Das "Affenmädchen" von Mexiko kehrt nach Hause

Fast 150 Jahre wurde das sogenannte "Affenmädchen" von Mexiko in Manegen und auf Ausstellungen in den USA und Europa zur Schau gestellt. Nun dürfen die sterblichen Überreste von Julia Pastrana endlich unter mexikanischer Erde ihre letzte Ruhe finden.

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Wenn die Mumie von Julia Pastrana heute auf dem historischen Friedhof von Sinaloa de Leyva ihr großes Ehrengeleit erhält, wird ganz Mexiko auf den kleinen Ort im Nordwesten des Landes blicken. Sogar der Gouverneur von Sinaloa, Mario López Valdez, und die norwegische Botschafterin höchstpersönlich werden den großen Beerdigungszug durch die Stadt anführen und bei der Trauerfeier von Ehre, Respekt und Würde zu den Trauergästen und den anwesenden Medien sprechen. Denn Julia Pastranas sterbliche Überreste wurden für Mexiko zu einer Frage der Ehre, an dem es zu veranschaulichen gilt, wie das lateinamerikanische Land über die Menschenwürde und öffentliche Stigmatisierung heutzutage denkt.

Bild: gemeinfrei

Die 1834 im Bundesstaat Sinaloa geborene Julia Pastrana war Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem Zuschauermagnet auf Jahrmarkt- und Theaterbühnen in Mexiko, Europa und den USA geworden. Aber nicht aufgrund ihrer umwerfenden Schönheit, sondern wegen ihres erschreckenden Äußerlichen, für dessen Sichtung die Zuschauer horrende Summen an ihren skrupellosen Manager Theodore Lent zahlten.

Das auf europäischen Bühnen als "Affenmädchen" oder "hässlichste Frau der Welt" angekündigte Showtalent litt an Hypertrichose, einer seltenen Erbkrankheit. Mit riesigen Ohren, stark vorgewölbtem Kiefer und dicken schwarzen Harren, die Pastranas Körper und ihr Gesicht bedeckten, wurde die 1,37 Meter große Frau als Wesen zwischen Mensch und Tier bezeichnet. Für viele der sensationslustigen Zuschauer war es relativ belanglos, dass die indigene Frau eine liebliche Stimme besaß, drei Sprachen fließend beherrschte und ihren kleinwüchsigen Körper zu den musikalischen Klängen der Zeit perfekt im Rhythmus bewegen konnte.

Die Schweizer Autorin Margrit Schriber, die in ihrem Roman "Die hässlichste Frau der Welt" das Schicksal der Indigenen aufgreift, sieht in ihr genau das Schicksal einer Frau, die für alle nichts anderes war als nur ein Objekt. Zu vergleichen sei dies mit einer goldenen Gans, so die Schriftstellerin, die damals als Rarität und Spitzenobjekt auf den Theaterbühnen der Welt gehandelt wurde.

Berichten zufolge wuchs das indigene Mädchen abgeschieden in einer Höhle nahe der heutigen Stadt Sinaloa de Leyva im Nordwesten Mexikos auf. Nach dem Tod ihrer Mutter kam sie zu einem Onkel, der sie wenig später zu Showzwecken an einen Zirkus verkaufte. Auf einer ihrer Zirkustouren durch die Vereinigten Staaten lernte sie den Händler Theodore Lent kennen, der sie 1854 heiratete und die junge Frau gnadenlos ausbeutete.

Die Hochzeit mit Julia Pastrana erfolgte für den Kaufmann aus klaren finanziellen Beweggründen. Als Ehemann der Showdarstellerin konnte er über sie als sein "Besitz" uneingeschränkt verfügen. Er scheute keine Gelegenheit, seine Ehefrau gegen Entgelt vorzuführen oder sie medizinischen Untersuchungen zur Verfügung zu stellen. 1857 präsentierte er sie in London dem britischen Naturforscher Charles Darwin, der sie zwar als eine "bemerkenswert gebildete Frau" bezeichnete, in ihr wiederum aber auch den verlorenen Link seiner Evolutionstheorie zu sehen glaubte.

