Von wegen: Das ist nur Unterhaltung

Wie die MINTiFF-Initiative versucht, Mädchen für technische Berufe zu begeistern

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Deutschland hat ein Nachwuchsproblem, und zwar nicht nur allgemein aufgrund der sinkenden Geburtenrate, sondern ganz speziell in den so genannten MINT-Berufen (MINT: Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik). Schon jetzt ist von einem Fachkräftemangel die Rede. Da rückt eine Gruppe in den Fokus: die smarten Mädchen, die in den Schulen die besseren Noten abräumen, reihenweise Abitur machen, dann auch noch an den Hochschulen, insbesondere in den Bachelor-Studiengängen, Bestnoten produzieren - leider bevorzugt in geisteswissenschaftlichen Fächern.

Initiativen wie MINTiFF sollen Abhilfe schaffen. Dabei steht MINTiFF für Mathematik, Informatik, Natur- und Technikwissenschaften und Chancengleichheit im Fiction-Format. Das klingt ein bisschen nach Planwirtschaft und Brigadeleiterin, wobei die ehemalige DDR durchaus als Vorbild dienen kann, was den Anteil von Frauen in technischen Berufen angeht. Aber kann das gehen? Reicht es, erfolgreiche, attraktive Frauen in MINT-Berufen zu zeigen, und schon träumen junge Mädchen nicht mehr vom eigenen Nagelstudio, sondern von einer Karriere bei der Spurensicherung? Der Plan klingt simpel, zu simpel. Und doch scheint er aufzugehen. Denn Untersuchungen zeigen: seit es mehr Frauen in MINT-Berufen auf Leinwand und Bildschirm geschafft haben und damit positive Rollenvorbilder liefern, hat sich auch im echten Leben der Anteil von Frauen in diesen Berufen erhöht. Die Leinwandvorbilder wirken demnach unmittelbar auf die Berufswahl. Ein sensationeller Erfolg. Angesichts der uralt-Diskussion darüber, ob und wie sich Gewaltdarstellungen in Filmen und Games auf den Zuschauer/User auswirken, zugleich ein einigermaßen beunruhigender Befund.

Bilder: Katja Schmid

Vom MINT-Anteil im deutschen Unterhaltungsfernsehen

Seit zwei Jahren untersucht eine Forschergruppe der TU Berlin unter der Leitung von Marion Esch das Programm deutschsprachiger Fernsehsender daraufhin, welchen MINT-Anteil die ausgestrahlten Sendungen haben. Es geht, wohlgemerkt, um Unterhaltungssendungen. Also nicht um Wissenschaftsmagazine jeglicher Couleur, Dokusoaps und auch nicht um Scripted Reality, sondern um Serien, Soaps, Telenovelas, Comics, Movies, Thriller, Dramas, Teenie- und Kinderfilme. Untersucht wurde das Programm der fünf größten Sender (ARD, ZDF, RTL, Sat.1 und Pro7) im Zeitraum von 14 Tagen im September/Oktober 2009/11. Ausgerechnet der Privatsender Pro7 (Motto: We love to entertain you) liegt ganz vorn beim Anteil von MINT-Programmen. Was an den zahlreichen, aus den USA importierten Movies und Serien liegt.

Nun könnten zumindest die öffentlich-rechtlichen Sender den MINT-Anteil in Fiktionformaten drastisch erhöhen, immerhin leisten sie sich, im Gegensatz zu Pro7 etwa, eine ganze Reihe von Eigenproduktionen. Doch es scheint sowohl an geeigneten Drehbüchern als auch an mutigen Entscheidern zu mangeln. In deutschen Medienbetrieben von der Zeitungsredaktion bis zum TV-Sender gilt nach wie vor die Adenauer-Devise "Keine Experimente!". Und so findet man im deutschen Fernsehen zwar einzelne, sehr gute Produktionen, insgesamt jedoch eine reichlich eintönige Fernsehlandschaft, in der man viele Dejá-vu-Erlebnisse haben kann. Da ragt dann ein Film wie "Frau Böhm sagt Nein" (2009) heraus. Und zwar nicht nur, weil hier zeitnah zur realen Mannesmann-Übernahme durch Vodafone ein Übernahmekrimi die Schamlosigkeit von Vorständen in Frage stellt, die sich selbst mehr als fürstlich entlohnen, während sie massenhaft Angestellte entlassen, sondern auch, weil die Handlung von zwei Frauen getragen wird. Dazu die Regisseurin Connie Walther im Rückblick: "Was ist daran, bitteschön mutig?!" Denn eigentlich sollte es selbstverständlich sein, dass solche Themen aufgegriffen und spannend umgesetzt werden.

