Wem nützt die Finanztransaktionssteuer wirklich?

Quelle: Marktkapitalisierung Griechenland. Deutschland: geschätzter Wert DAX 30 und Gesamtvolumen Anleihen Februar 2013. Grafik: Basel Institute of Commons and Economics

Auf den Spuren eines verdeckten Rettungspaketes für Euro-Anleihen

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Seit Ausbruch der angeblichen Weltfinanzkrise stand die Forderung nach einer Finanztransaktionssteuer ganz vorne auf der Agenda von Kritikern der internationalen Finanzmärkte. Diese glaubten, durch so eine Steuer würden insbesondere die als toxisch eingestuften Derivate gebremst - und damit die Risiken für Staaten und Banken gemindert. Sogar als "Steuer gegen Armut" wurde die neue Abgabe gefeiert. Doch nun kam alles ganz anders.

Alle wollten sie - aber warum?

Der Gesetzentwurf der Europäischen Kommission zur Besteuerung von Wertpapieren erscheint vielen Beobachtern der Finanzkrise als längst fällige Antwort auf die Erfahrungen der Finanzwelt mit Verlusten etwa durch Subprimes und Lehman-Zertifikate in den Jahren 2008 und 2009. Der Gedanke, die Finanzindustrie selbst stärker an den durch sie verursachten und vom Staat verbürgten Verlusten zu beteiligen, klingt derart logisch und moralisch, dass selbst in der Finanzwelt Europas außerhalb von Großbritannien wenig offene Kritik an diesem Instrument geübt wurde. Die Bundeskanzlerin stellte sich bereits seit 2007 hinter die Forderung - und bedauerte, dass andere Länder nicht mitzögen.

Nun sind elf Staaten, darunter Deutschland, bei der Einführung dabei. Der Blick auf die Teilnehmer allerdings zeigt, dass gerade die traditionellen Haupthandelsplätze von Derivaten, nämlich Luxemburg, London und Zürich, nicht dabei sind. Dass Griechenland so eine Steuer erhebt, zeigt, wie taktisch das Land inmitten seiner Pleite agiert, um sich die Unterstützung von Deutschland und Frankreich zu sichern. Aber was nützt Griechenland die neue Steuer?

Das Geschäftsmodell liegt in den Ausnahmen

Griechen, Spanier und Portugiesen haben aber einen einfachen Grund, hier die Kommission zu unterstützen: So sind nicht nur neu ausgegebene Staatsanleihen, sondern auch Stützungskäufe von Altanleihen sowie Transaktionen der Europäischen Zentralbank und des ESM von der Steuer ausgenommen. Die Finanztransaktionssteuer folgt damit dem Vorbild des deutschen Erneuerbare-Energien-Gesetzes, in dem ausgerechnet energieintensive Unternehmen von den Abgaben ausgenommen sind. Das Volumen der ausgegebenen Anleihen der Euro-17-Staaten liegt nämlich längst weit über dem aller ausgegebenen Aktien und der an die Aktien gebundenen Derivate wie Anleihen und Optionsscheinen.

Derzeit sind bereits 12 Billionen Euro in Staatsanleihen auf dem Markt. Zum Vergleich: Die 30 DAX-Unternehmen, unter ihnen Siemens, SAP, BASF, Bayer, VW, BMW, Deutsche Bank, Allianz und Daimler, haben nur eine Marktkapitalisierung von 700 Milliarden Euro. Für diese ist allerdings keine Rückzahlung vorgesehen.

An der griechischen Börse identifizierten Fachleute als interessantesten Wert die Coca-Cola Hellenic Bottling Company. In Griechenland könnte das Verhältnis des staatlichen Finanzmarktproduktes Staatsanleihe zur Gesamtkapitalisierung aller griechischen Aktiengesellschaften durchaus Zehn zu Eins betragen. Das heißt: Auf jeden Euro Aktienwert kommen zehn Euro Staatsanleihen.

Mit der Ausnahme der Staatsanleihe aus der Finanztransaktionssteuer kommen wir dem Ziel der neuen Abgabe näher.

Kluges Schneeballsystem

Da der Handel mit bereits ausgegebenen Anleihen ebenfalls der neuen Steuer unterliegt, kann auf diesem Wege erschwert oder sogar verhindert werden, dass Fonds große europäische Anleihepakete abstoßen, denn sowohl Verkäufer wie Käufer müssen die Transaktionssteuer bezahlen, wenn sie aus einem beteiligten EU-Land kommen. Das Anleihegeschäft hat ohnehin sehr geringe Margen. Durch die Befreiung des Kaufes neuer Anleihen sichern sich die EU-Staaten so den Nachschub und zugleich nehmen sie einen Verkaufsdruck vom Markt.

