"Viele Dollars im Land"

Erstaunlicherweise funktioniert die syrische Wirtschaft noch, stellt eine britische Finanzzeitung fest

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Über die Situation in Syrien verlässliche Aussagen zu treffen, ist kaum möglich. Das zeigt sich auch bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Lage. Wurde sie in vielen Berichten, beispielsweise hier, vor einem Jahr, noch so beschrieben, dass der Kollaps kurz bevorstünde, so verabschiedet sich die englische Financial Times in einer aktuellen Bestandsaufnahme von der Annahme eines bevorstehenden wirtschaftlichen Zusammenbruchs und hebt stattdessen die Überlebenstauglichkeit der syrischen Regierung hervor.

Die Wirtschaft läuft auf minimalen Level im Überlebensmodus, vergleichbar mit derjenigen Libanons zu Zeiten des Bürgerkriegs, vor allem darauf ausgerichtet ist, 20 Millionen Einwohner mit dem Nötigsten zu versorgen, konstatiert Jihad Yazigi vom Wirtschaftsmagazin Syria Report.

Er spricht von Not, Rekordpreisen für Brot, in manchen, von Gewalt heimgesuchten Gebieten sei der Preis um 500 Prozent gestiegen, von teurem Treibstoff, häufigen und zum Teil lang andauernden Stromausfällen, von Hunger und Verarmung, davon dass weite Teile der ländlichen Bevölkerung von der staatlichen Versorgung abgeschnitten sind und auf eine autonome Art überleben - und einer Inflationsrate, die offiziell bei 50 Prozent liegt, in Wirklichkeit aber höher liegen dürfte. Sein Lagebefund stammt von Ende Januar.

"Man kann den Druck, der auf der Regierung lastet, erkennen, aber er führt nicht zum Kollaps. Es gibt genügend Austausch in Teilen der Wirtschaft, so dass sie weiter funktioniert." Die Aussage des Finanzexperten des britischen Think Tanks Chatham House - aus dem, um groben "Lager"-Missverständnissen zuvorzukommen, durchaus kritische und lesenswerte Analysen von fatalen Einmischungen in Länder des Mittleren Ostens kommen - liefert die Lesart, mit welcher die FT die Situation beschreibt.

Kriegswirtschaft

Laut FT fällt die Währung und zwar stark, aber "nicht im Sturzflug". Grund dafür sei die Unterstützung aus Moskau und Teheran und die vielen Dollars, die im Land unterwegs sind - letzteres wird auch von einer Reportage aus dem Milieu der Rebellen bestätigt, anscheinend ist dort problemlos, Geld in höheren Beträgen lockerzumachen: "Money was never an issue: how much do you want Fifty million dollars, a hundred million dollars - not a problem."

Geht es nach Informationen der britischen Zeitung, so profitiert auch der syrische Staat davon, es würden immer wieder große Summen konfisziert, heißt es da. Von Sympathisanten und Financiers der Rebellen: "Wer immer beschuldigt wird, Terrrorismus zu finanzieren, dessen Vermögen und Geld wird beschlagnahmt" - mit entsprechenden Orders an die Bank, zitiert das Finanzblatt einen oppositionellen Geschäftsmann.

Dazu profitiere der syrische Staat noch von einer anderen unerwarteten "Finanzhilfe" durch die Rebellen, wird dem als Pointe nachgereicht. Einer "verqueren Logik" der Kriegswirtschaft folgend nütze es der Regierung, dass sie Territorien an die Rebellen verloren habe, damit sei sie nämlich auch finanzielle Verpflichtungen los.

Auch dass in Krisenzeiten mehr telefoniert werde, nütze dem Regierungshaushalt. Die beiden großen Unternehmen, Syriatel, desesn Chef Rami Makhlouf, ein Cousin des Staatspräsidenten ist, und das südafrikanische MTN haben im letzten Jahr deutlich höhere Umsätze gemacht. Die müssen sie laut Regularien des Telekommunikationsgesetzes zur Hälfte an den Staat abgeben.