Dekor allein reicht nicht

Was also läuft im angelsächsischen Raum anders als bei uns? Erstens gibt es eine höhere Wertschätzung und damit auch bessere Honorare für Autoren, was den Beruf des Drehbuchautors insgesamt attraktiver macht. Zweitens finden sich unter den Autoren auch zahlreiche Absolventen naturwissenschaftlicher Fächer, was der Themenvielfalt naturgemäß zugute kommt, oder anders ausgedrückt: es gibt schlichtweg weniger Berührungsängste. Drittens ist hierzulande die Auffassung verbreitet, Wissenschaftler wären langweilige Typen, während angelsächsische Autoren und Produzenten erkannt haben, dass es insbesondere im Bereich Technik, Wissenschaft und Wirtschaft spannende, erzählenswerte Geschichten gibt. Dabei reicht es nicht, eine althergebrachte Herz-Schmerz-Geschichte mit etwas technischem Dekor zu verbrämen. Vielmehr sollten die Autoren schon bei der Stoffentwicklung mit Wissenschaftlern zusammenarbeiten, denn nur so können sie das ganze Potential ausschöpfen.

Tatsächlich vermittelt die MINTiFF-Inititiative ganz konkrete Kontakte, hilft bei der Suche nach Drehorten und vergibt sogar Stipendien für die Stoffentwicklung. Herausgekommen ist dabei unter anderem die Tatort-Folge Auskreuzung (2011), in der es um Gentechnik, Konkurrenz und Leistungsdruck in der Forschung und nicht zuletzt um den Widerstand der Bevölkerung gegen genmanipulierte Nahrungsmittel ging.

Kirchenmänner vs. ForensikerInnen

Apropos TV-Krimi: der Anteil von Mord und Totschlag am deutschen Unterhaltungsprogramm ist rekordverdächtig. Doch während im Zuge von CSI&Co. die ForensikerInnen international auf dem Vormarsch sind und dem Krimigenre einen neuen Twist gegeben haben, ermitteln in deutschen öffentlich-rechtlichen Produktionen verdächtig oft Kirchenmänner. Für Modernität spricht das nicht. Vielmehr hängt das Phänomen wohl eher mit der Zusammensetzung der Rundfunkräte zusammen, an der ja auch die Kirchen zu beteiligen sind. Will man also den MINT-Anteil erhöhen, sollte man eher auf schrullige, aber geniale Diagnostiker à la Dr. House setzen, aber so eine ambivalente Hauptfigur ist für eine deutsche Produktion nur schwer vorstellbar. Nicht etwa, weil das Publikum 'so etwas' nicht sehen will (der jahrelange Erfolg der Serie beweist das Gegenteil), sondern weil die so genannten Entscheider ihr Publikum schlichtweg unterschätzen.

Dr. House kann Leben retten

Ja, man muss bisweilen einen Hochschulabschluss haben, um die Simpsons zu verstehen. Aber das heißt nicht, dass die weniger Begabten und Gebildeten keinen Spaß beim Zuschauen haben können. Umgekehrt kann man beim Fernsehen einiges lernen. Als geradezu vorbildlich gilt in dieser Hinsicht die Serie "Dr. House", die an der Uni Marburg auch nach dem Auslaufen der Serie als Schulungsmaterial für Humanmediziner verwendet wird. Titel des populären Seminars von Medizinprofessor Jürgen Schäfer: "Dr. House revisited - oder: Hätten wir den Patienten in Marburg auch geheilt?"

Nicht weniger anspruchsvoll geht es mitunter bei den Simpsons zu. Man denke nur an die Folge Homer3, in der Homer unversehens in der dritten Dimension landet. Darin flimmert an einer Stelle eine Gleichung über den Bildschirm, die es so eigentlich nicht geben kann, das jedenfalls besagt Fermats Theorem. Auf einem billigen Taschenrechner jedoch, der nur auf zehn Stellen genau rechnen kann, ergibt die Gleichung ein korrektes Ergebnis. Die Macher wollten die Zuschauer damit "in den Wahnsinn treiben". Doch der ein oder andere Fan durchschaute den Schwindel, woraufhin die Autoren ihre falsch-richtige Formel weiterentwickelten. Der Spieltrieb der Autoren ist kein Zufall, immerhin befinden sich unter den Autoren mehrere Harvard-Absolventen, darunter auch einige mit einem Abschluss in Mathematik.

Das alles sind keine Neuigkeiten, immerhin laufen Serien wie "Dr. House" und "Die Simpsons" schon seit Jahren, bzw. sind inzwischen schon wieder ausgelaufen. Das ändert aber nichts an ihrer Vorbildfunktion. Insofern kann man nur hoffen, dass die MINTiFF-Initiative nachhaltig Früchte trägt. Immerhin hat das ZDF beschlossen, Serien wie "Forsthaus Falkenau" und "Der Landarzt" abzusetzen. Also her mit den anspruchsvollen Witzen, her mit den aufregenden Stoffen - das Publikum ist bereit! Dass es wartet, wäre zuviel versprochen, denn unter Jugendlichen hat Fernsehen längst nicht den Stellenwert von Internet, Games und Social Networks. Insofern hat auch das Fernsehen ein gewaltiges Nachwuchsproblem. Noch ein Grund, sich mit MINT-Themen zu beschäftigen.