Eine derartige Wettbewerbsverzerrung des Handels von Aktien und Anleihen wäre eigentlich Gegenstand für die fleißigen Wettbewerbshüter der EU. Aber es kommt noch wilder: Wenn eine chinesische Bank in Singapur eine französische Staatsanleihe an- oder verkauft, so soll die Transaktionssteuer ebenfalls fällig werden. Die USA haben mit einer ähnlichen Regelung bei der US-Erbschaftssteuer eine weltweite Meldepflicht des Handels mit US-Wertpapieren durchgesetzt, an der bereits die Schweizer Bank Wegelin zerbrochen ist.

Der Effekt der Abgabe könnte sein, dass sich die Haltezeiten für Euro-17-Staatsanleihen erheblich verlängern, der Handel mit den konkurrierenden Derivaten zurückgeht und freiwerdende liquide Mittel in neuen Euro-Staatsanleihen, für die nach wie vor kein Eigenkapital hinterlegt werden muss, in den Eigenkapitalbunkern versenkt werden. Man könnte das als ein kluges Schneeballsystem bezeichnen.

Da die neue Steuer 0,1% vom Handelswert betragen soll, entsteht die absurde Situation, dass etwa für die Investition in Aktien in Griechenland in Höhe von einer Milliarde Euro 2 Millionen Euro Sondersteuern zu entrichten sind, während der Erwerb von neuen griechischen Staatsanleihen im gleichen Wert unbesteuert bleibt. Da die Depotgebühr von Anleihenfonds maximal 0,9% pro Jahr beträgt, können Anleihen nur noch erschwert erworben und abgestoßen werden, wenn Käufer und Verkäufer je 0,1% Gebühr pro Transaktion entrichten müssen. Verlustreiche Fonds etwa können dann nur erschwert umschichten. Das Kapital verharrt in maroden, möglicherweise toxischen Portfolios. Ob dies die Aktivisten von Attac wissen, die heute die neue Steuer begrüßen?

EU-Parlament könnte über Racheaktion begeistert sein

Dass die Europäische Kommission von der neuen Abgabe nur 30-35 Milliarden Euro jährliche Einnahmen erwartet, obwohl alleine deutsche Staatsanleihen ein Handelsvolumen von 6 Billionen Euro jährlich aufweisen, spricht nicht dafür, dass hier nennenswerte Risikovorsorge für große Finanzchrashs betrieben werden soll. Dies gefällt dem EU-Parlament, das in der neuen Abgabe eine auch Geldquelle für die unter Druck geratenen EU-Finanzen sieht. Der französische Außenminister Cazaneuve hat bereits vorsorglich angeregt, die Einnahmen direkt in den EU-Haushalt zu leiten.

Psychologisch dürfte die FTT (Financial Transaction Tax) im Europaparlament durchgehen wie Butter, erscheint sie doch als posthume Bestrafung der bösen Finanzmärkte. Tatsächlich aber schädigt die Abnahme in erster Linie die schwachen europäischen Börsen, die dringend neue Börsengänge und Investoren benötigen, um ihre Wirtschaft wieder in Gang zu bringen.

Den Funktionären der EU wie der Staaten kann dies allerdings völlig gleichgültig sein, denn ihre Gehälter und ihre Pensionen werden teilweise bereits zu 40 Prozent durch Staatsanleihen finanziert, nicht durch Risikokapital, Aktien, Vermögens- und Gewerbesteuern.

Fazit: Endsieg der Anleihe statt Social Entrepreneurship

Die Finanztransaktionssteuer mag tatsächlich den Handel mit einigen Derivatformen erschweren. Da diese aber auf den Finanzmärkten der EU nur eine marginale Rolle spielen, steht im Vordergrund die Benachteiligung der Aktie gegenüber der Anleihe. Es wird nun noch schwerer, Aktien zu kaufen, zu verkaufen oder gar neu an die Börse zu gehen.

Die private Altersvorsorge dagegen wird weiter verstärkt in Anleihen und Immobilien gehen - und damit die Chancen auf Finanzierung von Innovation weiter verringern. Die EU-Kommission hat ein Gesetz vorgelegt, das in erster Linie den Funktionären selbst nützt, die unter dem Druck stehen, die maroden Staatsfinanzen mit Frischgeld zu versorgen.

Die inzwischen 30 Millionen Arbeitslosen in Europa benötigen aber nicht Strafzölle auf Aktien, sondern neue Unternehmen, die nur mit Risikokapital für Social Entrepreneurship entstehen können. Leider gehen die neuen Steuern nicht dorthin, sondern versickern in den systemisch korrupten Versorgungseinrichtungen der EU und ihrer Mitgliedsstaaten. Wann gehen die Menschen Europas für neue soziale Unternehmen auf die Straßen?