Credit Portfolio schlecht positioniert war und hohe Verluste erlitt. Das CIO-Management befürchtete nun, gegen derartige Fälle schlecht abgesichert zu sein und instruierte die Trader, derlei künftig zu vermeiden. Die Trader kauften daraufhin große Mengen an Schutz gegen den Ausfall schlecht bewerteter Unternehmen ("Short risk"), den sie aber mit dem Verkauf von Schutz für sehr gute Unternehmen refinanzierten. Das Portfolio blähte sich also weiter in beide Richtungen auf, wobei die Trader beispielsweise in einer bestimmten Tranche für 20 Milliarden Dollar Nominale AAA-Schutz verkauft hatten, während sie gleichzeitig in der selben Tranche Schutz für 12 Milliarden zukauften, der sich nur durch die Laufzeit unterschied.

Während die "mark to market"-Verluste täglich höher wurden, erhielt Drew keine detaillierten Berichte, fragte auch nicht nach und überwachte das synthetische Kreditportfolio nur anhand der Kennzahlen "CSW 10", die die Netto-Position des Portfolios ausdrückten, Gewinn/Verlust, Value at Risk (VaR) und Stress-VaR, wobei der Value at Risk aussagt, welchen Verlust das Portfolio in einer "normalen" zehn-Tages-Periode mit 99prozentigen Wahrscheinlichkeit nicht überschreiten werde und Stress-VaR dies für Stress-Szenarien bemisst.

Allerdings begannen die Trader inzwischen, an dem "CSW 10" zu zweifeln, bei dem alle Risiko-Spreads in den real gehaltenen Positionen fiktiv um 10 Prozent ausgeweitet werden, um eine umfassende Stresssituation zu simulieren, und waren sich nicht mehr sicher, ob das Gesamtportfolios gerade "long" oder "short" positioniert war. Denn mittlerweile entsprachen die realen Preisbewegungen immer weniger jenen, die die Modelle erwartet hätten, was sich Ende Januar 2012 auch bis zum CIO-Management durchsprach. In der Folge beauftragte Drew den Chef-Händler, seine anderen Aufgaben beiseite zu lassen und sich ausschließlich um das synthetische Portfolio zu kümmern, was aber wenig nützte.

So hielten die Verluste an, woraufhin ein Manager in einem Mail, das auch Drew erhielt, gegenüber einem Trader feststellte, dass sich das synthetische Portfolio nicht wie erwartet verhalte und eine "besorgniserregende" Performance zeige, da die Investment-Grade-Short-Positionen mehr gekostet hätten als erwartet, während die High-Yield-Long-Positionen weniger brachten. Mittlerweile tauschten Trader untereinander besorgte Emails aus, in denen gewarnt wurde, die Nominalen, die "scary" wären, weiter zu erhöhen, und dass es besser sei, einen Schnitt zu machen ("take full paine").

Um die Verluste auszugleichen wurden die Positionen dennoch weiter aufgebaut, ebenso aber auch die Verluste, so dass ein besorgte Trader ein Treffen forderte, um mit Drew und anderen Managern die Probleme des synthetischen Portfolios zu diskutieren, wofür er am 3. Februar auch Unterlagen übermittelte. Bei dem Meeting bezifferte er die möglichen weiteren Verluste mit 100 Millionen Dollar, was Drew nicht beunruhigt habe, die sich währende des Meetings mehr interessiert am Abbau des RWA als an den Problemen mit dem Portfolio zeigte.

Ende Februar hatten die Verluste des Portfolios 169 Millionen Dollar erreicht, wovon bei einem regulären "Business review"-Treffen am 29. Februar jedoch nicht die Rede war, bei dem Drew, Wilmot, Goldman sowie ein Manger des Synthetic Credit Portfolio mit Dimon und Braunstein zusammentrafen. Ebenso wenig wurde erwähnt, dass, anstatt wie von Drew versprochen Positionen abzubauen, die Eposure deutlich angestiegen waren. Noch bei einem Treffen am 20. März, bei dem Drew dem JPM-Top-Management die strukturellen Risiken und die Portfolio-Allokation des CIO erläuterten, wurden dem Bericht zufolge weder die Verluste erwähnt, noch die laufenden Überschreitungen der Risiko- und VaR-Limits oder die substantielle Erhöhung des RWA. Allerdings wurde Drew erst am folgenden Tag von ihren Tradern informierten, dass andere Marktteilnehmer ihre Positionen ausgespäht und sich dagegen positioniert hätten.

Wutanfälle

Die gleichzeitig von den Tradern vorgelegten Analysen basierten allerdings auf dem Datenstand vom 3.März, während ein am Vortag angefallener hoher Verlust auf Urgieren eines Senior-Traders durch Fehlbewertungen verschleiert worden war, damit er bei dem Treffen keine Probleme habe und den Verlust später unter vier Augen mit Drew besprechen könne. Als Drew am nächsten Tag von den tatsächlich aufgebauten Positionen und Verlusten erfuhr kam es dem Bericht zufolge zu ihrem ersten Wutanfall. Der nächste erfolgte am 23. März, nachdem ein Trader urgiert hatte, seine Positionen mit weiteren Käufen sichern zu wollen, woraufhin Drew explodiert sei und die Trader angewiesen habe, den Handel für das synthetische Kreditportfolio mit sofortiger Wirkung einzustellen. Am 30. März fragte der für das Portfolio verantwortliche CIO-Vorstand letztendlich bei JPM-Risiko-Vorstand Hogan um einen Experten aus der Investmentbank an, da er nicht mehr darauf vertrauen könne, dass sein Team die Risiken verstehe und die RWA-Ziele erreicht werden.

Am 30. März, dem besonders lebhaften letzten Handelstag im Quartal, eskalierten die Verluste neuerlich. Am Morgen hatte ein Trader sie gegenüber seinem Senior-Trader mit voraussichtlich 250 Millionen Dollar beziffert, woraufhin der sich diskreditiert gefühlt habe und ihn aufforderte, diese um jeden Preis zu reduzieren. Im Tagesverlauf fragte der erst seit Januar amtierende CIO-Risikovorstand Goldman auf Wunsch Drews bei einem Trader nach den Tagesverlusten und erfuhr, dass diese "signifikant" würden, weil die Positionen nun ja nicht mehr nicht verteidigt werden dürften. Er ersuchte jedoch, das noch nicht an Drew weiterzugeben, da sich die Verluste im Tagesverlauf noch reduzieren sollten, weshalb die Trader bis zum Börsenschluss der Wall Street um 22 Uhr im Büro blieben, um weiter fallende Kurse abzuwarten.

Dies erfolgte dank positiver Marktentwicklungen tatsächlich, mehr noch wurden die Verluste aber reduziert, weil ein Senior-Trader darauf bestand, bei den Bewertungen jeweils die möglichst günstigen Preise auszuwählen, was den Tagesverlust auf 138 Milliarden Dollar reduzierte.