Ich glaub, mein Chakra pfeift

Esoterik boomt. Selbsternannte Wunderheiler verkünden allerlei Mumpitz und kassieren kräftig ab. Ein Besuch der Esoterikmesse in Berlin

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Berlin. 9. Februar 2013. Esoterikmesse. Es ist mucksmäuschenstill im Saal. Sabine Müller hat gerade ihren Vortrag "Lichtmeisterin Xendradine und die Diamant-Einhorn-Kristall-Energie" beendet und lässt nun ihre Meisterin selbst zu Wort kommen: Frau Müller hat übernatürliche Kräfte, ist ein Medium von Xendradine und kann Menschen heilen - nicht etwa mit Medikamenten oder Operationen, nein, allein mit dem Gefuchtel ihrer Arme und warmen Worten.

Menschen mit körperlichen und seelischen Gebrechen sind die beliebtesten Kunden der Esoteriker. Entsprechend gezielt holt Frau Müller verschüchterte Leute aus dem Publikum nach vorne, besprüht sie mit seltsamen Sprays, wirft wirr die Arme in die Luft und fragt, ob es ihnen nun besser gehe. Die Leute zögern etwas. Egal, denn: "Das ist ganz normal, das dauert bei dir noch ein bisschen. In der Nacht arbeiten die Engel an deinem schlafenden Körper. Und du hast in den höheren Chakren noch einen Propfen drin, den wir erst lösen müssen." Gegen Bares, versteht sich.

Ein paar Minuten später verkündet Frau Müller plötzlich, mit einer Fistelstimme anhebend: "Ich bin Xendradine, Botschafterin des Lichts, der Gnade und der Hoffnung." Wir haben alle Mühe, nicht von einem Lachanfall niedergestreckt zu werden. Oder öffnet sich etwa schon die groß angekündigte "Regenbogenkristallquelle"? Aber das Lachen bleibt einem schnell im Halse stecken, wenn man das perfide Geblubber der Wunderheilerin ertragen muss: 2011 sei sie bei Samuel Koch gewesen - jener junge Mann, der bei der TV-Show "Wetten dass?" verunglückt ist -, da sie "den Auftrag ihrer Meisterin hat, ihn aus dem Rollstuhl rauszuholen".

Überhaupt scheint das selbsternannte Medium ganz gerne Leute zu stalken, die von Schicksalsschlägen heimgesucht wurden: Nachdem sie auf RTL 2 eine Reportage über einen Jungen mit einem genetischen Defekt gesehen hatte, ermittelte sie die Handynummer seiner Mutter über einen Spendenverein, um dann ihre zweifelhaften Dienste anzubieten: "Ihr seht also: Für mich ist alles möglich - egal was." Das Publikum klebt an ihren Lippen und stürmt nach dem Vortrag nach vorne, um sich Termine zu sichern. Teure Termine, deren Honorare von 100 Euro aufwärts euphemistisch als "Kostenausgleich" bezeichnet werden.

Überhaupt ist auf der Esoterikmesse alles teuer: Zehn Minuten Handlesen? 25 Euro! Eine Aura-Chakra-Fotografie gibt es für 30 Euro. Hier kann man ganz zeitgemäß mithilfe des Computers seine Aura am Bildschirm in Echtzeit erleben, um dann - noch teurer - seine blockierten Chakren therapieren zu lassen.

Aber halt: Die Jünger des Master Zhi Gang Sha umringen uns und bieten uns eine kostenlose Segnung an. Wir stehen uns drei Minuten regungslos und mit verschlossenen Augen die Beine in den Bauch, die Jünger stehen uns gegenüber und machen das gleiche. Ob es uns nun besser gehe, wollen die eifrigen Helferlein wissen. Wir zögern - und bekommen prompt Flyer in die Hand gedrückt, die uns auf die kommenden Workshops aufmerksam machen sollen. Die kosten dann abermals um die 100 Euro aufwärts.

Zum Abschied bekommen wir das Buch "Divine Healing Hands" von Master Zhi Gang Sha geschenkt. Wir blättern wahllos drin rum, auf Seite 207 lesen wir, dass man fünf Minuten lang so schnell wie möglich die Zeile "San San Jiu Liu Ba Yao Wu" laut aufsagen soll - und schwuppdiwupp soll durch das Mantra der Körper transformiert werden, so dass man in seiner "Seelensprache" rede.

"Ich darf nicht alles verraten"

Wir wollen einen Kaffee. Doch da beginnt schon der Vortrag von Dr. med. Dr. ing. Klaus Zak, der seine beiden Doktortitel so oft erwähnt, wie er zum Atmen ansetzt - und die Titel sogar in seiner Internetadresse untergebracht hat. Dr. Zak, der als zugelassener Facharzt für Unfallchirurgie eine Praxis in Berlin betreibt, behauptet ganz unverblümt, dass er zum Kreis der "Eingeweihten" gehöre und berichtet vom Weltkongress der Metaphysik im Vatikan. Wie alle anderen Esoteriker auch mixt er Christentum mit Buddhismus, Mystik, UFOs und allerlei Verschwörungskrimskrams und präsentiert sein Patchwork-Eso mit geheimniskrämerischer Art: "Ich darf nicht alles verraten. Auf meiner DVD sind aber noch mehr Informationen über das neue kommende Zeitalter des Lichts."