Hilfe von Russland, Iran, Libanon, Irak und Venezuela

Zu den genannten, im Vergleich zu den im vergangenen Jahr verbreiteten Kollaps-Szenarien überraschenden Krisengewinnen, die aber alleine nicht die staatliche Wirtschaft über Wasser halten könnten, kommt die Unterstützung aus befreundeten Ländern. Die FT nennt vor allem Russland, das Syrien schon seit den Zeiten der Sowjetunion unterstützt, und Iran. Jihad Yazigi fügt dem noch den Libanon an, Irak und Venezuela. Dabei geht es nicht nur um notwendige Öllieferungen.

Laut Informationen der britischen Finanzzeitung helfe Russland Syrien dabei, Sanktionen zu umgehen. Über Russland könne sich die Regierung einen Zugang zum internationalen Finanzmarkt halten und damit auch Ölexporte in kleineren Mengen zu Geld machen. Bestätigt sei das nicht. Aber das Beispiel Griechenland, das sich einem EU-Embargo gegen syrisches Posphat verweigert hatte, dient dem Blatt als Beweis dafür, dass die Sanktionen nicht so "wasserdicht" sind, wie das oft dargestellt werde oder wie sich das Regierungen im Westen wünschen würden.

Sehr geholfen hat der syrischen Regierung ein Kredit in Höhe von einer Milliarde Dollar, den ihm die iranische Regierung im vergangenen Jahr gewährt hat, darin sind sich Yazigi und die FT einig. Yzigi, der Syria Report (mit einer nicht gerade billigen Pay-Wall) betreibt, betont allerdings demgegenüber die Schweirigkeiten, von denen die syrische Wirtschaft ernsthaft bedroht wird.

Zwar habe die Regierung sehr schnell nach Ausbruch der Krise sämtliche Investitionen eingestellt, was ihr Reserven ermöglichte, aber trotzdem es via Libanon möglich sei an Bargeld und auch Devisen zu kommen, habe die Wirtschaft durch die Auseinandersetzungen im Land so sehr gelitten, auch durch den Ausfall des Tourismus, dass die Reserven ziemlich angegriffen sein dürften. Darüberhinaus sind viele Geschäftsleute aus dem Land geflohen.

Die Wirtschaft ist in einem sehr schlechten Zustand. Es braucht zwanzig Jahre, um auf das Niveau vor dem Krieg zurückzukommen. (…) Die Syrer versuchen ihre Bedürfnisse auf das Minimum zu reduzieren, sie leben von ihren Ersparnissen und von Verwandten im Ausland. Die Gesellschaft ist in dieser Hinsicht gut organisiert, aber sie ist erschöpft und auf sich allein gestellt. Wie lange wird sie das durchhalten?

Kriegsgewinnler

Laut Al Jazeera hat Syrien in den letzten 22 Monaten 48,4 Milliarden Dollar verloren.

In der Reportage des irakischen Journalisten Ghaith Abdul-Ahad betitelt, "Wie man eine Kampfeinheit in Syrien gründet (in fünf leichten Lektionen)", die in der London Review of Books erschienen ist, beschwert sich am Ende ein Geschäftsmann, der sich auf die Seite der Gegner Assads geschlagen hat:

"Warum tun uns die Amerikaner das an? Sie sagten uns, sie würden uns Waffen schicken, wenn wir uns vereinigt hätte. Also haben wir uns in Doha zusammengeschlossen. Und wie lautet ihre Ausrede jetzt? Sie behaupten, es ist wegen der Dschihadisten, aber es sind die Dschihadisten, die mehr und mehr Boden gewinnen. (..) Alles Geld geht zu den Dschihadisten. Sie haben gerade ein Militärcamp von einer Kampfeinheit abgekauft, die gegen die Regierung gekämpft hat. Sie gingen einfach zu denen und haben ihnen weißgott wieviel Millionen gegeben und das Camp gekauft. Vielleicht sollen wir alle Dschihadisten werden. Vielleicht bekommen wir dann Geld und Unterstützung.

Die arbeitslosen Jugendlichen aus den ländlichen Gebieten sind vom wirtschaftlichen Desaster besonders betroffen, sie bilden eine freiwillige Rekrutierungsmasse für die Gruppen, die mit dem Geld aus den Golfstaaten winken.