Ist Zypern systemrelevant?

Nun wird Druck gemacht, um im März auch an den kleinen Inselstaat Nothilfe-Milliarden überweisen zu können

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Dass Zypern mindestens 17,5 Milliarden Euro braucht, um vor der Pleite gerettet zu werden, ist nicht neu. Dem Land ist es während seiner Ratspräsidentschaft bis zum Jahresende nicht gelungen, Fortschritte in der Frage zu erreichen. Beim Treffen der Euro-Finanzminister in Brüssel wurde am Montag deutlich, dass vor den Wahlen keine Entscheidung mehr fällt. Allerdings deutet sich an, dass auch an den kleinen Inselstaat ab März viel Geld fließen dürfte, weil er nun systemrelevant sein soll.

Das deutsche Mitglied in der Direktion der Europäischen Zentralbank (EZB) hatte vor dem Treffen der Euro-Finanzminister am Montag eine Lösung für Zypern angemahnt. Jörg Asmussen sorgt sich offensichtlich darüber, dass Berlin vor den Bundestagswahlen am 22. September alle Entscheidungen über die umstrittene Zypern-Hilfe hinausschieben könnte. Aus der Griechenland-Nothilfe ist bekannt, dass die Bundeskanzlerin gerne unpopuläre Entscheidungen hinter wichtige Wahltermine verschieben will (Die hektische Eile nach der langen Weile). Mit Zypern wird schon eine längere Zeit verhandelt und seit Monaten wird das Land vertröstet.

Asmussen erklärte deshalb am Montag: "Damit kein Zweifel aufkommt: Wenn Zypern keine externe Hilfe erhält, rutscht es in die Zahlungsunfähigkeit." Mit Blick darauf, dass Druck von Spanien und Italien mit der EZB-Entscheidung genommen worden war, zur Not unbegrenzt Staatanleihen zu kaufen, warnte er vor einer neuen Eurokrise. Wenn ein systemrelevantes Land fallengelassen werde, "riskieren wir den Fortschritt, den wir im vergangenen Jahr bei der Bewältigung der Euro-Krise erreicht haben". Im März müsste das Rettungsprogramm deshalb stehen, meinte er. Im Februar finden Präsidentschaftswahlen statt, die Stichwahl könnte am 24. die Entscheidung bringen.

Systemrelavnz mit 0,25% der Bevölkerung und 0,2% des BIP?

Darauf läuft offenbar alles hinaus. Nach dem Treffen der Finanzminister hat der neue Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem eine Entscheidung im März in Aussicht gestellt. "Ich denke, dass wir alle übereinstimmen, dass eine Lösung für Zypern gefunden werden muss." Der Niederländer fügte am Montag an: "Ich bin sicher, dass die deutsche Regierung damit einverstanden ist." Damit sprach er fast direkt Wolfgang Schäuble (CDU) an. Der Bundesfinanzminister hatte zuvor öffentlich in Frage gestellt, ob Zypern systemrelevant für die Eurozone sei. Und das muss real bezweifelt werden. Schließlich stellt der kleine Inselstaat nur 0,25% der Bevölkerung und trägt sogar nur etwa 0,2% zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei. Die Systemrelevanz ist aber eigentlich die Bedingung, um Hilfen aus dem dauerhaften Rettungsfonds ESM zu erhalten.

Wundern müsste man sich nicht, wenn wieder einmal ESM-Regeln aufgeweicht oder über Bord geworfen werden. Dass einst aufgestellte Bedingungen gern missachtet werden, dafür ist Spanien ein gutes Beispiel, wo immer wieder neue Extrawürste gebacken werden. Eine davon ist, dass der ESM nun Banken auch direkt ohne Staatshaftung finanzieren soll. Darauf ist auch Zypern aus. Denn mit mindestens 10 Milliarden Euro braucht das Land den Großteil der Finanzhilfe ebenfalls für seine Banken. Die Staatsverschuldung würde von derzeit etwa 84% aber auf griechische Werte von weit über 150% explodieren, wenn die Rettungsmilliarden als zusätzlich Staatsschulden gewertet werden.

Die direkte Refinanzierung von Banken über den ESM soll es aber erst geben, wenn die gemeinsame europäische Bankenaufsicht steht. Trotz allem hat Zypern die spanische Lösung in die Diskussion geworfen. Spanien hat von den zugesicherten 100 Milliarden Euro bisher nur gut 40 Milliarden erhalten und setzt weiter darauf, dass ein Teil des Geldes außerhalb der Staatshaftung direkt an die Banken fließt. Eine solche Lösung schwebt offensichtlich auch den Verantwortlichen in Nikosia vor.