Der doppelt promovierte Schwafler zeigt eine deutliche Tendenz zum Elitären. Und überhaupt funktioniert so die ganze Eso-Schiene: Ein Auserwählter weiß oder kann angeblich was, die anderen müssen blechen, um an dessen Wunderkräften teilhaben zu können. Nicht umsonst findet die Messe im bürgerlichen Berlin-Wilmersdorf statt, denn hier lebt die Zielgruppe: mittelalt, mittelreich, mittelschichtig - mit dem tiefgehegten Wunsch, einmal im Leben zu den Auserwählten zu zählen. Die Soziologin Jutta Ditfurth fasst dieses autoritäre Gehabe treffend zusammen: Die Esoteriker "zementieren die herrschende Ordnung, oben und unten sollen bleiben, wo sie sind - alles Karma, Schicksal. Die umfassende Emanzipation des Menschen? Ein Verstoß gegen die ehernen Regeln irgendwelcher Götter, Geister und Naturgesetze."

Mithilfe der Politik klappt das Streben nach Herrschaft noch nicht so gut: Die Partei der Violetten, die natürlich auch einen Stand betreibt und im Sekundentakt Flyer verteilt, hat bei der letzten Bundestagswahl lediglich 0,1 Prozent der Stimmen geholt. Andererseits entspricht das immerhin 31.957 Zweitwählerstimmen.

Das sind viele Menschen, die als Kunden für die Eso-Scharlatane in Betracht kommen. Allein auf dem Buchmarkt floriert das Geschäft prächtig: Der Bereich "Psychologie, Esoterik, Spiritualität, Anthroposophie" macht über 10 Prozent aller verkauften Sachbücher aus. Insgesamt wird der Umsatz mit Esoterik-Artikeln und -dienstleistungen zwischen 18 und 25 Milliarden Euro geschätzt - jährlich! Kein Wunder, wenn doch 10 bis 15 Prozent der Deutschen zu den spirituellen Sinnsuchern gezählt werden.

Das Eso-Heil ist kein Zuckerschlecken

Die sinnsuchende Besucherhorde stromert zum nächsten Vortrag. Keiner lacht, auch nicht die Gurus und Referenten. Merkwürdig: Trinken sie nicht tagtäglich von der Quelle des glücksbringenden Lichts? Aber von der füllt sich ja nicht das Konto. Die Logik der Esoteriker sieht vor, dass jeder komplett für sein Schicksal verantwortlich ist. Hier wird die Leistungsorientierung und Eigenverantwortung des Kapitalismus geradezu parodistisch überspitzt. Denn Fragen der sozialen Gerechtigkeit stellen sich natürlich nicht, wenn man im vorherigen Leben verkackt hat: Wer zahlt, wird errettet und geheilt.

Deshalb muss auch sehr viel gearbeitet werden: Lichtarbeit, Energiearbeit, Astralarbeit, Kristallarbeit, … das Eso-Heil ist kein Zuckerschlecken. Statt einfach abzuschalten, indem man wandern geht, Musik hört, Freunde trifft oder Sport treibt wird höchst angestrengt an einem selbst rumoptimiert. Darum sieht auch fast niemand auf der Messe glücklich und zufrieden aus. Der Frondienst zollt seinen Tribut.

Am Stand der Sekte um den "Weltlehrer" Maitreya, der inkognito bleiben muss und in irdischen Gefilden vom Quacksalber Benjamin Creme vertreten wird, blättern wird im hauseigenen Magazin "Share International". Sektenguru Creme betont unaufhörlich, dass er mit Maitreya "in ständigem telepathischem Kontakt" stehe und "die Artikel dieses Meisters per Diktat" erhalte.

Auch hier greift das autoritäre und streng hierarchische Meister-Schüler-Prinzip der Eso-Zirkel. Doch die Schüler bekommen auch wissenschaftliche Beweise präsentiert: Auf einem Flyer - ja, es gibt unzählige Flugblätter auf der Messe - lesen wir: "Das NASA-Foto zeigt, wie ein Engel auf die Sonne zufliegt", das hochgradig mystische Ereignis soll am 15. Oktober 2012 stattgefunden haben und "auf Wunsch von Meister Jesu sichtbar" gewesen sein. Hinter uns tuscheln Besucher darüber, wie unglaublich das Foto sei.

Unglaublich ist auch die Fähigkeit von Meister Ryuho Okawa, der mit Toten kommunizieren kann. In einem Interview mit der Seele Leo Tolstois fordert der russische Dichter: "Russland braucht einen Politiker wie Boris Jelzin." Oha, jener trinkfeste Jelzin, der sich mithilfe des Militärs an die Macht geklammert hat? Und weiter: "Ich war eine Inkarnation von Jesus. […] Ich bedauere es zutiefst, keine Tolstoi-Religion gegründet zu haben." Der echte Tolstoi, seines Zeichens ein pazifistischer Anarchist, würde im Grab rotieren wie ein Dönerspieß, wenn er das hörte.

Wir verlassen die gutbesuchte Messe. Klar ist, dass es sich beim derzeitigen Boom der Esoterik nicht nur um ein paar Spinner handelt. Hier wird leichtgläubigen Menschen systematisch das Geld aus der Tasche gezogen. In Zeiten, wo jede Zeile eines HipHopers auf dem Index landet, sollte sich die Politik mal schleunigst aufmachen und die Eso-Szene unter die Lupe nehmen.