Auf ihrer Tournee durch Europa gebar die 24-Jährige im Frühjahr 1860 einen ebenfalls an Hypertrichose erkrankten Sohn, der jedoch kurze Zeit nach der Geburt starb. Pastrana überlebte ihr Neugeborenes nur um weitere fünf Tage. Sie verstarb am 25. März 1860. Doch ihren Frieden vor den sensationslustigen Zuschauern sollte sie auch dann noch nicht erhalten. Theodore Lent verkaufte die Leichen an die Moskauer Universität, wo sie einbalsamiert, in Kostüme gesteckt und als Mumien ausgestellt wurden. Als der Witwer seinen finanziellen Fehltritt bemerkte, kaufte er die beiden Mumien zurück und setzte die makabren Vorführungen nun mit den sterblichen Überresten von Pestrana und ihrem Kind bis an sein Lebensende fort.

Im Jahr 1921 landeten die Leichen in die Hände des Norwegers Haakon Lund, Besitzer des damals größten Vergnügungsparks Norwegens. Dieser scheute ebenfalls nicht davor, die Verstorbenen für Jahrzehnte in seinem Horrorkabinett einzubauen. Während des Zweiten Weltkriegs beschlagnahmte die deutsche Besatzung zwar zuerst die mumifizierten Leichen, nach Kriegsende aber wurde sie wieder zur Schau gestellt. 1970 griff schließlich die norwegische Regierung ein und beschlagnahmte die Körper. Doch auch in Staatsgewalt waren die begehrten Stücke nicht sicher. Diese landeten 1979 in den Händen eines Diebes, Kinder fanden die Leichen jedoch wenig später auf einer Müllkippe. Die noch gut erhaltene Mumie von Julia Pestrana, wurde in das Institut für Rechtsmedizin nach Oslo überführt und letztendlich für Forschungs- und Ausbildungszwecke verwendet.

Immer wieder erwog die norwegische Regierung, die sterblichen Überreste zu bestatten. Viel weniger kam sie jedoch auf die Idee, dass der ehemalige Bühnenstar für Mexiko einen historischen Wert besitzen könnte. Es war letztendlich die Künstlerin Laura Anderson Barbata, die beide Regierungen auf eine würdevolle Bestattung des Leichnams aufmerksam machte. "Ich möchte verstehen, warum Julia in eine Art Schwebezustand gehalten und nicht begraben wird", begründete sie ihr Engagement.

Zusammen mit dem Historiker Ricardo Mimiaga und dem mexikanischen Außenministerium kämpfte sie über zehn Jahre für eine Rückführung in die Heimat Mexiko. Mit Erfolg. Im Juni 2012 wurde dem Antrag stattgegeben. Auf der offiziellen Abschiedszeremonie in Oslo letzte Woche, betonte die mexikanische Botschafterin Martha Bárcenas, die anstehende Rückführung und angemessene Beerdigung in Mexiko sei ein Versuch, Julia Pastrana ihre menschliche Würde zurückzugeben. Für María Luisa Miranda, Direktorin des Kulturinstituts von Sinaloa, ist die groß angelegte Trauerfeier in Sinaloa de Leyva auch eine Form der Wiedergutmachung für all die Ungerechtigkeit, die der Frau damals wiederfahren ist.

Wenn man die aufwendigen Vorbereitungen für die Feierlichkeiten beachtet, möchte man den Worten der Regierungsvertreter Glauben schenken. Pastrana erhält keineswegs ein gewöhnliches Begräbnis. Ihr werden ein offizieller Trauerzug durch die Stadt, eine offizielle Zeremonie auf dem Gemeindeplatz sowie eine heilige Messe gewidmet, alles unter Begleitung der mexikanischen Medien. Mitfühlende werden dazu aufgerufen, sich der Kampagne "Eine Blume für Julia Pastrana" anzuschließen. Sie können über einen Floristen im Internet Blumen für die Verstorbene kaufen, die den herablassenden Sarg in bunten Farben übersähen sollen.

Eine Bedingung jedoch stellte die norwegische Regierung noch vor der letzten Reise Pastranas in ihre Heimat. Der Sarg dürfe in Mexiko unter keinen Umständen geöffnet werden. Fotos von ihrer Gestalt seien ebenso untersagt. Nun sorgt ein großes Sicherheitsaufgebot seit Eintreffen des Sarges in Mexiko dafür, dass nicht noch einmal eine Menschenseele die Indigene für makabre Unterhaltungszwecke missbraucht.