Ein Rettungsprogramm wie es für Griechenland, Portugal und Irland unter Beteiligung des Internationalen Währungsfonds (IWF) aufgelegt wurde, ist eigentlich nicht möglich. Es gibt ein großes Problem. Die schon bisher genannte Rettungssumme reicht nahe an die gesamte Wirtschaftsleistung des Landes heran. Das schürt erhebliche Zweifel an der Schuldentragfähigkeit. Das Verhältnis wäre noch schlechter als im Fall von schon zwei Griechenland-Paketen. Portugal hat dagegen eine Nothilfe von 78 Milliarden Euro erhalten, während das BIP bei 167 Milliarden liegt, in Irland sieht es ähnlich aus.

Eine neue Variante, die am Montag ebenfalls auf den Tisch kam, will Anteilseigner und Großsparer an der Sanierung beteiligen. Das gelte für die, deren Einlagen über den gesetzlich garantierten 100.000 Euro lägen, hatte die Financial Times berichtet. "Wir schauen uns alle Instrumente und Elemente an, die wir nutzen könnten", hatte Dijsselbloem diese Darstellung nicht dementiert. Auch EU-Währungskommissar Olli Rehn wich entsprechenden Nachfragen von Journalisten aus. Er meinte, es müsse eine faire Lastenteilung zwischen den Steuerzahlern, den Euro-Partnern und dem privaten Sektor gefunden werden. Nicht einmal der zyprische Finanzminister Vassos Shiarly dementierte definitiv und sprach lediglich von einem "sehr unwahrscheinlichen Szenario".

Zypern setzt auf "europäische Solidarität"

Klar ist, dass von etwa 70 Milliarden Euro, die Zypern angelegt sind, etwa 21 Milliarden von Ausländern stammen. Russen haben viel Geld auf zyprischen Banken liegen und der Dmitri Rybolowlew ist sogar mit zehn Prozent an der Bank of Cyprus beteiligt. Die Bereitschaft, russische Magnaten mit europäischen Steuergeldern zu retten, ist nicht nur in Berlin begrenzt. Zudem wird Zypern immer wieder beschuldigt, dass es gegen Schwarzgeld und Geldwäsche nicht entschlossen vorgehe. Deshalb wurde in Brüssel nun entschieden, dass die Vorgänge in Nikosia vor Ort von einer großen internationalen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft untersucht werden sollen. Die Einzelheiten für die Prüfung sollen noch im Laufe der Woche abgestimmt werden.

Doch Zypern weist die Anschuldigungen vehement zurück. Finanzminister Shiarly verwies auf bisherige Prüfungen des Anti-Geldwäsche-Komitee des Europarats: "Wir schneiden bei diesen Überprüfungen jedes Mal sehr gut ab." Allerdings ist der Europarat keine EU-Organisation und ihr Vorsitzender ist derzeit der Russe Wladimir Netschajew. Shiarly meint, die Vorwürfe seien "gelinde gesagt unfair". Man habe auch die IWF-Empfehlungen vom vergangenen Oktober zügig umgesetzt, "um jeden Zweifel auszuräumen". Er verwies darauf, dass die Geldinstitute im Land durch den Schuldenschnitt in Griechenland Verluste in Höhe von 4,5 Milliarden Euro zu verkraften gehabt hätten. Für Zypern sei er eine "Katastrophe" gewesen. Er habe das Land "ein Viertel unseres Bruttoinlandsprodukts gekostet und unsere Wirtschaft zerstört". Da man solidarisch zugestimmt habe, hofft Zypern nun im Gegenzug auf die europäische Solidarität, "was bis jetzt aber nicht der Fall war."

Schäuble sieht angesichts der unpopulären Frage und anstehender Wahlen nicht, dass Eile geboten sein könnte. Er spielt auf Zeit und fordert, bevor etwas geschehen könne, müsse einwandfrei dokumentiert sein, dass die Geldwäschestandards verlässlich angewandt werden. "Ansonsten haben wir noch keinen Entscheidungsbedarf", sagte der Finanzminister. Einer Festlegung von Asmussen oder Dijsselbloem erteilte er eine Absage: "Das wird sich vielleicht im März zeigen, wir werden dann sehen." Doch man muss kein Wahrsager sein, dass sich seine Position erneut schnell ändern wird, wenn aus Zypern ein zusätzlicher Unruheherd und die Eurokrise wieder virulent wird. Die instabile Lage in Italien vor den Wahlen oder der Korruptionsskandal in der spanischen Regierungsspitze haben wieder zu Nervosität und steigenden Zinsen geführt.